Das Buch der Liebe. Marie Eugenie delle Grazie
in einem Meer von Blumen gingen nun die Tage für Annemarie unter. Sie selbst verkroch sich immer tiefer, immer wohliger, immer gedankenloser in der duftenden Stille des jungen Nestes.
Wie ein schnäbelndes Taubenpaar irrten sie den halben Tag in dem alten, verträumten Garten herum. Der junge Gatte hatte sich für ein ganzes Halbjahr einen Urlaub erwirkt. Erst im Herbst, wenn der Süden noch einmal so warm und goldig schien, wollten sie ihre Hochzeitsreise antreten. Bis dahin blühte der dämmrige Garten über ihr Glück hinweg, sangen die Vögel der Heimat in ihr Geplauder, lachten sie von Tag zu Tag herzlicher über die Studien, die sie für die Fahrt in das gelobte Land der Kunst betrieben, ohne jemals vom Fleck zu kommen.
Und bald schien es Annemarie, als könne es auch dort nicht schöner sein.
Ein tiefer Sommerfriede spann sich um das einsame Haus am Ende des ländlichen Vorortes. Ein Friede, der wie verzaubert war. Als hielten die uralten Linden- und Ulmenwipfel schon von ferne alles ab, was an das laute Leben der Stadt da weit draußen erinnerte. Nicht einmal der Schein ihres abendlichen Lichterkranzes leuchtete vom Horizont herüber. So dicht und schwer hing überall das Grün an Fenster und Türen. Nur das Gepolter der Bauernwagen, die früh zu Markte fuhren, hörte man. Die Ausflügler fanden sich selten herüber. Abseits und still, wie es seit fast zwei Jahrhunderten hier gestanden, schien das alte Haus noch immer von dem süßen Dämmer der Tage zu träumen, zwischen denen das Leben so schlicht, so treuherzig und innig seinen Weg gegangen war. Wie ein frommes Bürgerkind mit leise lächelnden Lippen, verwunderten Blauaugen und zierlich trippelnden Kreuzbandschuhen ...
Annemaries Hausrat war prächtig und gediegen, und das feine Verständnis Wilhelms hatte dafür gesorgt, daß er sich so weit als möglich dem wohnlichen Behagen der alten Räume anpasse. Er hatte den Besitz in Bausch und Bogen erstanden und manches alte, wertvolle Stück miterworben. Zierliche Büsten und Figürchen und Bilder, die nun mit großen, verwunderten Augen in die neue Welt hineinsahen und mit einem seltsam wissenden Lächeln, das oft einen leisen Schauer in Annemaries Seele weckte.
»Was die wohl alles geseh'n haben mögen!« sagte sie einmal bei Tisch. »Und was sie erzählen würden, wenn sie reden könnten.«
»Immer wieder dasselbe,« hatte Wilhelm mit seiner kühlen Forscherruhe geantwortet. »Was alles sich auch um uns ändert – das Leben der einzelnen geht immer den gleichen Weg. Nur die Art, wie wir es genießen oder erdulden, ist verschieden, die Etappen sind dieselben.«
»Glaubst du?« fragte Annemarie mit erschrockenen Augen. Und mit einem scheuen Blick nach dem Bild ihres Vaters fügte sie hinzu. »Das zu denken wäre mir entsetzlich!«
Der junge Gatte war gerade daran, ein Hühnchen zu zerlegen. Er hatte nicht aufgeblickt. So war ihm Annemaries Ausdruck entgangen. Und wie um eine flüchtige Beunruhigung zu verscheuchen, sprach er lächelnd: »Aber das hat noch keinen angefochten. Weil jeder für sich das Leben aufs neue zu entdecken glaubt. Und sich die Gewißheit seiner Wandelbarkeit so wenig zu Herzen nimmt wie den Gedanken an den Tod. Es sind einfach Tatsachen, die gerade dadurch, daß sie als Gewißheit im menschlichen Bewußtsein verankert sind, merkwürdig viel von ihrem Schreck verlieren.«
»Aber wir, Wilhelm, wir!« hatte Annemarie plötzlich aufgeschrien. Und dann waren ihr die Tränen über die Wangen gestürzt, große, dicke Tränen, wie sie verängstigte Kinder weinen, wenn es plötzlich dunkel und still wird um sie.
Damals hatte er sie auf den Schoß gezogen und unter tröstenden Küssen an ihren Ohren vorbeigelacht:
»Behüte! Wir werden natürlich immer dieselben bleiben! Gleich jung, gleich vergnügt und verliebt und natürlich unsterblich.«
Und dann waren sie wieder die alten Kinder, die in dem blühenden Garten Haschen spielten und sich müde tollten oder Gott und die Welt und sich selbst vergaßen in der Glut einer einzigen Umarmung.
Bijutti, das weiße Zwerghündchen, lag immer irgendwo in der Nähe und sah mit den großen Kugelaugen besorgt und vorwurfsvoll auf die schöne Herrin, die nur noch gute Bissen hatte für ihren Hund und keine zuckernen Worte mehr dazu, wie einst.
Frau Krüger vermied es noch immer, das junge Glück ihrer Tochter zu stören. Auch keine Freundin ließ sich sehen. Zuweilen schien es Annemarie, als ob etwas im Tiefsten ihrer Seele doch nach dem jüngsten Bruder verlange. Wenigstens für eine Stunde; um ihn zum Zeugen ihres Glückes zu machen. Aber er kam nicht, und Wilhelm liebte es nicht, wenn Annemarie von ihm zu reden begann.
So glitten die Tage weiter und kaum merklich in den Herbst hinein. Aber es war ein Herbst, der die ganze Schwüle des Sommers behielt und nur mit den ihm eigenen Blumen und den etwas kürzeren Tagen an seine Herrschaft erinnerte.
Doppelt süß war es nun, im Dämmer der frühen Abende so eng aneinandergeschmiegt im Grünen zu sitzen. Aber sich das leise Rauschen der Wipfel, kein anderer Ton in der tiefen Stille sonst, als das Plätschern der kleinen Fontäne, und da und dort der dumpfe Fall einer reifen Frucht auf den Rasen.
Einmal war Annemarie bei solchem Ton erschrocken aus der heißen Umarmung des Gatten aufgefahren und hatte wie erschauernd gesagt: »Möchte man glauben, daß auch dieser Apfel einmal eine der zarten, rosigen Blüten war, die im Frühling wie Schnee niedergleiten, leis, gewichtlos, unhörbar?«
Wilhelms brennende Wange lag im Ausschnitt ihrer Bluse. Er schwieg und wühlte sein Haupt noch tiefer in ihre Brust. Sie fühlte mit einem leisen Frösteln, daß nun und nun wieder der Augenblick kommen mußte, daß er sich erheben und sie in das dunkle, weiche Nest heimziehen würde, in dem ihr Glück wohnte.
Und da war es, daß Annemarie zum erstenmal von dem Kinde zu sprechen begann. Leis, fromm, wie angeweht von der schauernden Ehrfurcht vor der Gewalt, die Gott der Liebe gegeben.
»Und wenn wir eines Tages nicht mehr allein erwachen, Wilhelm?«
Er hatte das Haupt erhoben, sie mit trunkenen Blicken in sich gesogen, dabei mühsam aufgehorcht, als müsse er sich erst besinnen, was sie da sprach.
Dann hatte er fast angewidert das Haupt geschüttelt.
»Ich will so lang wie möglich die Geliebte haben. Wie du da bist – jetzt ... immer!«
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