40 Tage mit Dietrich Bonhoeffer. Sandro Göpfert
es ist das Heraustreten des Geschöpfes aus seiner ihm allein möglichen Haltung, es ist das Schöpferwerden des Geschöpfes, es ist die Zerstörung der Geschöpflichkeit, es ist der Abfall, der Sturz aus dem Gehaltensein in der Geschöpflichkeit, und es ist dieser Abfall als ein dauerndes Fallen, Stürzen ins Bodenlose, ein Losgelassensein, ein immer weiter und tiefer sich entfernen. Und es ist eben in all dem nicht einfach ein ethischer Fehltritt, sondern es ist die Zerstörung der Schöpfung durch das Geschöpf. D. h., das Ausmaß dieses Falles ergreift die ganze geschaffene Welt, der nunmehr die Geschöpflichkeit geraubt ist, indem sie wie ein Meteor, der sich vom Kern losgerissen hat, in den unendlichen Raum blindlings hineinstürzt.“
(Schöpfung und Fall S. 100.105 – DBW 3,107.112)
„Da sprach die Frau zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet! Da sprach die Schlange zur Frau: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben; sondern Gott weiß: An dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist. Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von seiner Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon und er aß. […] Und Adam versteckte sich mit seiner Frau vor dem Angesicht Gottes des HERRN zwischen den Bäumen im Garten.“ (1Mo 3,2-6.8b)
„Sünde“ ist wohl einer der bekanntesten, aber auch am meisten belasteten und missverstandenen Begriffe aus dem jüdisch-christlichen Sprachgebrauch. Oft wird mit dem Etikett „Sünde“ eine ethische Entgleisung oder ein Kavaliersdelikt belegt. Vom „Sündigen gegen die schlanke Linie“ über die „Flensburger Sünderkartei“ bis hin zu „Steuersündern“ und „Sünde als verbotener Lust“ ist im landläufigen Sprachgebrauch alles dabei. In der Regel spielt der Gottesbezug dabei keine Rolle. Bonhoeffer legt in seinem Buch „Schöpfung und Fall“ auf großartige Weise dar, was Sünde im Kern eigentlich ist. Mit Bezug auf die Paradieserzählung innerhalb der Urgeschichte zeigt er, dass das Problem von Adam und Eva darin besteht, dass sie entgegen den Weisungen Gottes die Mitte betreten und die ihnen gesetzte Grenze überschreiten. Vom Misstrauen gegenüber der Güte Gottes infiziert, lösen sie sich als Geschöpfe aus der entscheidenden Beziehung zum Schöpfer heraus. Bonhoeffer weist darauf hin, dass Sünde nach biblischem Verständnis nicht nur Pflichtverletzung oder moralisches Versagen ist, sondern Beziehungsstörung, Zielverfehlung und zerstörte Lebensmöglichkeiten. Wenn der Mensch sich selbst in den Mittelpunkt stellt und zum Maß aller Dinge macht, dann rückt er an die Position Gottes und wird damit grenzenlos, maßlos und einsam. Bonhoeffer sagt, dass er damit sogar seine Geschöpflichkeit zerstört. Das ist genauso unbegreiflich wie endgültig – und hat seit dem ersten Sündenfall Auswirkungen auf die gesamte geschaffene Welt, die dauernd fällt und blind ins Bodenlose stürzt.
»Was verstehe ich unter Sünde? Wo begegnet mir das Wort im Alltag?
»Wie zeigt es sich, dass sich Menschen an die Stelle Gottes setzen? Warum ist es gefährlich, wenn der Mensch sich zum Maß aller Dinge macht?
»Was bedeutet es für die Welt und für mich persönlich, dass Gott seinen Sohn gesandt hat, um seine verlorenen Geschöpfe zurückzugewinnen?
»Ich danke dafür, dass wir als Geschöpfe von Anfang an in Beziehung zum Schöpfer geschaffen sind und darin Maß, Mitte und Grenzen unseres Lebens finden.
»Ich danke dafür, dass Gott den Riss und die Macht der Sünde durch die Hingabe des sündlosen Gott-Menschen Jesus Christus überwunden hat.
»Ich bitte um Selbsterkenntnis, wo ich Gottes Ziele für mein Leben verfehlt habe.
