Das Buch der Liebe. Marie Eugenie delle Grazie

Das Buch der Liebe - Marie Eugenie delle Grazie


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der eine, einzige Tag.«

      Auch er lag wie in einem weißen, silbernen Dämmer.

      Und die Alte schwatzte weiter. Aber nur Frau Krüger hielt ihr stand; warf zuweilen wohl auch selbst ein Wort hin oder eine Frage, mit der müden und gleichsam überlegenen Neugierde der Frau, für die das Leben keine Geheimnisse mehr hat.

      O ja, sie hatte schon Hunderte und Hunderte frisiert, die geschwätzige Alte, und manche der jungen Frauen auch noch nachher bedient, oder sonstwie im Auge behalten. Aber, natürlich ... der Tag kam wohl nie mehr im Leben!

      »Und ich dachte immer, erst von ihm ab müßte es schöner werden und immer schöner,« bebte Annemaries Stimme in das Geschwätz der beiden Frauen hinein.

      Frau Krüger schwieg. Die Alte verstummte und lächelte mit großen, nachsichtigen Augen in den Spiegel.

      Was verhehlte man ihr?

      Oder gehörten auch dieses Lächeln und dieses Verstummen zu dem weißen Dämmerglanz des Tages?

      Die Braut versank wieder in sich. Und nur die Blüten des alten Akazienbaumes dufteten in ihr Träumen ...

      Erst als die tiefgewellten Haare in zwei goldenen Bauschen über Schläfen und Ohren hingen, kam Annemarie wieder zu sich und starrte wie mit fremden Augen die geheimnisvoll lockende Schöne an, die ihr aus dem Spiegel entgegensah.

      War das noch sie?

      Sie griff sich an das Haupt, tastete wie nachfühlend das eigene Antlitz ab, den rosigen Brand der Wangen, die unter dem schweren Seidengespinst der goldbraunen Scheitel immer tiefer zu erglühen begannen.

      Nun war sie ja –! Was hatte man aus ihr gemacht –?

      »Wie eine Odaliske seh' ich aus,« fuhr es ihr durch den Sinn, wollte es sich auf die Lippen drängen. Aber etwas in ihr verstummte plötzlich.

      Noch niemals hatte sie sich so schön gesehen. Was würde der Geliebte erst sagen!

      Und sie hatte nichts gewußt von all diesen Reizen bis heute. Nur die madonnenstrenge Linie ihres Antlitzes immer gekannt und festgehalten.

      Aber dieses Antlitz –

      Ein Locken war es, ein sehnsüchtiges Erschauern, eine einzige Schwäche und ohnmächtige Ergebung.

      Die Braut – das Weib.

      Vergeblich jedes Besinnen über das, was sie noch gestern gewollt, noch gestern gewesen und all die Jahre vorher.

      Wie in einem silbernen Nebel entschwand sie sich selbst.

      *

      War es wirklich schon so spät, daß die Mutter drängen mußte, als man ihr endlich die weiche, rieselnde Seide über den erschauernden Leib gleiten ließ? Den Kranz in das Gold der Haare drückte – den Schleier festnadelte – die weißen Handschuhe zurechtlegte?

      Ihr schien, sie sehe und höre nicht mehr. Habe nur den einen Wunsch: immer, immer im festlichen Kleid dieser Stunde vor dem Geliebten zu stehen, in all den Schleiern, die um sie wogten, wie ein einziger silberner Nebel.

      Als Frau Krüger endlich in den eigenen Staat schlüpfen konnte, pochten die Söhne schon ungeduldig an die Brautkammer. Der Bräutigam war schon da, und unten fuhren die ersten Gäste vor. Schwere seidene Roben rauschten durch den Garten. Diamanten und Saphire leuchteten im Sonnenglast. Der ganze Tantenstaat der Familie war entboten.

      Wie ein kicherndes Taubennest fuhren zuletzt die Brautjungfern an. Alle gleich gekleidet, in das blasse, verbrauchende Rosa der ersten Apfelblüten.

      Die Sonne mußte im Mittag stehen. Schon begannen draußen die Glocken zu läuten.

