Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert

Wolfgang Amadeus Mozart - Hermann  Abert


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Da werden gleich die kleinen Zwischenglieder des Solisten, die bei Bach noch meist Passagenwerk gewesen waren, zu selbständigen, ausdrucksvollen Tongedanken, die das ganze Tonbild wesentlich vertiefen, erweitert, wie denn überhaupt das rein Virtuose weit weniger selbstherrlich hervortritt als in manchen späteren Konzerten. Aber auch das Orchester greift bedeutungsvoller ein und geht, indem es in der Durchführung und im Schlußtutti immer wieder auf das erste Thema zurückkommt, andere Wege als bei Bach. Hier wirkt der Geist der Haydnschen Sinfonie nach, der die Bachsche Vielgestaltigkeit unter das Gesetz der Einheitlichkeit beugen will. Derselben Form, nur in kleineren Dimensionen, folgt auch das besonders poetische Andante; in seinem Mittelteil weist der spannende Dialog zwischen Klavier und Orchester auf ganz neue Ausdrucksmöglichkeiten hin. Auch verraten die geistvollen Veränderungen der Reprise sowie die individuelle Art der Begleitung des Orchesters einen selbständigen Geist. Namentlich aber mag der letzte Satz das damalige Publikum haben aufhorchen machen, das hier statt des gewohnten heiteren Rondos einen strengen Sonatensatz mit reicher Kontrapunktik als Höhepunkt des ganzen Konzerts zu hören bekam. Auch in diesem bedeutenden Satz ist nicht bloß die freie Behandlung der Form neu, sondern besonders die genial durchgeführte Einheit in der Vielheit. Trotz der Fülle von Nebengedanken wird die im Hauptgedanken ausgedrückte, selbstbewußte Kraft niemals unterbrochen. Mozart hatte recht, wenn er dieses Konzert immer wieder hervorholte; die schönsten Träume seiner jungen Jahre, ein frohes Hinausstürmen ins Leben, vermischt mit holder, an Schwermut streifender Schwärmerei, sind darin beschlossen.

      Das Fagottkonzert in B-Dur (K.-V. 191, S. XII. 11) ist ebenso gebaut, nur daß das Finale ein Rondo mit Menuettcharakter ist; charakteristisch ist dafür, daß nicht, wie früher, alle Seitensätze mit gleichem Recht nebeneinander stehen, sondern daß nach dem großen Mollintermezzo Haupt- und erster Seitengedanke wiederkehren, eine Erinnerung an die Rondos J. Chr. Bachs104. Das Virtuose tritt kräftiger hervor als im Klavierkonzert, der Gesamtcharakter ist leichter und eleganter. In dem Ganzen erkennt man deutlich die Beliebtheit, deren sich das Bläserkonzert noch damals, namentlich in Deutschland, zu erfreuen hatte.

      Unter den Kammermusikkompositionen aus dieser Zeit steht das Quintett in B-Dur für zwei Violinen, zwei Violen und Violoncell (K.-V. 174, S. XIII. 1) zeitlich voran. Das Trio des Menuetts und das Finale liegen in zwei Fassungen vor, was nach Mozarts Gepflogenheit darauf hindeutet, daß er das Stück für eine spätere Aufführung überarbeitet hat. Das Autograph ist vom Dezember 1773 datiert, und es ist sehr wahrscheinlich, daß damit eben jene zweite Bearbeitung gemeint ist105 und die erste Fassung somit in eine frühere Zeit fällt, und zwar bald nach der Rückkehr aus Italien. Dort hatte Mozart die Quintette Sammartinis kennengelernt, in Salzburg fand er bei M. Haydn Muster dafür, und ihnen hat er sich alsbald angeschlossen106. Das Gepräge des Divertimentos trägt unser Stück noch so gut wie die ihm vorangehenden von M. Haydn, auf den auch die drei Codas und das häufige Antwortspiel zwischen erster Geige und erster Bratsche hinweisen. Am wichtigsten aber ist der in den beiden Fassungen erkennbare Fortschritt. Er betrifft weniger das Trio des Menuetts, obwohl der neue Satz mit seinen reizenden Echos dem älteren weit überlegen ist, als die geniale Umarbeitung des Finales auf Grund des vorhandenen Materials. Das Finale war vorher ein heiterer Ausklang des Ganzen gewesen, nun steigt es, wie in den gleichzeitigen Sinfonien und dem Klavierkonzert, zu seinem eigentlichen Höhepunkt auf. Früher hatte es mit dem Sechzehntelthema in einfachem, dreistimmigem Satze begonnen, jetzt schickt ihm Mozart ein neues Thema von Wiener Prägung voraus, als dessen Gegensatz es nunmehr erscheint, aber nicht mehr in schlichter Dreistimmigkeit, sondern kontrapunktisch gesteigert: aus dem harmlosen Spiel entwickelt sich ein großer Komplex, worin sich gegensätzliche Kräfte mit großer Energie messen. Auch das Seitenthema hat einen Zusatz von Kraft bekommen, und am Schluß der Themengruppe stolzieren sogar noch die Bässe allein nach J. Haydns Art mit einer Variante des Hauptthemas einher, die von den zweiten Geigen kanonisch beantwortet wird. Auch die Durchführung ist durch eine beträchtliche Erweiterung einer der längsten Sätze dieser Art bei Mozart geworden. Die erste Hälfte deckt sich mit der alten Fassung, dann aber erscheint plötzlich das neue Hauptthema, und zwar in J. Haydns Weise nicht, wie man zunächst meint, als Beginn der Reprise, sondern als Träger eines neuen Durchführungsteils; erst allmählich wird, zum Teil nach recht verzweifelten Anstrengungen, die Reprise erreicht. Und neu ist endlich auch die Coda, in der der alte Hauptgedanke im forte dem neuen im piano fast dramatisch gegenübergestellt wird. Offenbar war es der durch die Wiener Eindrücke erzeugte Aufschwung in Mozarts Schaffen, der dieses zuerst als Divertimento gedachte Quintett107 im großen sinfonischen Stil enden ließ und seinen ganzen geistigen Schwerpunkt vom ersten auf den letzten Satz verschob.

