Der neue Sonnenwinkel Staffel 1 – Familienroman. Michaela Dornberg

Der neue Sonnenwinkel Staffel 1 – Familienroman - Michaela Dornberg


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gehörte weder zu den Menschen, die neugierig waren, noch zu denen, die gern Häuser besichtigten. Außerdem konnte man von denen auch nicht viel sehen, weil die teils hohen Bäume, mit denen der Uferweg bewachsen war, die Sicht auf die Häuser größtenteils versperrte, was für die Hausbesitzer auf jeden Fall von Vorteil war.

      Wer ließ sich denn schon gern auf den Kaffeetisch oder ins Schlafzimmer blicken?

      Roberta ruderte entspannt Richtung Ortsausgang.

      Hier standen keine Häuser mehr, weil der Teil oberhalb des Wanderweges Naturschutzgebiet war, durch das man lediglich auf den freigegebenen Wegen spazieren durfte.

      Nun gut, jetzt war sie schon ziemlich auf dem See herumgekreuzt, da musste sie das jetzt auch nicht mehr auslassen.

      Aber danach würde sie das Boot zurückbringen. Sie war untrainiert und spürte bereits ihre Arme. Morgen würde sie einen ausgewachsenen Muskelkater haben. Um das zu wissen, musste man kein Prophet sein.

      Sie ruderte auf das Ufer zu und entdeckte zwei junge Frauen, die sich angeregt unterhielten.

      Die beiden mussten sich ja viel zu erzählen haben.

      Vermutlich war das immer so, wenn Frauen aufeinandertrafen.

      Wenn sie an sich und Nicki dachte, da gab es auch immer wieder Themen, die so spannend waren, dass sie darüber reden konnten, als gäbe es kein Morgen. Ach, Nicki, die fehlte ihr sehr, und sie würde gleich heute Abend alles dransetzen, sie zu beschwatzen, so schnell wie möglich zu ihr zu kommen.

      Aber diese beiden schwatzsüchtigen Frauen waren jetzt nicht das, was sie sich länger ansehen musste. Sie wandte sich ab, blickte, warum auch immer, noch einmal zurück. Und dann glaubte sie, ihr Herz müsse stehen bleiben.

      Roberta sah, wie ein kleines Kind unaufhaltsam den Hügel hinunterkletterte, sich gefährlich dem Ufer näherte.

      Roberta begann zu rufen, zu winken.

      Die Frauen unterhielten sich weiter.

      Das Kind kam dem Wasser immer näher.

      Roberta stand auf, das Boot schwankte ganz bedenklich. Sie schrie noch lauter, winkte noch heftiger.

      Es war nicht zu fassen!

      Eine der Frauen winkte doch tatsächlich zurück, ehe sie sich erneut ihrer Gesprächspartnerin zuwandte.

      Das konnte wirklich nicht wahr sein!

      Roberta setzte sich wieder hin, dann ruderte sie los, als gelte es, olympisches Gold zu gewinnen.

      Auf das Ufer zu!

      Dabei behielt sie das Kind im Auge, das immer schneller wurde, ganz offensichtlich fasziniert vom Wasser und den darauf schwimmenden Enten.

      Und dann …

      Roberta schloss für eine Schrecksekunde die Augen, als sie sah, wie das Kind ins Wasser stürzte.

      Sie begann zu handeln!

      Die beiden jungen Frauen standen noch immer gut gelaunt beieinander und unterhielten sich.

      Es war nicht zu fassen.

      Roberta sprang, ohne weiter zu überlegen, ins Wasser, schwamm auf das Kind zu und konnte es gerade noch packen, ehe es untertauchte.

      Sie zog es nach oben, brachte es ans Ufer, und dort versuchte sie, es aus seiner Schockstarre zu befreien.

      Das Kind kam zu sich, sah das fremde Gesicht und begann lautstark zu schreien. Roberta, die gut mit Kindern umgehen konnte, war nicht in der Lage, es zu beruhigen.

      Das Geschrei bekamen endlich auch die beiden Frauen mit. Eine von ihnen, ganz eindeutig die Mutter, kam den Hügel hinuntergelaufen.

      »Mein Herzblättchen, was machst du denn für Sachen?«, rief die junge Frau. »Du darfst doch nicht so nahe ans Wasser gehen. Du wärst hineingefallen, wenn die nette Dame das nicht verhindert hätte.«

      Was war das denn jetzt für ein Film?

