Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
Credo, schließen ihre Unterabschnitte entweder auf der Tonika und deren Molltonart oder in den Tonarten der Unterdominantregion, wie die ersten Messen Mozarts. Das Credo hat dafür sogar noch eine immer wiederkehrende, ausdrucksvolle Orchesterformel:
Neben dem Hauptmotiv werden aber auch einzelne Nebengedanken in freier Weise wiederholt, wie das "Deum de Deo" beim "Et iterum venturus est", das "Per quem omnia facta sunt" beim "Qui locutus est", das "Descendit" beim "Et unam sanctam"; auch die sinnreiche Wiederholung von Orchestermotiven fehlt nicht. Bemerkenswert ist endlich auch die fast regelmäßige Abwechslung homophoner und kontrapunktischer Partien, wobei das Hauptmotiv meist, wenn auch nicht immer, Neigung zum Kontrapunkt zeigt – kurz, dieses Credo ist der einheitlichste Messensatz, den Mozart in seiner Jugend geschrieben hat. Auch das Sanctus erhebt sich in seinem frei polyphon gehaltenen, ersten Abschnitt zu bedeutender Höhe: zu einer merkwürdig erregten, echt Mozartschen Synkopenbegleitung scheinen die himmlischen Scharen sich von allen Seiten zum Lobgesang heranzudrängen – das "Osanna" fällt leider daraufhin wieder stark ins Konventionelle. Dagegen hält das in knapper Dreiteiligkeit gehaltene "Benedictus" den Ton verträumter Anmut fest, ohne ins opernhaft Süßliche zu geraten. Im "Agnus Dei" kommt endlich noch ein dramatischer Zug zum Worte, dem Mozart sonst in dieser Messe ängstlich aus dem Wege geht. Es ist ein Wechselgesang zwischen Solo und Chor, der sein "miserere" in einer manchmal auf den spätesten Mozart hindeutenden Enharmonik emporschickt:
Eine im Schmerze förmlich wühlende, von herben Synkopen begleitete Geigenfigur vervollständigt dieses Bild des Leidens. Allerdings bringt dann das "Dona" nach Form und Gehalt einen überraschenden Rückfall ins unverfälschte Neapolitanertum.
So kreuzen sich in dieser Messe die verschiedensten Bestrebungen. Auf der einen Seite greift Mozart zu dem älteren, charaktervollen Kirchenstil zurück, er sucht die rein musikalischen Auswüchse zu beschneiden und dem Text wieder zu seinem Recht zu verhelfen, auch die weit größere Rolle des Kontrapunkts gehört hierher. Auf der andern Seite liegen ihm aber auch die formalen Errungenschaften der letzten Messe am Herzen, die er mit jenen älteren Zielen zu verquicken strebt. Daß er mit diesen großen, einheitlichen Stimmungsbildern in freier Rondoform die Meßkomposition ganz bedeutend gefördert und damit, z.B. bei M. Haydn64, auch Schule gemacht hat, steht außer allem Zweifel. Daneben steht allerdings noch eine Reihe von Sätzen wie das Kyrie, Osanna und Dona, die rückständig sind und von der alten Anlehnung an Oper und Instrumentalmusik nicht loskommen. So ist das Ganze gewiß ein schönes Denkmal Mozartschen Geistes, allein der Vergleich mit dem Requiem verbietet sich von selbst, nicht allein wegen der höheren Meisterschaft, sondern auch wegen der reicheren Lebenserfahrung, die der Mozart von 1791 vor dem von 1774 voraushatte.
Mozart ist den in der F-Dur-Messe eingeschlagenen Weg nicht weitergegangen. Die D-Dur-Messe vom 8. August 1774 (K.-V. 194, S.I. 7)65 bringt bereits eine Abschwächung jener Grundsätze. Sie gleicht ihrer Vorgängerin in der Instrumentation und im Vermeiden von Textwiederholungen. Aber schon das Streben nach motivischem Zusammenschluß ist zwar vorhanden, äußert sich aber in anderer Weise. Das Kyrie ist ebenfalls dreiteilig und seinem Gehalt nach kirchlich so wenig stichhaltig wie sein Vorgänger, aber thematisch entschieden einheitlicher. Dagegen sind Gloria und Credo wieder weit lockerer im Aufbau; namentlich fordern die bekannten Episoden jetzt ihr altes Recht zurück, im Credo sogar mit dem alten Tempowechsel. Im Gloria kehrt der Hauptgedanke nur einmal, beim "Cum sancto spiritu", wieder, im Credo öfter, aber in ganz eigentümlicher Weise: er schleicht sich nämlich plötzlich gleichsam durch eine Hintertüre ein, wie im "Et resurrexit", oder mit umgestellten Untergliedern, wie im "Et exspecto resurrectionem" nebst Fortsetzung – eine neue, geistvolle Art des Zusammenschlusses, die sich auch späterhin als fruchtbar erweisen sollte. Auffallend ist ferner auch das Fehlen der beiden Schlußfugen, wogegen das "Et resurrexit" mit einem Fugato beginnt, das dann seinerseits im letzten Amen des Credo wiederkehrt. Harmonisch hat diese Messe gleichfalls ihr eigenes Gesicht: sie neigt sich mit besonderer Vorliebe den Molltonarten zu, und zwar auch in Sätzen wie dem "Quoniam" und "Et in spiritum sanctum", die sonst stets in hellem Durton gehalten sind. Diese Mollneigung geht bis ins "Agnus Dei" hinein, wieder einem Wechselgesang, bei dem die Soli in Moll beginnen, während der Chor in Dur antwortet, aber nur um alsbald ebenfalls in die Molltonart hineingezogen zu werden. Von einigen Episoden wie dem ebenso ausdrucksvollen wie wohlgegliederten "Qui tollis" und dem "Et incarnatus"66 abgesehen, ruht die Bedeutung dieser Messe mehr auf den späteren Sätzen, so namentlich dem Sanctus, worin Mozart, offenbar nach J. Haydns Vorbild, das "Pleni sunt" mit dem "Osanna" unmittelbar verbindet. Auch das – gleich den meisten seinesgleichen bei Mozart in der Tonart der Unterdominante stehende – "Benedictus" hat doch trotz seinem italienischen Grundtone in der Melodik und der rhythmischen Gliederung des Textes etwas spezifisch Mozartsches67. Im "Agnus Dei" setzt sich der Charakter des Wechselgesanges bis in das "Dona" hinein fort. Es ist wiederum in Sonatenform und obendrein ziemlich weltlich tanzmäßig, wenn auch gesanglicher gehalten.
