System des transzendentalen Idealismus. Friedrich Wilhelm Schelling

System des transzendentalen Idealismus - Friedrich Wilhelm Schelling


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Was ist denn nun jenes Ich, für welches das andere eingeschränkt sein soll? Ohne Zweifel ein Uneingeschränktes; das Ich also soll begrenzt werden, ohne daß es aufhöre, unbegrenzt zu sein. Es fragt sich, wie dieses denkbar sei.

      Daß das Ich nicht nur begrenzt sei, sondern auch sich selbst anschaue als solches, oder daß es, indem es begrenzt wird, zugleich unbegrenzt sei, ist nur dadurch möglich, daß es sich selbst als begrenzt setzt, die Begrenzung selbst hervorbringt. Das Ich bringt die Begrenzung selbst hervor, heißt: das Ich hebt sich selbst als absolute Tätigkeit, d.h. es hebt sich überhaupt auf. Dies ist aber ein Widerspruch, der aufgelöst werden muß, wenn nicht die Philosophie in ihren ersten Prinzipien sich widersprechen soll.

      e) Daß die ursprünglich unendliche Tätigkeit des Ichs sich selbst begrenze, d.h. in eine endliche verwandle (in Selbstbewußtsein), ist nur dann begreiflich, wenn sich beweisen läßt, daß das Ich als Ich unbegrenzt sein kann, nur insofern es begrenzt ist, und umgekehrt, daß es als Ich begrenzt, nur insofern es unbegrenzt ist.

      f) In diesem Satz sind zwei andere enthalten.

      A. Das Ich ist als Ich unbegrenzt, nur indem es begrenzt wird.

      Es fragt sich, wie so etwas sich denken lasse.

      aa) Das Ich ist alles, was es ist, nur für sich selbst. Das Ich ist unendlich, heißt also, es ist unendlich für sich selbst. - Man setze einen Augenblick, das Ich sei unendlich, aber ohne es für sich selbst zu sein, so wäre zwar ein Unendliches, aber dieses Unendliche wäre nicht Ich. (Man versinnliche sich das Gesagte durch das Bild des unendlichen Raums, der ein Unendliches ist, ohne Ich zu sein, und der gleichsam das aufgelöste Ich, das Ich ohne Reflexion, repräsentiert.)

      bb) Das Ich ist unendlich für sich selbst, heißt: es ist unendlich für seine Selbstanschauung. Aber das Ich, indem es sich anschaut, wird endlich. Dieser Widerspruch ist nur dadurch aufzulösen, daß das Ich in dieser Endlichkeit sich unendlich wird, d.h. daß es sich anschaut als ein unendliches Werden.

      cc) Aber ein Werden läßt sich nicht denken als unter Bedingung einer Begrenzung. Man denke eine unendlich produzierende Tätigkeit als sich ausbreitend ohne Widerstand, so wird sie mit unendlicher Schnelligkeit produzieren, ihr Produkt ist ein Sein, nicht ein Werden. Die Bedingung alles Werdens also ist die Begrenzung oder die Schranke.

      dd) Aber das Ich soll nicht nur ein Werden, es soll ein unendliches Werden sein. Damit es ein Werden sei, muß es beschränkt sein. Damit es ein unendliches Werden sei, muß die Schranke aufgehoben werden (Wenn die produzierende Tätigkeit nicht über ihr Produkt [ihre Schranke] hinausstrebt, so ist das Produkt nicht produktiv, d.h. es ist kein Werden. Wenn aber die Produktion in irgend einem bestimmten Punkte vollendet, die Schranke also aufgehoben ist [denn die Schranke ist nur im Gegensatz gegen die Tätigkeit, die über sie hinausstrebt], so war die produzierende Tätigkeit nicht unendlich.) Die Schranke soll also aufgehoben werden und zugleich nicht aufgehoben werden. Aufgehoben, damit das Werden ein unendliches, nicht aufgehoben, damit es nie aufhöre, ein Werden zu sein.

      ee) Dieser Widerspruch kann nur durch den Mittelbegriff einer unendlichen Erweiterung der Schranke aufgelöst werden. Die Schranke wird aufgehoben für jeden bestimmten Punkt, aber sie wird nicht absolut aufgehoben, sondern nur ins Unendliche hinausgerückt.

      Die (ins Unendliche erweiterte) Begrenztheit ist also Bedingung, unter welcher allein das Ich als Ich unendlich sein kann.

      Die Begrenztheit jenes Unendlichen ist also unmittelbar durch seine Ichheit, d.h. dadurch gesetzt, daß es nicht bloß ein Unendliches, sondern zugleich ein Ich, d.h. ein Unendliches für sich selbst ist.