»Ich bitte, dass das Misstrauen vieler Menschen gegenüber Gottes Güte heilt.
Tag 4
Nachfolge
„Nachfolge ist Bindung an Christus; weil Christus ist, darum muss Nachfolge sein. Eine Idee von Christus, ein Lehrsystem, eine allgemeine religiöse Erkenntnis von der Gnade oder Sündenvergebung macht Nachfolge nicht notwendig, ja, schließt sie in Wahrheit aus, ist der Nachfolge feindlich. Zu einer Idee tritt man in ein Verhältnis der Erkenntnis, der Begeisterung, vielleicht auch der Verwirklichung, aber niemals der persönlichen gehorsamen Nachfolge. Ein Christentum ohne den lebendigen Jesus Christus bleibt notwendig ein Christentum ohne Nachfolge, und ein Christentum ohne Nachfolge ist immer ein Christentum ohne Jesus Christus; es ist Idee, Mythos. Ein Christentum, in dem es nur den Vatergott, aber nicht Christus als lebendigen Sohn gibt, hebt die Nachfolge geradezu auf. Hier gibt es Gottvertrauen, aber nicht Nachfolge. Allein weil der Sohn Gottes Mensch wurde, weil er Mittler ist, ist Nachfolge das rechte Verhältnis zu ihm. Nachfolge ist gebunden an den Mittler, und wo von Nachfolge recht gesprochen wird, dort wird von dem Mittler Jesus Christus, dem Sohn Gottes gesprochen. Nur der Mittler, der Gottmensch kann in die Nachfolge rufen.“
(Nachfolge S. 56f – DBW 4,47)
„Als nun Jesus am Galiläischen Meer entlangging, sah er zwei Brüder, Simon, der Petrus genannt wird, und Andreas, seinen Bruder; die warfen ihre Netze ins Meer; denn sie waren Fischer. Und er sprach zu ihnen: Kommt, folgt mir nach! Ich will euch zu Menschenfischern machen. Sogleich verließen sie ihre Netze und folgten ihm nach.“ (Mt 4,18-20) „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh 8,12)
Bereits seit 1931/32 bewegte Bonhoeffer ein Thema, das er ab 1935 als Direktor des Predigerseminars in Zingst und Finkenwalde in Vorlesungen vertiefen und das dann schließlich Ende 1937 als Buch erscheinen sollte: Nachfolge. Das Zentrum des Buches bildet eine Auslegung der Bergpredigt Jesu (Mt 5-7).
Als roter Faden zieht sich durch das ganze Werk aber die Beziehung zwischen Glaube und Gehorsam, Rechtfertigung und Heiligung, Hören und Tun, Hingabe des Einzelnen und sozialer Verantwortung. Das Buch verbreitete sich schnell und hat in evangelischen Gemeinden bis heute eine enorme Wirkung entfaltet – sogar Karl Barth hat sich zwanzig Jahre später im Rahmen seiner „Kirchlichen Dogmatik“ sehr positiv darüber geäußert. Bonhoeffer macht deutlich, dass Nachfolge keine Ideologie und kein festes Programm ist, sondern dass es um ein lebendiges Verhältnis zu Jesus Christus geht, wenn wir von ihm gerufen sind und dann gehen und ihm folgen. Glauben ist mehr als ein Für-wahr-Halten von bestimmten Tatsachen, nämlich eine Verbindung, eine Vertrauensbeziehung zu einer konkreten Person, die einen Menschen in Bewegung setzt – hin zu Gott und zu anderen Menschen, hinein in Verantwortung und im Gehorsam gegenüber dem Ruf Jesu, der einen Menschen trifft. Martin Niemöller, dem Bonhoeffer das Buch widmete, hatte als Lebensmotto die Frage: „Was würde Jesus dazu sagen?“ Stellt man sich in konkreten Situationen diese Frage und bezieht sie auf sein ganzes Leben, dann geschieht Nachfolge im Alltag.
»Verstehe ich Glauben mehr als Idee, Programm und System von Lehraussagen oder als lebendige und gelebte Vertrauensbeziehung zu Jesus Christus?
»Wie kann meine Kirche oder Gemeinde stärker „Nachfolgegemeinschaft“ werden?
»Wo will Jesus