Das Buch der Liebe. Marie Eugenie delle Grazie

Das Buch der Liebe - Marie Eugenie delle Grazie


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gewesen. So konnte sie sich nicht recht vorstellen, daß es möglich wäre, über dem Besitz eines Kindes ohne Tränen eine Seligkeit entweichen zu sehen, die das einzige schien im Leben.

      So viel glaubte Annemarie von sich zu wissen. Von dem Geliebten aber wußte sie gar nichts. Und doch sollte morgen auch nicht eines Schleiers Faden mehr zwischen ihnen sein. Seele in Seele sich ergießen und Leben in Leben.

      »Sie werden ein Leib sein und eine Seele –«

      Wie nah sie das mit einem Male hörte! Wie nah und wie laut. Obwohl es aus den Bibelfernen ihrer gläubigen Jugend herüberfand. Und morgen würde sie's noch einmal hören, am Altar. Dann stand es hinfort wie ein Gesetz über ihrem Leben. Das Wort des Herrn von der Heiligkeit der Ehe. Sie war unlöslich, ein Sakrament – die katholische Ehe ...

      Ja, was wußte sie von ihm?

      Gerade ein knappes Jahr kannte sie den Geliebten. Vorher hatte sie ihn nie gesehen, gerade nur da und dort zuweilen seinen Namen gehört. Seine Eltern waren tot. Er hatte sie schon als Kind verloren. Geschwister hatte er nie besessen. Einige ferne Verwandte lebten im Ausland. Er selbst war unter fremden Menschen aufgewachsen. Vor Sorgen und frühen Kämpfen hatte ihn ein großes Erbe bewahrt. So war der Ernst wohl niemals in sein Leben getreten. Er hatte sich immer alles leisten können, alles.

      In dieser Vorstellung lag es! In ihr verankerten sich Annemaries Mißtrauen und Eifersucht. Die Mutter wollte nichts davon hören. Ihre älteren Brüder fanden sie lächerlich.

      »Er macht dich zu seiner Frau – was willst du mehr?«

      Den Männern durfte man mit solchen Anliegen nicht kommen. Es war, als rede man in eine andere Welt hinein. Und allzu deutlich zu werden verbot ihr die Scham.

      Man hatte sich über seine Verhältnisse erkundigt, über seine Stellung. Alles in bester Ordnung. Dazu ein schon jetzt berühmter Name. Gewiß tat sie ihm unrecht! Wer seine Jugend so früh und ausschließlich bei den Büchern verbracht, hatte für das Leben wohl wenig Zeit gefunden.

      Und doch und doch ... Sie wurde die Qual nicht los. Die Fragen, die Zweifel, die oft geradezu wild auflodernde Eifersucht.

      Aber es war wohl nur ihre Liebe, die kein Maß mehr kannte. Ganz toll geworden war an der eigenen Sehnsucht. Im Besitz mußte die Ruhe kommen und die Erlösung.

      Einige Male hatte der Geliebte ihr von seiner Kindheit erzählt. Tolle Schuljungenstreiche, vage Träumereien, die später von einem fast irren Drang in ferne Länder abgelöst wurden. Aber der Anstalt, der sein Vormund ihn anvertraut, stand ein strammer Pädagoge vor, der eine fast militärische Zucht hielt, nicht einen überflüssigen Groschen in den Händen der Jungen litt und ihren gesunden Trieben gerade so viel Zeit ließ, sich in Garten und Wald und zwischen Spiel und Studium heilsam auszutollen. So gingen auch die Jahre der Reife ohne Fährnis vorüber. Sein Erbe aber war durch die fast unverbrauchten Zinsen noch größer geworden.

      Schon während seiner Studentenjahre hatte er den Grund zu seiner wertvollen Bücher- und Handschriftensammlung gelegt. Dafür war auch sein Vormund immer zu haben gewesen.

      »Selbst ein alter Bücherwurm!« hatte er ihr lachend erzählt. »Dann freilich – eines Tages, hatt' ich alles auf einmal.«

      Im ruhigen Fluß des Gespräches war ihm das so entglitten. Und vielleicht hatte er mit diesem »Alles« wirklich nur sein Erbe gemeint und das Recht, endlich ganz darüber zu verfügen. Sie aber hatte plötzlich und wohl auch unerwartet von ihrer Stickerei emporgeschaut – gerade bei diesen Worten. Und hatte die seine Röte gesehen, die sich mit einemmal über seine blassen Schläfen breitete. In seinem Blick aber hatte es wie von einem verlorenen Funken geleuchtet. Ein Glimmen und Glosen, das Annemarie früher nie darin gesehen. Zuletzt war alles hinter den blauen Rauchringeln seiner Zigarre verschwunden. Vielleicht hatte ihn auch nur ihr plötzliches Aufschauen irritiert. Vielleicht ...

