Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
zu wählen. Nicht ohne Interesse sind aber seine Urteile über andere Geiger, wie über den närrischen Esser, an dem L. Mozart zwar sein seelenvolles Adagiospiel, daneben freilich aber auch seine Vorliebe für allerhand Seiltänzerkunststücke auf der Geige hervorhebt. Bezeichnend ist, daß schon dem sechsjährigen Mozart diese Aufspielereien unangenehm auffielen; kurz und bündig wie immer sagte er ihm damals in Mainz, er spiele gut, mache aber zuviel und solle lieber geigen wie es geschrieben stehe97. Weit später aber (22. November 1777) schreibt er über den damaligen Konzertmeister der Mannheimer Hofkapelle, Ign. Fränzl (1736–1811)98:
"Ich hatte das Vergnügen, den H. Fränzl ... auf der Violin ein Konzert spielen zu hören. Er gefällt mir sehr. Sie wissen, daß ich kein großer Liebhaber von Schwierigkeiten bin. Er spielt schwer, aber man kennt nicht, daß es schwer ist, man glaubt, man kann es gleich nachmachen. Und das ist das Wahre. Er hat auch einen sehr schönen runden Ton; er fehlt keine Note, man hört alles; es ist alles marquirt. Er hat ein schönes staccato, in einem Bogen, sowohl hinauf als herab, und den doppelten Triller habe ich noch nie so gehört wie von ihm. Mit einem Wort: er ist meinethalben kein Hexenmeister, aber ein sehr solider Geiger."
Dieses Urteil ist nicht nur wegen seiner technischen Sachkenntnis, nicht nur wegen des durchdringenden künstlerischen Ernstes wichtig, sondern auch wegen seiner echt Mozartschen, scharfen Bildhaftigkeit: der Mann steht mit seiner Geige leibhaftig vor uns da.
Mozarts erste größere Konzertkomposition für die Violine war das vom 3. Mai 1773 datierte Concertone (K.-V. 190, S. XII. 9) für zwei Soloviolinen und Orchester. Es ist ein Nachzügler des alten Concerto grosso, und es konzertieren darin mit dem Orchester nicht allein die beiden Sologeigen, sondern auch die Oboen, und in schwächerem Maße auch das Violoncello. Die Konzertform ist noch nicht völlig ausgebildet, dagegen die scharfe Scheidung von Soli und Tutti nach Tartinis Art bereits ziemlich reinlich durchgeführt, nur daß Mozart, seinen gesamten Neigungen nach der Rückkehr aus Italien entsprechend, auf kontrapunktische Führung weit mehr Wert legt als die Italiener. Kaum ein Gedanke wird, zumal im ersten Satz, eingeführt, der nicht alsbald imitatorisch weitergesponnen würde. Die Erfindung ist nicht besonders selbständig, sondern stark von den Italienern beeinflußt, ebenso wie die gesamte Geigentechnik und das im "langen Geschmack" der Welschen gehaltene Schlußmenuett, worin der Hauptteil dem Tutti, das Trio dagegen den Solisten überlassen ist. Was Mozart an seiner Aufgabe offenbar am meisten gereizt hat, war das Problem des Konzertierens, und dieses hat er denn auch mit großem Geschick, mannigfaltigem Leben und rühmenswertem Klangsinn gelöst. Das gelungenste Stück ist das Andante, das sich gleich einzelnen Partien des Menuetts auch am meisten dem deutschen Stil nähert, außerdem die konzertierenden Gruppen mit ihren Themen näher aneinanderrückt und so einen reizvollen Dialog entwickelt; freilich vollzieht sich dieses Zwiegespräch in aller Verbindlichkeit, ohne jede Spur dramatischer Erregung.
Ein für ihn besonders verheißungsvolles Gebiet betrat Mozart noch im Dezember desselben Jahres mit dem Klavierkonzert in D-Dur (K.-V. 175, S. XVI. 5)99, das er selbst auf seiner Reise nach Mannheim und Paris mit Vorliebe spielte und noch 1782 mit einem neuen Schlußrondo (K.-V. 382, S. XVI. 28) versah.