Der Anteil des Kontrapunkts an dieser Messe weist, so bedeutend er auch noch ist, doch einen fühlbaren Rückgang gegenüber der F-Dur-Messe auf, wie allein schon der Verzicht auf die beiden Schlußfugen beweist, dagegen wagen sich die Instrumente wieder weit mehr hervor. Der Gesamtcharakter ist mehr gefällig als tief; sie mochte dem Erzbischof entschieden besser behagt haben als ihre Vorgängerin.
Ähnliche Stilwandlungen weist auch die übrige Kirchenmusik Mozarts aus dieser Zeit auf. So ist die Marienlitanei in D-Dur (K.-V. 195, S. II. 3) aus dem Jahre 1774 im Gegensatz zu der letzten durchaus modern gehalten, d.h. mehr lebensfreudig als religiös, und gleich der C-Dur-Messe stark vom Instrumentalstil beeinflußt. Schon das Kyrie ist ein ausgeführter Sonatensatz mit einer bei aller Kürze äußerst ausdrucksvollen, langsamen Einleitung. Der instrumentale Fluß ist so stark, daß er häufig auf die Textworte gar keine Rücksicht mehr nimmt. Dabei ist aber der kontrapunktische Satz sehr geschickt und wirkungsvoll – das Ganze ist ein Musikstück nach dem Herzen der kirchlichen Aufklärung, geistreich und glänzend, ohne Gemüt und Phantasie über Gebühr in Anspruch zu nehmen. Auch das "Sancta Maria," gleichfalls in Sonatenform, schlägt keine tieferen Töne an, nähert sich dagegen in seinen Sologesängen, denen der Chor meist nur sein "ora pro nobis" entgegensetzt, stark der Sphäre der Oper. Dagegen ist das "Salus infirmorum" ein sehr bedeutendes Stück, das sich ganz auf dem Gegensatz zwischen dem leidenschaftlichen Pathos des Chores und dem weicheren Flehen der Solostimmen aufbaut. Beide Parteien haben auch ihre besonderen Begleitmotive im Orchester; der punktierte Rhythmus der Chorbegleitung gemahnt schon an spätere, unter Bachs und Händels Einfluß entstandene Sätze. Nach einem merkwürdig fragenden Übergang folgt das wieder in Sonatenform gehaltene "Regina angelorum", im wesentlichen ein recht opernhaftes Tenorsolo mit respondierendem Chor und reichem Koloraturenschmuck, dem Herkommen. Ebenfalls sehr virtuos, wenn auch weit ausdrucksvoller, ist das Sopransolo, mit dem der Chor im "Agnus Dei" abwechselt; der Satz empfängt seinen eigentümlichen Charakter durch eine Reihe chromatischer Melodiezüge und überraschender harmonischer Wendungen (wie z.B. bei dem schönen "parce nobis"); gegen den Schluß sind besonders auch die dynamischen Gegensätze bemerkenswert.
Die beiden Sätze Dixit und Magnificat (K.-V. 193, S. II. 5) in C-Dur, im Juli 1774 geschrieben, bilden das Anfangs- und Schlußstück einer Vesper, zu der fünf Psalmen und das Magnificat gehörten, der Rest stammte wohl von einem der anderen Salzburger Komponisten. Charakteristisch ist für beide Sätze ein sorgfältiges Eingehen auf den Text; sie gehören zu den am besten deklamierten Stücken aus dieser Zeit. Auch die beiden Schlußfugen sind durchaus gesangsmäßig gehalten. In den übrigen Sätzen ist vom Kontrapunkt nur ein bescheidener, aber um so eindrucksvollerer Gebrauch gemacht. Schon der Anfang zeigt, wie ernst es dem Komponisten mit der genauen Wiedergabe seines Textes ist: ein emphatischer Einsatz aller vier Stimmen, darauf ein kurzes, herrisches Abbrechen der Phrase, gefolgt von den das Wort des Herrn einleitenden Trompeten und Pauken, von denen sich jene auch bei den Worten "Juravit Dominus" bedeutungsvoll hervortun. Im Verlauf des Satzes heftet sich die Phantasie Mozarts besonders an den Gedanken des "confregit". Noch bedeutender ist das Magnificat. Sein Thema, das der Tenor anstimmt, gehört