Das Buch der Liebe. Marie Eugenie delle Grazie

Das Buch der Liebe - Marie Eugenie delle Grazie


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lag der Garten vor ihr wie ein Traum, und über ihm stand die Nacht – die Nacht, die ihr das Selbst genommen und nicht nur ihren Leib, sondern auch ihre Seele in eines Mannes Hand gegeben ...

      Welch eine große, schicksalsvolle, geheimnistiefe Nacht das war!

      Sie faltete die Hände wie zu einem Gebet. Ihr selbst unbewußt kam mit einem Male wieder etwas von der Frömmigkeit ihrer Kindes- und Mädchenjahre über sie – Die Feierlichkeit des Glaubens ihrer Kirche, dem die Ehe ein Sakrament ist. »Ein Geheimnis in Christo.«

      Und war es nicht so? In der Umarmung, die aus der Jungfrau das Weib machte, lag zugleich das Geheimnis der Zeugung. Einen Teil seiner eigenen Schöpferkraft hatte Gott an die Kreaturen weitergegeben mit der Liebe und ihrer Lust. Und wer es so nahm, dem war sie heilig für immer. Der durfte nicht enttäuschen, noch jemals enttäuscht werden, sollte nicht alles in ihm zusammenbrechen, alles, alles, was den Leib vor Schmach bewahrt und die Seele vor Verzweiflung.

      Wenn die Weltanschauung ihres Gatten auch eine ganz andere war – daran hatte er bis heute noch mit keinem Wort vor ihr zu rühren gewagt.

      War ihm auch ihr Glaube nicht heilig – sie selbst war es ihm. Und so würde, so mußte es bleiben.

      Und eine Regung flüchtiger Zärtlichkeit kam über sie, wie sie dastand, in den rieselnden Spitzen des spinnwebdünnen Nachtgewandes noch den Geruch des Nestes, in dem sie eines Mannes Weib geworden.

      Der ganze Rausch, die tiefinnerste Seligkeit der kaum entwichenen Stunden schlug wieder in ihr empor ... Ja, sie war glücklich, unsäglich glücklich.

      Auch das innige Gefühl der Geborgenheit kam nun zum erstenmal über sie – der fromme, tiefe Frieden des jungen Heims. Daß ihr war, als sang' er ihr selbst sein Lied, mit dem leisen Geraun der taunassen Zweige da draußen, dem rhythmischen Fall des Springquells, der so melodisch in die Stille hinein sprach, dem leise Gepieps der jungen Schwalben über dem First. Und die Nacht saß zwischen ihren Sternen und drehte an dem goldenen Faden ihres Glücks.

      ›Was man nicht alles zusammenträumt, wenn man in so eine blaue Mondnacht hinaussieht,‹ dachte Annemarie mit einem leisen Lächeln. Und hatte dabei das Gefühl, nun überhaupt nicht mehr einschlafen zu können. Auch eine Regung ehrlichen Hungers empfand sie plötzlich.

      Sie entsann sich, daß die Früchte und der Kuchen und das kleine Backwerk noch auf dem Tisch stehen mußten, wie die vorsorgliche Mutter es angeordnet. Mit dem Schelmenlächeln eines Kindes trippelte sie zurück, fingerte in der silbernen Dämmerung der Stube zwischen den Früchten und Konfitüren herum – schlürfte mit heißen Lippen den Saft einer Nektarine und begann zuletzt wie ein Mäuschen darauflos zu knabbern.

      »Wahrhaftig wie ein Mäuschen,« dachte sie, »das sich's wohl sein läßt in der tiefen Stille der Nacht und sich dabei ordentlich pfiffig vorkommt.«

      Und sie kicherte leise auf und naschte selig weiter und ließ die Blicke dabei vergnügt durch den schönen Raum gleiten, der im blauen Zwielicht der Mondnacht noch einmal so vornehm und behaglich aussah: mit den tiefgrün ausspalierten Paneelen, dem samtenen Geleucht der Mahagonimöbel, den wenigen, aber kostbaren Bildern, die in schweren Goldrahmen von der Ledertapete herleuchteten ...

      Doch plötzlich kam es wie ein leises Unbehagen über Annemarie ... Es ging von den zwei dunklen Augen eines Mannes aus, dessen Bild über dem niederen Büfett hing und gerade ins Mondlicht hineinsah und durch das Mondlicht zu Annemarie herüber. Große, weitgeöffnete Augen, denen ein herrisch-selbstbewußter Blick zu eigen war und zugleich eine versteckte Gier, die gleichsam lauernd hinter dem samtenen Dunkel der Pupille brannte. Zwei Mannesaugen, die einer Frau, die allein und halbentblößt dasaß wie Annemarie, wohl einen heimlichen Schauer in der Seele wecken konnten – in der Seele, die ein Mann soeben wachgeküßt ...