Die ersten Klavierkonzerte, die geschrieben wurden, waren im Grunde nichts anderes gewesen als Klavierauszüge von Violinkonzerten für den Laiengebrauch. S. Bach hat bekanntlich eine ganze Reihe fremder Kompositionen in dieser Weise bearbeitet100, aber auch zugleich 1735 nach diesen Vorbildern das Italienische Konzert geschaffen, das erste bedeutende originale Klavierkonzert, wenn auch ohne Orchester. Jedoch hat Bach auch dem vom Orchester begleiteten Klavierkonzert die Bahn gebrochen, und gerade diesen Anregungen ist seine Schule mit besonderem Eifer nachgegangen. Die äußere Form blieb, wie bei dem älteren Violinkonzert, die aus der neapolitanischen Sinfonie erwachsene Dreisätzigkeit, die sich hier, anders als in der Sinfonie, ohne Einschiebsel bis in die moderne Zeit herübergerettet hat. Der Schlußsatz nimmt bei den Wiener Komponisten, Wagenseil voran, mit dem Menuett ein Suitenelement auf, später tritt nach Joh. Christ. Bachs Vorgang das Rondo an seine Stelle, die Lieblingsform der "galanten" Zeit. Dank den zahlreichen Collegia musica fand das Klavierkonzert eine rege Pflege, hier ist ihm auch auf lange Zeit, bis über Mozart hinaus, sein eigentümlicher Charakter aufgeprägt worden. Auch das Konzert blieb vorerst Gesellschaftsmusik, bei der das Laientum den Ton angab, freilich eine Kunst, die durch die feine und geistvolle Geselligkeit des 18. Jahrhunderts von Anfang an hoch über die spätere Salonmusik hinausgehoben wurde. Die weitere Entwicklung wurde vor allem durch das alte Grundproblem der ganzen Gattung, das Verhältnis von Solo und Tutti, bestimmt, dazu gesellte sich sowohl der wachsende Einfluß der neuen Sinfonik, als auch der der grundlegenden Umwälzung, die Klaviertechnik und Klavierspiel mit der Ersetzung des alten Cembalos durch das neue Hammerklavier101 ("Pianoforte") erfuhren. Die Norddeutschen hielten unter Ph. Em. Bach an dem alten Konzertbegriff fest, indem sie Solo und Tutti als vollständig gleichberechtigte Parteien behandelten, wie es ihnen überhaupt wie in der Sonate, so auch im Konzert in erster Linie auf Sachlichkeit und Logik ankam. Gerade für Ph. Em. Bach war das Konzert, so hohe Ansprüche er auch an den Spieler stellte, eine Sache des Geistes und nicht der Sinne, und seine Konzerte sind neben den Sonaten noch heute von hohem musikalischem Werte, gipfelt doch die von ihm vertretene Richtung schließlich in den Klavierkonzerten Beethovens.
In Süddeutschland nahmen die Dinge unter teils italienischen, teils lokalen Einflüssen einen ähnlichen gegensätzlichen Verlauf wie in der Sonate (S. 67 ff.). Bezeichnend ist allein schon, daß die Norddeutschen weit zäher an dem alten Cembalokonzert festhielten, während der Süden sich alsbald von dem neuen Klang des Hammerklaviers gefangennehmen ließen. Schon bei G. Chr. Wagenseil ist das Klavier die Hauptperson im Konzert, und da er außerdem in seiner Thematik den unverfälschten Wiener Lokaldialekt redet, muten uns seine Klavierkonzerte nicht selten wie Divertimenti für Klavier mit begleitendem Orchester an; von einem wirklichen Konzertieren beider Parteien ist kaum noch die Rede. Ähnliche Ziele verfolgte Joh. Christ. Bach, der mit seinen Klavierkonzerten an äußerem Erfolg bald die seines Bruders ausstach und nicht allein für Mozart von der höchsten Bedeutung wurde. Auch er verwischt den Dialogcharakter des Konzertes fast vollständig und legt den Schwerpunkt auf das Klavier, das unter seinen Händen nunmehr alle Reize sowohl des neuen Figuren- und Passagenspiels als namentlich des neuen Gesangstones entfaltet. Zugleich führte er aber die zweiten, gegensätzlichen Themen, die wir schon bei seinen Arienritornellen und Sonaten kennenlernten102, auch in die Konzertallegros ein.
Dieser wichtige Vorstoß des Sonatensatzes in den Bereich des Konzerts hat die Form der ersten Sätze erheblich verändert103 und ihnen bei Bach folgende, typische Form gegeben: 1. Großes Orchestertutti mit zwei selbständigen Themen. 2. Solo auf Grund des ersten Themas mit klaviermäßiger Ausschmückung und meist auch mit Hinzufügung kleiner Nebengedanken. 3. Kürzeres Tutti aus dem Kreis des ersten Themas mit Modulation nach der Dominante. 4. Solo auf Grund des zweiten Themas in der Dominanttonart, ebenfalls mit kleinen Erweiterungen. 5. Kurzes Tutti aus dem Schluß des zweiten Themas. 6. Durchführung auf Grund der bisherigen oder auch neuer Gedanken durch den vom Orchester nur leicht begleiteten Solisten. 7. Reprise der Themengruppe in derselben Folge von Tutti und Solo, nur mit Verkürzung der einzelnen Glieder; dem zweiten Thema folgt die große Kadenz, worauf ein ebenfalls dem zweiten Thema entstammendes Tutti den Satz beschließt.
Diese, wie man sieht, auf dem Prinzip des ersten Sonatensatzes beruhende Form eroberte sich sehr rasch den deutschen Markt mit Ausnahme von Norddeutschland, und auch Mozart hat grundsätzlich nichts daran geändert. Ihr Charakter ist derselbe wie in Bachs gesamter übriger Musik: heitere Lebensfreude, die keine seelischen Spannungen und Krisen kennt, einschmeichelnde und elegante Linienführung und geschickte Ausnützung des sinnlichen Klanges. In Deutschland ist dieser Grundton, dem Einfluß der lokalen Sinfonikerschulen entsprechend, verändert worden, aber Unterhaltungsmusik "den Liebhabern zu Ergötzung" ist das Konzert auch hier bis in Mozarts Reifezeit hinein geblieben.
Trotz aller Anlehnung an das berühmte Muster läßt Mozart in seinem D-Dur-Konzert das Publikum doch wissen, daß er keineswegs gesonnen sei, in ausgelaufenen Geleisen weiterzuwandeln. Das Neue, das er bringt, liegt ebensowohl in dem energischen, sich im Finale bis zum Heroischen