Der neue Sonnenwinkel Staffel 1 – Familienroman. Michaela Dornberg
gewesen war, vertrauter. Heinz durfte niemals erfahren, dass sie sich in der Villa manchmal vorkam wie eine Besucherin. Er würde sie für undankbar halten. Aber so war es wirklich.
Sie stieg in ihren Sportwagen, dann fuhr sie in die Stadt, die Fahrzeit von gut einer Stunde würde sie gern täglich in Kauf nehmen. Sie liebte die Stadt und war in Hohenborn niemals so richtig heimisch geworden, auch wenn sie dort wer war.
Warum hatte man Heinz ausgerechnet in einer Kleinstadt ein Notariat zugewiesen und nicht in der Stadt?
Sie konnte sich eigentlich nur damit trösten, dass er in der Stadt, wo es viele Notare gab, nicht so weit gekommen wäre.
Je näher sie der Stadt kam, umso wohler fühlte Rosmarie sich.
Was würde sie als erstes tun?
In der Jupiter-Lounge einen Cappuccino trinken?
Versuchen, die Schuhe zu bekommen, die sie in der Vogue gesehen hatte und die ihr seither nicht mehr aus dem Sinn gingen?
Sollte sie versuchen, im »Figaro« einen Termin zu bekommen, um sich mal wieder ordentlich die Haare schneiden zu lassen? Da sie nichts von dem unverhofften Glück gewusst hatte, in die Stadt fahren zu können, hatte sie natürlich auch keine Termine machen können. Und die Mitarbeiter des »Figaro« waren Wochen im Voraus ausgebucht.
Der Friseur, das musste Priorität haben, und da er direkt neben dem Parkhaus war, in dem sie vorzugsweise parkte, würde sie einen Vorstoß wagen. Sie war dort bekannt, in erster Linie wegen der großzügigen Trinkgelder, die sie gab. Wenn man eine Möglichkeit sah, sie dazwischenzuschieben, würde man es tun.
Ihre Laune besserte sich noch mehr.
Und dann würde sie sich ein paar Outfits kaufen. Ihre Lieblingsverkäuferin hatte ein Händchen für das, was ihr stand und holte immer das Edelste für sie hervor.
Es ging ihr so richtig gut, dachte sie, als sie ein vor ihr fahrendes Auto überholte, was mit einem Wagen wie ihrem eine Leichtigkeit war. Er hatte allerhand PS unter der Motorhaube. Für sie war es wichtig, ihren Kindern stand danach nicht der Sinn, und deswegen waren sie auch nicht voller Bewunderung.
Sowohl Fabian als auch Stella benutzten die typischen Familienkutschen, und mehr noch, sie fuhren sie, bis sie nicht mehr durch den TÜV kamen.
»Mama, Autos sind Beförderungsmittel«, hatte Fabian einmal gesagt, als er sie dabei ertappt hatte, wie sie Autokataloge durchblätterte. »Schrecklich, dass es für dich Statussymbole sind.«
Ob nun Statussymbole oder nicht. Es gefiel ihr, sich immer wieder neue Autos kaufen zu können, und sie genoss es auch, dass ihr Umfeld voller Bewunderung war. Bis auf ihre Kinder … Nun ja, die Auerbachs und die von Roths konnte sie damit auch nicht beeindrucken, aber die waren eh anders gestrickt und begeisterten sich für andere Dinge, für Bilder, vor allem für Bücher, die sie verschlangen. Sie las nicht so gern, sah sich lieber einen Film im Fernsehen an, oder sie lud sich einen Film herunter, wenn sich in den Programmen nichts Gescheites sehen ließ.
Rosmarie nahm rasant die Ausfahrt, und dann musste sie hart bremsen, weil sich vor ihr ein Stau gebildet hatte. Nanu? Was war das denn? Das hatte es noch nie gegeben.
Tja, so war es halt im Leben. Es gab immer ein erstes Mal. Sie hatte zwar keinen Termin, doch die Zeitverzögerung war ärgerlich.
Es kam noch schlimmer.
Die Zufahrt zur Innenstadt war gesperrt, man musste eine Umleitung nehmen, was zur Folge hatte, dass sie auch nicht in dem von ihr bevorzugten Parkhaus parken konnte.
Sie kannte sich ganz gut aus, doch die Gegend, durch die sie fahren musste, war ganz und gar nicht ihre Rennstrecke.