      Ihres Vaters Bild!

      Nun erst erkannte sie es und besann sich wie aus einem tiefen Traum heraus auf das, was hinter ihr lag: die unfrohe Kindheit zwischen den Eltern, die einander so ungleich waren ... all die langen, traurigen Jahre, da sie die Mutter immer still weinen gesehen – den Vater mit dröhnenden Schritten und übereinandergepreßten Lippen durch die verängstigten Stuben gehen, um zuletzt oft für ganze Tage zu verschwinden.

      Wenn ihre Mutter auch bis heute geschwiegen, in der schönen Regung, eines toten Vaters Andenken für die Ehrfurcht der Kinder lebendig zu halten – Annemarie hatte sich doch manches gedacht und viel durchschaut. Daß auch ihre junge Weiblichkeit seltsam wissend geworden war an dem versteckten Zwist und scheu gehüteten Unglück dieser Ehe.

      Der Vater, ja ... Wie er dort hersah, war er auch gewesen: der schöne, selbstbewußte, rücksichtslose Mann! Immer irgendeinem Genuß nach, der nur für ihn da war – der Fährte einer schönen Frau, mit der ganzen heimlichen Gier und Lust des Jägers.

      Annemaries Mutter hatte Freundinnen gehabt, mit denen der Gatte sie jahrelang betrogen. Die im Hause aus- und eingegangen waren und ganz arglos getan hatten. Bis irgendein Zufall, ein anonymer Dienstbotenbrief, oder schadenfroher Klatsch die Untreue an den Tag brachte. Dann gab es Sturm und Tränen, niemals aber eine ehrliche Reue. Sowie die Lüge nicht mehr vorhielt, wurde der Vater brutal und zynisch.

      Das harte Lachen der gierigen Augen, die so heischend aus dem Bild dort zu ihr herübersahen, es hatte auch in seiner Stimme gewohnt. Wie oft hatte Annemarie es gehört! Wie oft war es kalt und grausam selbst unter dem Geschluchze der Mutter laut geworden.

      O ja, sie hatte wohl gewußt, warum sie diese Frage gestern an die Mutter gerichtet. In jungfräulicher Seele noch einmal vor einem Glück zurückbebend, das dem Weibe alles nahm, um zuletzt mit einer Erinnerung zu bezahlen die schlimmer war als ein heimlich fressendes Gift. Ihre Mutter war ja auch einmal eine junge, strahlende Braut gewesen! Und hatte ihr gestern doch keine andere Antwort gewußt als dieses arme, verlegene und verlogene Lächeln.

      Aber nicht nur die Mutter, auch die meisten Frauen, die sie kannte, standen mit einem Male so vor ihr. Enthüllt und arm bis auf das entselbstete Schweigen ihrer Seele. Und manche hatten nicht einmal so lange dazu gebraucht wie Frau Krüger. Selbst unter Annemaries älteren Freundinnen gab es einige, die schon trüb und resigniert in enttäuschter Ehe dahinlebten. Sie wußte es. Hatte es ihnen mit dem Blick aus dem armen Antlitz abgelesen, der an dem Unglück der eigenen Mutter wissend geworden war.

      Und die noch froh und leicht dahingingen, das Haupt noch stolz trugen ... Je nun, von denen waren eben wieder andere Geschichten zu erzählen, die Annemarie nicht weniger gut kannte.

      Die eine hatte ihren Mann bloß seines Reichtums wegen genommen und hielt, wie man sich erzählte, nur darauf, daß der jährliche Aufwand für ihre Toiletten und ihren Schmuck immer doppelt so groß sein mußte wie der für ihres Mannes Mätressen. Alles andere übersah sie, lächelnd und gerne, denn er selbst war ihr ein Ekel ...

      Eine andere hatte die erste Untreue sofort mit derselben Münze gelohnt und seitdem so viel Geschmack an der Sache gewonnen, daß Annemarie sich schon ernstlich gefragt hatte, ob es nicht am besten wäre, der lachenden Sünderin in Hinkunft für immer ihr Haus zu verschließen.

      Sie war nicht schön. Eigentlich fast häßlich. Aber irgend etwas machte alle Männer in ihrer Nähe fahrig. War es ein geheimes Fluidum, das rein geschlechtlich hinüberwirkte, wie die Wellen eines elektrischen Stromes? Ihr Lachen, das satte Bronze ihrer Haut, die fast jünglinghaften Formen des marderschlanken Leibes? Eine Frau kam da nie auf das letzte. Aber Annemarie entsann sich, daß auch ihr Bräutigam immer seltsam geworden war in Melas Nähe.

      So oder so kam es wohl für die meisten. Durfte man da wirklich für sich an ein wandelloses Glück glauben ... an diese Treue bis an das Grab, von der ihr Beichtvater


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