Der kleine Fürst Staffel 5 – Adelsroman. Viola Maybach

Der kleine Fürst Staffel 5 – Adelsroman - Viola Maybach


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was es mit dem Bild der unbekannten Frau auf sich hatte, um das der Streit zwischen Clara und Leonid überhaupt erst entbrannt war. Als Anna und Christian später mit Togo noch eine Runde durch den Schlosspark drehten, kam Anna darauf zu sprechen. »Was glaubst du, wer die Frau auf dem Bild ist, Chris?«

      Der kleine Fürst hatte über diese Frage auch schon nachgedacht. »Ich weiß es nicht, aber ich finde, dass sie Leonid ein bisschen ähnlich sah.«

      Anna starrte ihn an, dann rief sie: »Genau! Und ich habe das nicht gemerkt – Chris, du bist genial, dabei bin doch eigentlich ich die gute Beobachterin!«

      Togo, der nicht begriff, warum Anna so laut wurde, fing an zu bellen, und sie hatten alle Mühe, ihn wieder zu beruhigen. Danach ging ihnen auf, dass ihnen diese zweifellos gute Beobachtung leider auch nicht weiterhalf, die Rätsel, die diese Geschichte aufgab, zu lösen.

      *

      »Danke, Lili«, sagte Irina einige Tage später müde und ohne den Blick zu heben, nachdem die junge Frau eine Tasse Tee vor sie auf den Tisch gestellt hatte.

      »Sie dürfen sich nicht so quälen«, erwiderte Lili. »Wenn ich Ihnen doch nur helfen könnte, Frau Mahler! Sie haben so viel für mich und meine Familie getan, und jetzt muss ich mit ansehen, wie es Ihnen schlecht geht. Das ist … das ertrage ich nicht.«

      Jetzt sah Irina doch auf. »Entschuldigen Sie, Lili, ich sollte mich nicht so gehen lassen, aber meine Vergangenheit ist plötzlich wieder lebendig geworden, und nun plage ich mich mit Geistern herum.«

      Bevor Lili etwas erwidern konnte, klingelte es an der Tür. Irina fuhr zusammen und wurde aschfahl. »Sehen Sie nach, wer da ist«, bat sie.

      Lili kam gleich darauf zurück. »Es ist Frau von Bethmann.«

      Langsam kehrte die Farbe in Irinas Wangen zurück. Sie stand auf und schickte sich an, das Zimmer zu verlassen. »Bitten Sie sie herein, Lili. Ich … komme gleich.«

      Als sie zehn Minuten später wieder erschien, war ihr der überstandene Schrecken nicht mehr anzusehen, und ein schnell aufgetragenes Make-up überdeckte die Spuren von Müdigkeit und Tränen. »Clara«, sagte sie, »Wie schön, Sie zu sehen.«

      Clara umarmte sie. Normalerweise wäre ihr die Traurigkeit in den Augen ihrer älteren Freundin sicherlich aufgefallen, sie hätte die belegte Stimme bemerkt, das bemühte Lächeln, doch an diesem Tag war sie mit ihren eigenen Prob­lemen beschäftigt. »Ich muss mit Ihnen reden, Frau Mahler«, sagte sie. »Es hat mit mir zu tun – und mit einem Mann, den ich eigentlich gar nicht kenne, der mich aber trotzdem wahnsinnig macht. Darf ich Ihnen davon erzählen?«

      Irina nickte, sie war sogar froh über Claras Ansinnen. Es schien sich um eine Liebesgeschichte zu handeln, die würde sie ablenken – und zugleich musste sie selbst erst einmal nichts sagen, sondern nur zuhören. »Erzählen Sie, Clara.«

      Aber schon nach Claras erstem Satz wusste sie, dass es mit dem ruhigen Zuhören nichts werden würde: »Der Mann ist ein Graf aus St. Petersburg, er heißt Leonid von Zydar. Ich habe Ihnen neulich nichts von ihm erzählt – und auch nichts von dem Bild, das ich auf der Auktion entdeckt habe. Eine Frau war darauf, die Ihnen sehr ähnlich sah, und deshalb wollte ich das Bild unbedingt haben, um es Ihnen zu schenken. Und dann kam dieser russische Graf und hat es mir

      weggeschnappt. Was aber das Schlimmste an der Sache ist: Ich glaube, ich habe mich in ihn verliebt, denn als ich nach Sternberg kam, war er auch da, stellen Sie sich das vor! Und jetzt muss ich dauernd an ihn denken, dabei nimmt er mich überhaupt nicht ernst …«

      Irina schloss zwischendurch die Augen. Johannes von Thalbach hatte Recht: Sie musste sich zuerst mit Leonid aussprechen. Das Bild hatte genug Ärger und Verwirrung gestiftet, es wurde Zeit, dass sie dem ein Ende bereitete.

      »Was soll ich denn jetzt tun?«, fragte Clara am Ende ihrer langen Rede und richtete ihre Augen hoffnungsvoll auf Irina.

