heimelig. Blanca Imboden

heimelig - Blanca Imboden


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Wochen quälen.

      Frau Meier wird nervös. Ihre Stimme wird eine Nuance höher, schriller. »Papperlapapp!«, bringt sie uns zum Schweigen. Sehr unhöflich, wie ich zur Kenntnis nehme. »Wir tun doch hier alles, wirklich alles dafür, dass Sie es gemütlich haben und heimelig. Das wissen Sie. Also bitte!«

      Jaja.

      Rhabarber, Rhabarber.

      Großer Sturm im kleinen Wasserglas.

      Es dauert volle zehn Minuten, bis Frau Meier all ihre Empörung und Entrüstung losgeworden ist. Auch einige Bewohner zeigen sich schockiert und schütteln den Kopf. Ich ärgere mich auch, aber eigentlich nur darüber, dass man mir kostbare Zeit raubt. Ich bin siebenundsiebzig Jahre alt. Da rinnt nicht mehr viel Sand durch meine Sanduhr. Ich habe nicht mehr so viel Zeit wie unsere junge Direktorin. Darum mag ich sie auch nicht mehr bei derartigen Ansprachen verschwenden. Natürlich ist es blöde, irgendwelche Namen zu verschandeln und Plakate zu beschmieren. Ich hasse sinnlose Sachbeschädigungen, und die sind ja immer häufiger und überall anzutreffen. Neulich hat einer aus meiner Lieblingsbank unter den schattigen Bäumen richtiggehend Kleinholz gemacht. Aber das hier? Wenn es wirklich einer von uns war, dann steckt vielleicht eine tiefe Unzufriedenheit dahinter, und die Aktion hilft dem Betroffenen, erspart ihm gar eine Altersdepression. Möglicherweise ist es aber einfach nur ein kindisches Vergnügen eines gelangweilten Bewohners. Ich weiß es nicht und will es auch nicht so genau wissen. Ich habe genug andere Interessen, genug andere Möglichkeiten, mich zu beschäftigen, zu zerstreuen, will mich nicht um diese Thematik kümmern. Das Altersheim ist definitiv nicht mein Universum, dafür bin ich noch zu jung, zu aktiv, zu gesund.

      Eigentlich sollte ich nicht hier sein.

      Das wird mir jeden Tag mehr bewusst.

      Aber wo sonst könnte ich hin?

      Ich habe kein anderes Zuhause mehr. Und wie sagte doch Rainer Maria Rilke so schön – wenn auch in anderem Zusammenhang?

      Wer jetzt kein Haus hat, baut keines mehr …

      Als wir dann endlich aufstehen können und ich mich auf meinen Mittagsschlaf freue, sehe ich meine Tochter Trudi durch das Hauptportal schreiten. Einen winzigen Moment lang regt sich in mir der Mutterstolz. Trudi ist schön und schlank, und eben, sie schreitet. Man sieht ihr an, dass sie glücklich und erfolgreich und reich ist. Dafür tut sie auch viel, besucht Yogakurse, geht regelmäßig zur Kosmetikerin, joggt fast täglich ihre Runde, trägt nur Designerkleider. »Erfolg hat drei Buchstaben: t – u – n!« Das ist ihr Lebensmotto. Ich gönne ihr, dass sie mit fünfzig immer noch daran glauben kann, das Leben selbst in der Hand zu haben. Sie wird bestimmt auch noch lernen müssen, dass es nicht so ist. Jedenfalls nicht immer. Und mit zunehmendem Alter immer weniger.

      Je näher sie kommt, desto mehr verhärtet sich etwas in mir, schließt sich ein eiserner Vorhang um mein Mutterherz. Trudi hat mich enttäuscht. So richtig. Wie sie mich aus meinem Haus gedrängt hat, das kann ich ihr nur schwer verzeihen.

      »Mama, gut dass du noch nicht schläfst!«, ruft sie erleichtert und gibt mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

      »Aber ich möchte jetzt gern schlafen«, erkläre ich ungnädig.

      »Ich wollte ja nur kurz nach dir sehen«, sagt sie, schon etwas beleidigt klingend. Dabei argwöhne ich, dass sie oft mit Absicht zu dieser Uhrzeit hier auftaucht, weil sie dann schnell wieder gehen kann.

      »Wir können ja einmal ums Haus spazieren«, schlage ich versöhnlich vor.

      Wir umrunden die Anlage zweimal. Und schon ist sie wieder weg und geht zurück ins Leben, während ich hier auf dem Abstellgleis zurückbleibe.

