Das späte Glück. Dietmar Grieser

Das späte Glück - Dietmar Grieser


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plagt sich mit ihnen in Algebra und geometrischen Beweisen, und wenn die Musikstunde ansteht, schiebt er »Wowi«, dem Knirps, drei Sitzkissen unter, damit die kleinen Hände zu den Klaviertasten hinaufreichen.

      Die Gefühle, die Nikolaus Nissen vom Tag des Kennenlernens an für die Mutter der beiden Halbwaisen empfindet, muß er zunächst noch für sich behalten: Nur zu deutlich spürt er, daß er für die ersehnte Annäherung eine Menge Geduld wird aufbringen müssen. Immerhin ist auf dem Umweg über die Kinder mancherlei Andeutung möglich – etwa, wenn er den offensichtlich dem Vater nachgeratenden, hochmusikalischen »Wowi« dazu anhält, zu Mutters Namenstag ein kleines Rondo zu komponieren, sein Opus Nummer eins fein säuberlich abzuschreiben und der freudig überraschten Jubilarin auf den Gabentisch zu legen.

      Nissen ist ein ernster, grundsolider Mann. Und er sieht gut aus – trotz der leicht fliehenden hohen Stirn und des schon frühzeitig schütteren fahlblonden Haupthaares. Aber auch Constanze ist bei allem Liebreiz keine Schönheit. Nissen ist größer von Wuchs als Mozart, sein eigentliches Kapital sind die blauen Augen, die zugleich Klugheit und Güte ausdrücken. An die Frau, die einmal sein Leben teilen soll, stellt der junge Diplomat so hohe charakterliche Ansprüche, daß die zwei Kandidatinnen, die seinen bisherigen Weg gekreuzt haben, sich verschreckt von ihm zurückgezogen haben.

      Auch Constanze verhält sich ihrem Verehrer gegenüber spröde. Andererseits ist sie des Alleinseins müde: Es ist also zunächst ein Gefühl tiefer Dankbarkeit, das sie schließlich doch zu dem ein Jahr Älteren hinzieht. Zum vertrauten »Du« mag sie sich nur durchringen, weil auch die Kinder ihn duzen, ja mit der Zeit sogar von der Anrede »Onkel« zu der Anrede »Vater« übergehen.

      Es ist also keine stürmische Leidenschaft, die sich da zwischen den beiden Enddreißigern anbahnt, und auch, als ihr Zusammenleben längst eheähnlichen Charakter hat, lassen sie beinahe zwölf Jahre verstreichen, bis sie vor den Traualtar treten. Das liegt allerdings nicht nur an Constanzes Zurückhaltung, sondern hat auch handfeste praktische Gründe: Als Diplomat im Dienste des Königs von Dänemark ist Nikolaus Nissen niedrig besoldet, und Constanze verlöre im Fall einer Eheschließung ihre Witwenpension. Obwohl es beiden jedesmal wie ein Stich durchs Herz geht, nehmen sie in Kauf, daß sie in den Pausen der Konzerte, die sie gemeinsam besuchen, von ihren Freunden als »Herr Nissen und Frau Mozart« herumgereicht werden.

      Da alles noch so beharrliche Werben um die auch formelle Besiegelung ihres Bundes weiterhin an Constanzes Widerstand scheitert, greift Nissen zu einem Mittel, das ihm vor allem von seiner stolzen Mutter, als sie davon erfährt, eine strenge Rüge einträgt: Er schreibt der Frau, mit der er in einem und demselben Haushalt lebt, zärtliche Briefe. »Liebste Freundin« und »Liebe Mozartine« nennt er sie abwechselnd in den fein gedrechselten Episteln, die er ihr neben das Bett, auf die Kommode oder auch auf den Küchentisch legt. Und da die Adressatin die amourösen Billets doux ihrem Verehrer wortlos zurückgibt, nimmt deren Ton nach und nach an Schärfe zu: »Hasse mich, aber liebe mich nicht halb!« steht in einem der Briefe. Und er endet mit den Worten »Dein Dich verzweifelt suchender N.«

      Wenn es also schon mit dem Gang zum Traualtar so übermäßig lange dauert, bemüht sich Nikolaus Nissen mit um so größerem Eifer, sich seiner störrischen Geliebten in den Dingen des Alltags unentbehrlich zu machen. Er bringt ihr bei, Briefe zu schreiben, vor allem Geschäftsbriefe, die ihr, der Hüterin des Mozart-Nachlasses, den Umgang mit den ausbeuterischen Verlagen erleichtern sollen; er lehrt sie mit dem vorhandenen Geld hauszuhalten; er weitet, wofür sie bislang nicht das geringste Interesse aufgebracht hat, sogar ihren Blick fürs Politische; er hält sie dazu an, in die Papierstöße, die überall in der Wohnung herumliegen und unter denen sich so manche Kostbarkeit von Mozarts Hand befindet, Ordnung zu bringen; er sorgt dafür, daß die Bittschreiben ehrgeiziger junger Musiker, die der Witwe ihres Idols ihre Erstlingswerke vorlegen und sich von ihr Zuspruch erhoffen, nicht unerledigt bleiben; ja, er schafft es sogar, aus der Frau, die es mit der Verantwortung fürs Fortkommen der mittlerweile heranwachsenden Söhne nicht immer allzu ernst nimmt, eine gute Mutter zu machen.