      B. Das Ich ist begrenzt nur dadurch, daß es unbegrenzt ist.

      Man setze, dem Ich werde eine Grenze gesetzt ohne sein Zutun. Diese Grenze falle in jeden beliebigen Punkt C. Geht die Tätigkeit des Ichs nicht bis zu diesem Punkt, oder gerade nur bis zu diesem Punkt, so ist er keine Grenze für das Ich. Allein daß die Tätigkeit des Ichs auch nur bis zu dem Punkt C gehe, kann man nicht annehmen, ohne daß es ursprünglich ins Unbestimmte hin, d.h. unendlich tätig sei. Der Punkt C existiert also für das Ich selbst nur dadurch, daß es über ihn hinausstrebt, aber jenseits dieses Punktes liegt die Unendlichkeit, denn zwischen dem Ich und der Unendlichkeit liegt nichts als dieser Punkt. Also ist das unendliche Streben des Ichs selbst Bedingung, unter welcher es begrenzt wird, d.h. seine Unbegrenztheit ist Bedingung seiner Begrenztheit.

      g) Aus den beiden Sätzen A und B wird auf folgende Art weiter geschlossen:

      aa) Wir konnten die Begrenztheit des Ichs nur deduzieren als Bedingung seiner Unbegrenztheit. Nun ist aber die Schranke Bedingung der Unbegrenztheit nur dadurch, daß sie ins Unendliche erweitert wird. Aber das Ich kann die Schranke nicht erweitern, ohne auf sie zu handeln, und nicht auf sie handeln, ohne daß sie unabhängig von diesem Handeln existiert. Die Schranke wird also reell nur durch das Ankämpfen des Ichs gegen die Schranke. Richtete das Ich nicht seine Tätigkeit dagegen, so wäre sie keine Schranke für das Ich, d.h. (weil sie nur negativ - in bezug auf das Ich setzbar ist) sie wäre überhaupt nicht.

      Die Tätigkeit, welche gegen die Schranke sich richtet, ist nach dem Beweis von B. keine andere, als die ursprünglich ins Unendliche gehende Tätigkeit des Ichs, d.h. diejenige Tätigkeit, welche allein dem Ich jenseits des Selbstbewußtseins zukommt.

      bb) Nun erklärt aber diese ursprünglich unendliche Tätigkeit allerdings, wie die Schranke reell, nicht aber, wie sie auch ideell werden, d.h. sie erklärt wohl das Begrenztsein des Ichs überhaupt, nicht aber sein Wissen um die Begrenztheit, oder sein Begrenztsein für sich selbst.

      cc) Nun muß aber die Schranke zugleich reell und ideell sein. Reell, d.h. unabhängig vom Ich, weil das Ich sonst nicht wirklich begrenzt ist, ideell, abhängig vom Ich, weil das Ich sonst sich nicht selbst setzt, anschaut als begrenzt. Beide Behauptungen, die, daß die Schranke reell, und die, daß sie bloß ideell sei, sind aus dem Selbstbewußtsein zu deduzieren. Das Selbstbewußtsein sagt, daß das Ich für sich selbst begrenzt sei; damit es begrenzt sei, muß die Schranke unabhängig sein von der begrenzten Tätigkeit, damit begrenzt für sich selbst, abhängig vom Ich. Der Widerspruch dieser Behauptungen ist also nur aufzulösen durch einen Gegensatz, der im Selbstbewußtsein selbst statthat. Die Schranke ist abhängig vom Ich, heißt: es ist in ihm eine andere Tätigkeit außer der begrenzten, von welcher sie unabhängig sein muß. Es muß also außer jener ins Unendliche gehenden Tätigkeit, die wir, weil sie allein reell begrenzbar ist, die reelle nennen wollen, eine andere im Ich sein, die wir die ideelle nennen können. Die Schranke ist reell für die ins Unendliche gehende, oder - weil eben diese unendliche Tätigkeit im Selbstbewußtsein begrenzt werden soll - für die objektive Tätigkeit des Ichs, ideell also für eine entgegengesetzte, nichtobjektive, an sich unbegrenzbare Tätigkeit, welche jetzt genauer charakterisiert werden muß.

      dd) Es sind außer jenen beiden Tätigkeiten, deren eine wir vorerst bloß postulieren als notwendig zur Erklärung der Begrenztheit des Ichs, keine andern Faktoren des Selbstbewußtseins gegeben. Die zweite ideelle oder nichtobjektive Tätigkeit muß also von der Art sein, daß durch sie zugleich der Grund des Begrenztwerdens der objektiven und des Wissens um dieses Begrenztsein gegeben ist. Da nun die ideelle ursprünglich nur als die anschauende (subjektive) von jener gesetzt ist, um durch sie die Begrenztheit des Ichs als Ich zu erklären, so muß angeschaut– und begrenzt werden für die zweite, objektive Tätigkeit eins und dasselbe sein. Dies ist zu erklären aus dem Grundcharakter des Ich. Die zweite Tätigkeit, wenn sie Tätigkeit eines Ich sein soll, muß zugleich begrenzt werden und angeschaut werden als begrenzt, denn eben in dieser Identität des Angeschautwerdens und Seins liegt die Natur des Ich. Dadurch, daß die reelle Tätigkeit begrenzt ist, muß sie auch


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