      Da riß man vor der Braut die Türe auf, daß sie hinausschreite im schwülen Duft ihrer verhüllten Schönheit, mitten hinein in den silbernen Glanz dieses Tages.

      Dann kamen die Tränen der Mutter. Die Umarmungen der Basen; das halb bewundernde, halb vom Neid erstickte Geflüster der Freundinnen. Aber Annemarie sah nur zwei Augen – und die leuchteten wie zwei Sonnen, gingen in einem einzigen Triumph über sie hin.

      »Mein bist du, mein!«

      Er machte sie selig, dieser Blick, und doch auch wieder leis' erschauern, daß ihr war, als müsse sie sich noch tiefer in ihre Schleier hüllen, die Lider senken, um nicht an dem Brand dieser Augen zu vergehen.

      Und da geschah es, daß sie zum ersten Male wieder an Konrad denken mußte. Nie, nie hatte sie einen solchen Blick in seinen Augen wahrgenommen! Und er hatte sie doch auch geliebt – lang, inbrünstig, mit der ganzen Glut seines jungen Herzens.

      Der Geliebte freilich war um vieles älter, der reife Mann. Die Werbezeit war vorüber. Wer weiß, wie Konrad sich im Besitz gehabt hätte?

      Als es aber Zeit wurde aufzubrechen und der Bräutigam mit einem raschen Schritt auf sie zutrat und wieder mit diesem Blick, streckte sie fast abwehrend die Hände von sich.

      »Sie fürchtet sich, daß du ihr etwas zerknüllst beim Berühren,« kicherte eine der altjüngferlichen Tanten.

      Er lachte, und in seiner Stimme war ein ganz eigener Jubel, als er entgegnete:

      » Aber! Ich werde sie doch nicht berühren

      Über die Wangen der jungen Damen lief eine flüchtige Röte. Annemaries Brüder und Jugendgefährten lächelten sich verstohlen zu. Nur ihr jüngster Bruder biß sich in die Lippe, stand in finsterem Trotz da. Er hatte von Anfang an Annemaries Bräutigam nicht gemocht und sah nun fast gehässig zu ihm hinüber. Die Schwester war von Kindheit an seine Vertraute gewesen und, obwohl die Jüngste unter den Vieren, immer voll mütterlicher Güte für ihn. Konrad aber war noch heute sein bester Freund, mit dem er alles gemein hatte, selbst die Liebe zur Philosophie.

      Nun war es auch mit seinem Traum zu Ende. Dem deutschen Jungentraum, fern vom Geräusch und Gezappel der Mutter, zwischen der Schwester und dem Freund seiner Schwärmerei für die Schönheit der Platonischen Dialoge zu leben.

      Endlich reichten die Herren ihren Damen die Arme. Hinter den Türen grüßten und weinten die Dienstboten. Aus einem versperrten Gemach scholl das rasende Gekläff von Annemaries Lieblingshündchen, dem die treue Seele von dem stummen Scheideblick der jungen Herrin noch bang und schwer war.

      Der Teppich, der über die Treppen und durch den Garten führte, war über und über mit weißen Akazienblüten bestreut. Sie hingen auch in den Stirnbändern und zwischen den Halftern der zwei tadellosen Schimmel, die sich unruhig im Geschirr herumwarfen und wie verstehend dem bräutlichen Zug entgegenwieherten.

      *

      Den Schmuck der Kirche hatte der erste Gärtner der Stadt besorgt. Es war im Auftrag des Bräutigams geschehen und sollte eine Überraschung für Annemarie sein.

      Hundert und aber hundert weißer Rosen schmückten Altäre und Kandelaber. Mächtige Palmen- und Lorbeergruppen umschatteten den Eingang. Bis tief in die Straßen hinein standen die Leute. Der Ordner hatte Mühe, für den Brautzug Platz zu schaffen ... Draußen hing die Sonne noch immer wie zwischen silbernen Nebeln. Und als die Braut in ihrem schimmernden Staat in die Kirche schwebte, schien es fast, als wäre eine der weißen Sommerwolken da draußen hereingeglitten, um hier zwischen Weihrauchatem und Rosenduft weiterzuleuchten.


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