Rosmarie fuhr erst einmal rechts ran, um ihr Navi zu aktivieren, das sie sonst nicht brauchte, weil sie sich auskannte.
Ehe sie das tat, entdeckte sie ein kleines Café, es war zwar nicht die Lounge, aber sie brauchte jetzt einen doppelten Espresso.
Das Cafè war erstaunlich gut besucht, meist von jungen Leuten, und der Espresso war hervorragend, da konnte man nicht meckern.
Rosmarie entspannte sich wieder, und sie wurde ganz aufgeregt, als sie mitbekam, wie sich zwei junge Frauen am Nebentisch darüber unterhielten, dass direkt um die Ecke ein cooler Schuhladen eröffnet worden war, der sogar Schuhe der Edelmarke »Belani« führte.
Das war doch genau das, was sie haben wollte, Schuhe von Belani!
Sofort bekam sie glänzende Augen, sie rief die Bedienung, bezahlte, und dann lief sie um die Ecke.
Sie entdeckte das Geschäft sofort, nicht nur das, es gab ringsum Läden, die Edelmarken führten.
Hier war ein neues Szeneviertel entstanden, und sie hatte bislang nichts davon mitbekommen, weil sie immer eingefahrene Wege gegangen war. Im Grunde genommen konnte sie jetzt froh sein, dass man sie umgeleitet hatte.
Sie las Markennamen, die sie kannte und liebte.
Sie würde in all diese Geschäfte hineingehen, vergessen waren Friseur und der ihr vertraute Modeladen.
Rosmarie wollte gerade das Schuhgeschäft betreten, als sie innehielt. Ihr stockte der Atem. Sie glaubte ihren Augen kaum zu trauen.
Es durfte nicht wahr sein!
Auf der anderen Straßenseite sah sie ihren Ehemann Heinz Rückert.
Und von wegen dringender Geschäftstermin.
Er war nicht allein!
An einer Seite war eine sehr junge, sehr attraktive Frau, die vom Alter her seine Tochter hätte sein können.
Die beiden schienen sehr vertraut miteinander zu sein.
Sie lachten. Das junge Ding schmiegte sich an ihn.
Und er hatte einen Arm um ihre Schulter gelegt.
Liebevoll?
Besitzergreifend?
Sie wusste es nicht, sie wusste in diesem Augenblick nur dass Heinz, von dem sie so etwas niemals für möglich gehalten hätte, sie betrog!
Was sollte sie jetzt tun?
Über die Straße laufen, ihn zur Rede stellen?
Dem jungen Ding sagen, dass sie es mit einem verheiratetem Mann trieb?
Sie blieb wie angewurzelt stehen, nicht fähig, sich zu bewegen, und als sie sah, wie die Beiden ein Juweliergeschäft betraten, war alles vorbei.
Rosmarie Rückert sank in sich zusammen, und wäre nicht geistesgegenwärtig eine junge Frau hinzugesprungen und hätte sie aufgefangen, dann wäre sie ganz böse auf dem Boden aufgeschlagen.
»Ist Ihnen nicht gut?«, erkundigte sich eine besorgte Stimme, »soll ich einen Notarzt rufen?«
Um Gottes willen!
Das nun gar nicht!
Rosmarie riss sich zusammen, diszipliniert war sie ja. »Danke für Ihre Hilfe, es ist alles in Ordnung, nur ein … nur ein kleiner Schwächeanfall.«
Die junge Frau glaubte ihr nicht, vermutlich weil sie trotz ihrer Schminke blass war.
»Ich helfe Ihnen gern. Soll ich Sie irgendwohin bringen?«, erkundigte sie sich.
Rosmarie bedankte sich, dann flüchtete sie in das Schuhgeschäft, ließ sich auf einen der Stühle fallen, bekam nicht mit, wie sich eine Verkäuferin nach ihren Wünschen erkundigte. Ja, sie bekam nicht einmal mit, dass genau diese Schuhe, das Objekt ihrer Begierde, direkt vor ihr in einer Vitrine standen.
*
Als sie sich wieder einigermaßen gefangen hatte, verließ Rosmarie den Laden wieder, ohne etwas wahrgenommen zu haben. Es stand ihr jetzt wahrhaftig nicht nach einem Schuhkauf. Sie hatte ganz andere Probleme. Ihr Ehemann betrog sie, und wie sicher er sich gefühlt hatte.
Klar, wenn man so lange verheiratet war wie sie, wenn man einander so gut kannte, dann