      Roberta starrte die Frau an. Wie war die denn drauf?

      Sah sie nicht, dass ihr Kind klitschnass war?

      »Das Herzblättchen war im Wasser«, sagte Roberta, »und wenn ich nicht zufällig hinzugekommen wäre, hätte es böse ausgehen können. Sie sollten in Zukunft besser auf Ihr Kind aufpassen.«

      Für sie gab es hier nichts mehr zu tun. Sie hatte ein ganz anderes Problem.

      Ihr Boot trieb ab!

      Auch das noch. Sie hatte keine andere Wahl, als erneut ins Wasser zu springen und auf das Boot zuzuschwimmen.

      Die Kindesmutter rief ihr etwas hinterher, doch das bekam Roberta schon überhaupt nicht mehr mit.

      Sie hatte das Boot erreicht, hievte sich hinein. Dort blieb sie erst einmal sitzen, atmete tief durch.

      Sie war pitschnass, um sie herum bildeten sich große ­Wasserlachen. Na klar, sie war schließlich in voller Montur ins Wasser gesprungen. Das war nicht schlimm, eines allerdings war dumm. Sie hatte vergessen, ihr Handy aus der Hosentasche zu nehmen.

      Das tat sie jetzt.

      Natürlich war es ebenfalls vollkommen nass, und im Inneren des Displays befand sich Wasser.

      Ob es noch zu retten war?

      Darüber machte Roberta sich jetzt keine Gedanken. Ein Handy war zu ersetzen, ein Menschenleben nicht. Wäre sie nicht zufällig hinzugekommen, dann wäre das Kind vor den Augen seiner Mutter ertrunken, und die hätte es nicht einmal bemerkt.

      Es war alles so unheimlich schnell gegangen, dass Roberta nicht einmal wusste, ob sie einem Jungen oder einem Mädchen das Leben gerettet hatte. Sie war einzig und allein auf das fixiert gewesen, was in einem solchen Fall zu tun war.

      Es fühlte sich gut an, rechtzeitig vor Ort gewesen zu sein, und es war beinahe so, als sei sie dorthin geführt worden, um das Kind zu retten.

      Eigentlich hatte sie nicht in diese Richtung rudern wollen.

      Nicki würde jetzt von Vorbestimmung oder so was reden, diesen Zwischenfall würde sie in ihrem nächsten Telefonat ausklammern, weil sie es mit den Fügungen, Führungen und Vorbestimmungen nicht so hatte.

      Sie war zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen, zum Glück!

      Roberta ruderte in eine Ecke, wo der See einen Knick machte, wo sich eine bewaldete Landzunge in den See schob. Dort ruderte sie dicht an das Ufer heran und begann, sich auszuziehen und ihre nassen Sachen auszuwringen.

      Ihre Schuhe waren voller Wasser. Es platschte richtig, als sie das in den See kippte.

      Die Schuhe konnte sie vergessen, die waren dahin, und die musste sie jetzt auch nicht mehr anziehen.

      Es war sehr unangenehm, wieder die nassen Sachen anziehen zu müssen, aber sie ­hatte keine Wahl. Sie konnte schlecht nackt das Boot zurückbringen und dann nackt durch den Sonnenwinkel laufen.

      Wie auch immer, da musste sie jetzt durch.

      Ein bisschen peinlich würde die Begegnung mit dem Bootsverleiher werden. Roberta sah jetzt schon sein breites, spöttisches Grinsen, wenn sie, nass wie ein begossener Pudel, das Boot zurückbrachte.

      Was sollte sie dem jungen Mann erzählen?

      Dass sie ins Wasser gefallen war?

      Dass sie mal kurz ausprobieren wollte, wie es sich anfühlte, voll bekleidet ins Wasser zu springen?

      Nichts davon.

      Sie würde gar nichts sagen. Mit Schweigen, mit den Mund halten, war sie bislang in ihrem Leben immer am besten gefahren.

      Verrückt, dass ihr in diesem Augenblick ihre Freundin Nicki einfiel, die selbstverständlich auch dazu wieder einen Spruch auf Lager hätte zu »Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.«

      Sie entschied sich für Gold, und so ruderte sie zum Bootsverleih, stieg aus dem Boot,


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