      Dies vor allem rechnet sie ihm hoch an. Ihre Einsicht kommt freilich reichlich spät: Erst, als Nikolaus Nissen bereits im Sterben liegt, schreibt Constanze an Sohn Carl nach Mailand: »Alles, was er mit so vieler Mühe tut, tut er nur für Dich und Deinen Bruder. Es ist grenzenlos. Ja, so einen gütigen Vater, wie Ihr Flegel ihn habt, gibt es nicht viele. Wenn Ihr’s nur auch verdient! Auf Händen, mit Baumwolle umwunden, daß Ihr ihm nicht wehe tut, müßt Ihr ihn tragen!«

      Rührt sich da vielleicht gar ihr schlechtes Gewissen? Die Söhne jedenfalls lassen es an Verehrung für den Mann, den sie nun schon lange ihren Vater nennen, nicht fehlen. Daß sie – jeder auf seine Art – das Schicksal so vieler Geniesprößlinge teilen, denen es nicht gelingen will, aus dem übergroßen Schatten des Vaters herauszutreten, steht auf einem anderen Blatt: Carl bringt es in seiner Wahlheimat Italien nur bis zum subalternen Kleinbeamten einer Steuerbehörde, und Franz Xaver Wolfgang, bei dem das musikalische Erbe des Vaters stärker durchschlägt, kann sich zwar als Klavierlehrer und Chorleiter einen Namen machen, nicht aber als Kapellmeister und Komponist.

      Die Hochzeit von Constanze Mozart und Nikolaus Nissen, die nun doch endlich zustande kommt – am 26. Juni 1809 treten die beiden Endvierziger im Martinsdom zu Preßburg vor den Traualtar –, findet in Abwesenheit der Mozart-Söhne statt. Ein Musiklehrer und ein Hauptmann, beides WienFlüchtlinge wie das Brautpaar, denen allesamt die vom siegreichen Napoleon unterdrückte Haupt- und Residenzstadt verleidet ist, sind als Trauzeugen die einzigen, die dem feierlichen Akt beiwohnen. Doch die Schlichtheit der Zeremonie in der fast leeren fremden Kirche darf nicht zu der Annahme verleiten, hier entledigten sich eine verzagte Witwe und ein frustrierter Junggeselle einer lästigen Pflicht: Ihrer beider »Ja« kommt aus vollem Herzen, Constanze Mozart und Nikolaus Nissen sind mittlerweile zu einem Paar zusammengewachsen, dessen reife Liebe jeder Erschütterung, die womöglich noch auf sie zukommen könnte, eisern standhält.

      Einige Zeit kann er es vor ihr verbergen, dann aber fährt Nissen immer öfter panikartig aus dem Schlaf auf, und Constanze weiß aus seinen Angstzuständen und Brustbeschwerden die richtigen Schlüsse zu ziehen: Ihr Mann ist krank. Besonders, wenn er sich bei der Arbeit übernimmt, meldet sich sein schwaches Herz. Es bleibt ihm keine andere Wahl, als seinen König um Versetzung auf einen ruhigeren Posten zu ersuchen, und da sein Antrag allzu lange unerledigt liegenbleibt, wandelt er ihn eines Tages in ein Gesuch um Entlassung in den vorzeitigen Ruhestand um. Nun endlich reagiert sein Dienstherr, und er reagiert auf noble Weise: Nissen werden zum Abschied der renommierte Danebrog-Orden sowie der Titel Etatsrat verliehen. Vor allem Letzteres gefällt auch seiner Frau: Constanze genießt es, von nun an als »Etatsrätin von Nissen« angesprochen zu werden, und auch in ihrer Korrespondenz geht sie dazu über, sich mit dem wohlklingenden Titel zu schmücken, der mit dem ebenfalls begehrten »von« verknüpft ist.

      Ein Problem, das nun freilich auch zu lösen ist, ist die Frage: Was soll man da eigentlich noch in Österreich, in Wien? Das Ehepaar von Nissen rüstet zur Übersiedlung in die Heimat des Gatten. Im vertrauten Kopenhagen, so ist sich der erst achtundvierzigjährige Exdiplomat sicher, wird er eher als im von Napoleons Truppen besetzten Wien eine Betätigung finden, die sich mit seiner schwer angeschlagenen Gesundheit vereinbaren läßt.

      Constanze zerbricht sich derweil den Kopf darüber, was von dem vielen Hausrat den Weg nach Kopenhagen mit antreten soll. Am schwersten fällt ihr die Trennung vom alten Mozart-Klavier, das bisher jeden Wohnungswechsel mitgemacht hat: Sohn Carl, der diesbezüglich Interesse angemeldet hat, soll es bekommen. Zehn Dukaten für die Verpackung und fünf für den Transport berechnet der Spediteur, der die Überstellung nach Mailand abwickelt. Und damit »Wowi«, der jüngere der Mozart-Söhne, nicht eifersüchtig wird, wird Carl das Versprechen abgenommen, er werde seinem Bruder gegenüber behaupten, das kostbare Stück sei mit nach Kopenhagen gegangen.

      Die Übersiedlung der Eheleute nach Dänemark hat eine mißliche und eine gute Seite: Momentan schlecht bei Kasse, können sie sich keinen eigenen Wagen leisten, sondern müssen sich, zusammen mit allerlei fremdem Volk, mit der Postkutsche begnügen. Dafür aber kommen die beiden auf der langen, von vielerlei Aufenthalten in Landgasthöfen unterbrochenen Reise einander näher als je zuvor: Die vielen neuen Gesichter und die ständig wechselnden Herbergen – da zieht man sich umso mehr zurück, sucht


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