      Meine Tochter hat mich nur kurz auf den neusten Stand gebracht: Ihr Mann Joshua ist jetzt in seinem in Zug stationierten Konzern noch mehr aufgestiegen, arbeitet noch mehr, verdient noch mehr. Mister Noch-mehr ist Engländer und nicht nur schön, sondern großartig. Bis heute habe ich nicht durchschaut, was er eigentlich genau arbeitet. Etwas mit Chemie und mit Computern. Etwas in Englisch. Und Trudi unterrichtet Englisch am Gymnasium. Neuerdings kann sie auch in Joshuas Konzern Privatlektionen in Englisch und in Deutsch geben, je nachdem, was gefragt ist. Und dabei verdient sie unglaublich viel Geld. Ich zeige mich begeistert, wie man das von einer Mutter erwartet.

      Noch mehr Erfolg, noch mehr Geld, noch mehr Glück.

      Friede, Freude, Eierkuchen.

      Bin ich wirklich auch schon eine verbitterte Alte geworden, die sich nicht mehr mitfreuen kann, wenn die Jugend Erfolg hat? Hoffentlich nicht.

      Das Heimleben verändert.

      Es ist ein schleichender Prozess.

      Das macht mir Angst.

      2 Heimatlos

      Ich war nicht immer heimatlos. Vor nicht allzu langer Zeit wohnte ich in einem schönen, großen Haus, umgeben von einem gepflegten Rasen, im Schatten stämmiger Birken. Flieder blühte an der Hausfassade. Lavendel entlang der Einfahrt. Ich hatte ein richtiges Zuhause. Aber nach Xavers Tod setzte mich meine Tochter arg unter Druck: »Das Haus ist zu groß für dich allein. Du brauchst unbedingt einen Neuanfang.«

      Dabei wollte vor allem sie einen Neuanfang. Mit ihrem Ehemann Joshua und ihrer liebenswerten Tochter Kim. In meinem Haus.

      Ja, ich habe um Xaver getrauert und oft geweint, was ja normal ist, wenn man über fünfzig Jahre verheiratet war und sich geliebt hat. Und schon hieß es wieder: »Siehst du: Das Haus tut dir nicht gut!« War ich mal müde, musste ich mir anhören: »Das Haus macht zu viel Arbeit. Du solltest dich schonen.« Als ich nicht schnell genug wieder fröhlich und gesellig sein konnte, wurde mir erklärt: »Dieses Haus erdrückt dich mit all seinen Erinnerungen.«

      Dabei tat das Haus mir gut. Die Erinnerungen waren schließlich alles, was ich noch hatte. Ich badete darin, wenn mir die Realität zu kalt und unwirtlich vorkam. Was wären wir denn ohne unsere Erinnerungen? Die schönen Gedanken an vergangene Zeiten sind doch wie eine warme, kuschelige Höhle, in die man sich ab und zu verkriechen kann. Ich hatte in meinem Haus ja auch meist gute Zeiten verbracht. Und es beschäftigte mich, hielt mich auf Trab. Immer gab es etwas zu tun, im Haus und ums Haus herum.

      Trudi und Joshua haben das schöne Haus abreißen und eine garagenähnliche Betonvilla auf das Grundstück bauen lassen. Ein angesehener Architekt übernahm für den Gräuel die Verantwortung. Wo früher mein Garten war, sind jetzt Parkplätze. Die Birken mussten einer Garage weichen. Sicher, Trudi und Joshua hatten mir angeboten, eine Einliegerwohnung für mich einzuplanen. Aber da hatte ich doch auch meinen Stolz. Aus meinem schönen Haus ausziehen und dann in ein fremdes wieder einziehen? Nein, da ging ich lieber freiwillig ins Altersheim.

      Trudi und Joshua kauften mir das Haus ab und bezahlten mich fürstlich. Das konnten sie gut, nicht nur weil sie reich sind, sondern weil sie ja mein Geld am Ende wieder erben werden. Falls dann noch was übrig bleibt. Denn eines habe ich mir geschworen: Mit dem Sparen ist es jetzt vorbei. Ich lasse es mir gut gehen.

      Und da bin ich jetzt. Mit viel Geld und wenig Heim.

      Ich liege in dem Bett, das noch immer nicht richtig meins ist, und der Schlaf will nicht kommen. Dabei ist schlafen so eine Gnade: einfach alle Gedanken ausschalten, ja, sich selber ausschalten. Fast ein bisschen wie sterben. Nur halt anders, nicht so endgültig. Ich starre an die weiße Zimmerdecke, bis ich das Gefühl habe, sie falle auf mich nieder.

      Dann, gerade als es mir ansatzweise gelingt, mich zu entspannen, klopft jemand energisch an meine Zimmertür, und bevor ich mir überlegen kann, ob ich überhaupt jemanden sehen möchte, steht die resolute Schwester Yvonne mitten im Zimmer. Im Schlepptau hat sie eine junge Frau, eigentlich eher noch ein Mädchen, das sich neugierig umschaut.

      »Hallo, liebe Frau Niederberger, das ist Melanie Zurkirchen. Ihr seid ja verabredet«, erklärt Schwester Yvonne voller Überzeugung, schiebt das Mädchen vor mein Bett und ist schon wieder weg, bevor ich protestieren kann.

      Melanie


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