      »Warten«, antwortete Irina mechanisch. Als sie die Enttäuschung in Claras Augen sah, setzte sie hinzu: »Ich kenne Graf Leonid, Clara, mehr kann ich dazu im Augenblick noch nicht sagen. Er hatte also durchaus einen Grund, das Bild haben zu wollen – genau wie Sie.«

      »Sie kennen ihn?«, fragte Clara entgeistert. »Aber woher denn? Sie gehen doch fast nie aus – und er ist noch gar nicht lange hier.«

      »Ich kenne ihn von früher«, erwiderte Irina. »Und jetzt bitte ich Sie um Geduld – ich kann Ihnen noch nicht mehr erzählen, zuerst muss ich mit ihm reden. Er weiß nicht, dass ich hier lebe.«

      Clara biss sich auf die Lippen. »Ich komme mir so dumm vor«, sagte sie leise. »Ich habe ihn fürchterlich beschimpft wegen des Bildes. Später, auf Sternberg, sind wir uns dann plötzlich einmal sogar sehr nahe gekommen, aber

      dann …« Sie stockte, ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Ich wollte mich überhaupt nicht in ihn verlieben!«, klagte sie. »Wieso ist mir das dann trotzdem passiert?«

      Irinas Blick wurde leer. »So ist das eben manchmal mit der Liebe«, erwiderte sie. »Man will sie gar nicht haben, aber sie kommt trotzdem.«

      Sie fasste ihren Entschluss, bevor Clara sich schließlich verabschiedete.

      *

      »Erklär mir, warum wir jetzt unbedingt nach Sternberg fahren müssen, Leo«, bat Johannes. Irina Mahler hatte sich nicht mehr bei ihm gemeldet – und mit Leonid hatte sie bisher auch nicht gesprochen, dessen war er sicher, denn sonst hätte sein Freund sich anders verhalten. Mehrmals schon war er versucht gewesen, ihr einen Überraschungsbesuch abzustatten, so groß war seine Angst, dass sie beschlossen hatte, erneut zu verschwinden. Im Verschwinden hatte sie ja Übung …

      Aber er hatte sich beherrscht und dazu gezwungen, zu warten, bis sie auf ihn zukam. Sie hatte es ihm versprochen, und er wollte gern glauben, dass sie ein Mensch war, der hielt, was er versprach.

      »Ich habe das verflixte Bild im Kofferraum«, erklärte Leonid. »Und ich habe beschlossen, dir und den Sternbergern zu erzählen, was es damit auf sich hat. Bisher habe ich meine Nachforschungen allein angestellt, aber jetzt scheine ich gegen eine Wand zu laufen – ich komme nicht weiter. Und da ihr die einzigen Menschen seid, denen ich hier vertraue, möchte ich euch einweihen. Das ist alles. Ich erhoffe mir eure Hilfe, nicht mehr und nicht weniger.«

      Johannes biss sich auf die Lippen. Musste er jetzt nicht eigentlich sagen, dass er die Geschichte bereits kannte, die Leonid erzählen würde – wenn auch aus einer anderen Perspektive? Er fühlte sich hin- und hergerissen zwischen seiner Freundschaft zu dem jungen Grafen und dem Schweigeversprechen, das er Irina Mahler gegeben hatte. Er fühlte sich beiden verpflichtet, konnte aber nicht in beiden Fällen das Richtige tun. Endlich fragte er: »Wissen Sofia und Fritz, dass wir kommen?«

      »Ja, und diese klugen Kinder, die mehr beobachten, als einem lieb sein kann, wissen es auch. Ich will, dass sie dabei sind.«

      Johannes schwieg eine Weile, dann fragte er: »Was ist eigentlich an diesem Wochenende auf Sternberg passiert, dass du seitdem so gereizt bist? Und was sollte die Bemerkung eben mit den Kindern, die zu viel beobachten?«

      »Passiert, passiert!«, murmelte Leonid. »Sie hat mir den Kopf verdreht, das ist passiert. Seit dieser Auktion läuft einfach alles schief, Jo – vorher hatte ich keine Probleme, und jetzt habe ich gleich einen ganzen Haufen davon. Und nicht genug damit, dass ich dauernd an sie denken muss, diese Kinder – es sind ja gar keine Kinder mehr, sie sind Teenager, Anna und Christian – die haben das auch noch mitgekriegt! Dabei habe ich versucht, mir nichts anmerken zu lassen.«

      »Langsam, langsam«, bat Johannes. »Ich kann dir im Augenblick nicht ganz folgen. Wer hat dir den Kopf verdreht?«

      »Clara von Bethmann!« Leonid spuckte den Namen aus, als handelte es sich um etwas Giftiges. »Verdreht mir den Kopf, dass ich mich nicht mehr konzentrieren kann. Etwas Schlimmeres hätte mir überhaupt nicht passieren können!«

      »Sie war auch auf Sternberg?«, fragte Johannes verwundert. »Das wusste ich ja gar nicht.«

      »Sie war doch das Problem!« Da Johannes noch immer


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