      Unter dem frischen Eindruck der Wiener Kammermusik, besonders der beiden Quartettserien von J. Haydn op. 17 (1771) und 20, der sog. "Sonnenquartette" (1773108), stehen die sechs im August und September 1773, vielleicht auf Bestellung geschriebenen Streichquartette (K.-V. 168–173, S. XVIII 8–13), die ersten viersätzigen Quartette Mozarts (mit Menuetten); einige kleinere Abweichungen von der Form, wie die Schlußfugen (K.-V. 168, 173), die Variationen als erster Satz (K.-V. 170) und die Adagioeinleitung (K.-V. 171)109, gehören ebenfalls auf Haydns Rechnung. Als Schlußsätze treten neben den Sonatensätzen auch Rondos auf. Auch bei der inneren Einrichtung hat Haydn Pate gestanden, vor allem gehen die streng thematischen Durchführungen der ersten Sätze auf ihn zurück110, wenngleich auch hier die alte Sequenzenarbeit noch deutlich hindurchschimmert, ein Beweis dafür, daß Mozart auch jetzt noch nicht völlig in den Geist der Haydnschen Auslegekunst eingedrungen war. Endlich wird auch die Gedanken- und Stimmungswelt des älteren Meisters mehr als einmal gestreift. Nicht allein die Menuette enthalten Proben des bisweilen ins Bizarre spielenden Haydnschen Humors, der Mozart von Hause aus fremd ist, auch in den langsamen Sätzen sucht er es dem gedankenvollen Ernst der Haydnschen Vorbilder gleichzutun. Gleich in der düsteren Grübelei des f-Moll-Andantes von K.-V. 168 findet sich ein unmittelbarer Anklang an Haydns Nr. 37 (gleichfalls in f-Moll)111:

      und der Variationensatz von K.-V. 170 ist vollends, sowohl was das Thema als die Variierung anbetrifft, ein getreuer Absenker des älteren Meisters. Im allgemeinen zeigen diese Quartette ihren Vorgängern gegenüber einen entschiedenen Fortschritt in der Behandlung des Stils, wozu namentlich die sorgfältigere kontrapunktische Arbeit beiträgt und, zum Teil wenigstens, auch im Ausdruck. An Unmittelbarkeit des Empfindens erreichen sie sie dagegen nicht immer. Man hat öfters den Eindruck, als fühlte sich Mozart seinem großen Vorbild gegenüber befangen, als suchte er durch sorgfältige Arbeit zu ersetzen, was ihm an Sicherheit fehlte; das kommt gleich in der formell tadellosen, aber dem Geiste nach etwas scholastischen Schlußfuge des ersten Quartetts zum Ausdruck112. Auf der anderen Seite bleibt er manchmal knapp und wortkarg, wo der Gehalt seiner Themen eine breitere Ausführung gefordert hätte, wie in den Mittelsätzen von K.-V. 171 und 172. Demgegenüber stehen freilich Stellen, wo der echte Mozart in seiner ganzen damaligen Größe auf den Plan tritt. Hierher gehören nicht allein die kantablen Hauptthemen der meisten Allegros, sondern ganze Sätze, wie der erste von K.-V. 171. Haydns würdig ist die tiefsinnige Einleitung mit der Mozartschen Lieblingsphrase

      am Anfang und der den folgenden flehenden Gesang der Primgeige begleitenden, echt Mozartschen Sechzehntelfigur der zweiten:

      Aber damit ist's noch nicht genug des Träumens, auch das Allegro beginnt in weltentrücktem Sinnen:

      Erst dann erfolgt, ganz überraschend, der Aufschwung; höchst poetisch taucht dieses Traumbild in der kurzen Durchführung in den beiden Unterstimmen sowie am Schluß des Allegros wieder auf. Am höchsten steht jedoch in dieser Reihe das letzte Quartett, bei dem schon die Molltonart von Bedeutung ist (K.-V. 173). Sein erster Satz hat ein schicksalsschweres, in seiner ganzen Haltung an Gluck113 erinnerndes Thema, dem ein trotzig pochendes Motiv gegenübertritt;


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