      Sie warf die gelösten Flechten zurück und ließ die knisternde Goldflut langsam über den schauernden Nacken rieseln, eh' sie nach dem durchsichtigen Schildpattkamm griff.

      Ach, was wollte sie denn? Warum quälte sie sich so? Was auch einmal mit ihm gewesen sein mochte – sie war ihm ja doch verfallen! Mit Leib und Seele, mit jedem Tropfen ihres Blutes, das sie wie in einem einzigen Sturm der Sehnsucht wieder zu bedrängen begann.

      Daß man sich so ganz und gar an einen anderen Menschen verlieren konnte! Sich so willig vergessen und wehrlos auftrinken lassen ...

      Wie in einem Traume schüttelte sie das Haupt.

      *

      Er aber hatte mit großer Kunst alles mögliche aus ihr herausgefragt. Hatte fast nicht glauben wollen, daß außer der Schulmädelschwärmerei für einen ihrer Lehrer niemals eines anderen Mannes Nähe vor ihm ihre Seele bewegt.

      Und doch hatte sie die Wahrheit gesprochen und ihm voll und offen dabei ins Antlitz sehen können. Er aber hatte gelacht. »Da hab' ich also wieder Glück gehabt!«

      »Wieder –?«

      Es klang noch lang in ihrer Seele nach ...

      Die Mutter wußte etwas mehr zu erzählen. Annemaries Schönheit war früh und viel bemerkt worden. Ihre kühle Hoheit, die madonnenhaft und königlich zugleich war, hatte noch mehr in Bann gehalten. Jeder Ball war ein Siegeszug geworden und Annemaries Art, sich zu kleiden, eine ernste Angelegenheit der weniger Reizvollen.

      »Sie hat keinen an sich herankommen lassen,« berichtete die Mutter stolz. »Oder wenigstens nicht näher, als es ihr paßte. Und es paßte ihr eben keiner. Und der, den sie am längsten litt, und dem ich fast schon selbst gern etwas Hoffnung zugesprochen hätte, der blieb ihr eben immer bloß der Jugendgespiele. Bis es den Ärmsten aus der Sonne trieb, die ihn fast ganz versengt hätte!« lachte Frau Krüger mit mütterlichem Stolz.

      »Das hättest du nicht sagen sollen,« wehrte Annemarie damals ab. »Ein Mann erleidet es nur schwer, daß der Glücklichere um seine vergeblichen Mühen weiß.«

      Fast in einen Eifer hatte sie sich damals hineingeredet, der schön war und edel und die Lande der gemeinsam verlebten Jugend wie mit einem flammenden Schwert verteidigte.

      Der Geliebte aber hatte sie noch heißer in die Arme genommen.

      *

      Nun sollte Annemarie auch den anderen morgen wiedersehen; nach zwei langen Jahren. Frau Krüger wollte der Tochter das Hochzeitsmahl im eigenen Hause rüsten und hatte selbst die Einladungen verschickt. All die Jugend, die während der vielen Jahre in ihrem gastlichen Hause aus und ein gegangen, sollte Annemaries hohen Tag noch einmal mit ihrem sonnigen Glanze umleuchten. Darunter war auch der Verschmähte. Aber er hatte es wohl schon lange überwunden, hatte in vollem Eifer seither seinen Doktor gemacht und, einer der ersten, von Freiburg aus die Gespielin zu ihrer Verlobung beglückwünscht und zu dem berühmten Gatten, dessen ernstes Heim ihre Anmut und Jugend verschönen sollte. Er war nun wohl auch schon darüber hinaus, wenn er sich auch noch nicht gezeigt hatte seit seiner Heimkehr. Ihn durfte man also zuletzt so vom Tisch fallen lassen.

      Unter den vielen Spenden, die der jungen Braut seit gestern zugegangen, hatte sich auch ein Strauß von ihm befunden. Ein Tafelkorb voll großer, duftender Lilien. Die Lilie, er wußte es, war immer ihre Lieblingsblume gewesen. Aus diesem Wissen heraus kam seine Spende und band sich zugleich an den bräutlichen Glanz des Festes. Es war eine ganz unverfängliche Gabe. Dazu eine Karte, daß er in der Kirche anwesend sein werde, um Gottes Segen für sie zu erflehen.

      »Welch ein komischer Passus für einen


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