Heiße Tage, heiße Nächte. Ananke

Heiße Tage,  heiße Nächte - Ananke


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Ilona beim Betreten des Wohnzimmers. »Wie bist du denn an diese geile Wohnung gekommen?«

      Marius erschien hinter ihr und zuckte mit den Schultern. »Vitamin B.«

      Ilona zog eine Augenbraue hoch, während sie ihn über die Schulter hinweg anschaute, und er lachte. »Die Wohnung hat meiner Großtante gehört und die hat sie mir samt ihrem Flügel vermacht, als sie vor ein paar Jahren zu meinem Onkel ins Haus gezogen ist. Wegen versorgt sein und so.«

      Ilona nickte und blickte sich um. Wahnsinn. Zum einen war das Wohnzimmer doppelt so groß wie ihr eigenes, mit einem gepflegten alten Parkett ausgelegt, insgesamt sehr klar und übersichtlich gestaltet, denn die Möbel waren zu den Wänden hin aufgeräumt und auf das Notwendigste beschränkt. Zum anderen wurde es von dem schwarz glänzenden Flügel dominiert, der mitten im Raum stand. Wie riesig so ein Flügel war! Beeindruckend. Wie man den wohl einst in die Wohnung bekommen hatte? Ihr Kopfkino schickte ihr ein Bild, wie das Zimmer um den Flügel herum gebaut wurde und sie musste an sich halten, nicht zu kichern.

      Die linke Zimmerwand bestand fast durchgängig aus gut gefüllten Bücherregalen, darunter viele mit alten Ledereinbänden, die sicherlich auch von besagter Großtante stammten.

      Die rechte Wand wirkte hingegen fast kahl. Dort gab es nur ein altes, dunkelgrün bezogenes Sofa mit geschwungenen Armlehnen. Legte Marius denn gar keinen Wert auf eigene Möbel? Auch wenn alles gut erhalten und stilvoll war – wo blieb sein eigener Geschmack? Oder war dies auch seiner? Sie würde es irgendwann herausfinden, im Moment war dies nebensächlich. Auf einem kleinen Beistelltisch am Sofa standen zwei Gläser und eine Karaffe mit offenbar frisch gepresstem Saft bereit. Wie aufmerksam. Offenbar war ihm aufgefallen, dass Ilona morgens immer Obst für den Arbeitstag dabei hatte.

      Ansonsten war der Raum schmucklos. An den pastellgelb gestrichenen Wänden hing kein einziges Bild und keine Uhr. Auch die fünf vergleichsweise kleinen Fenster mussten ohne Gardinen oder Blumen davor auskommen. Als Sichtschutz gab es lediglich weiße halbtransparente Schiebegardinen, das einzige moderne Accessoire. Durch die Höhe wirkte der Raum noch größer. Von der Mitte hing eine Lampe mit schlichtem weißem Schirm herab, deren Höhe sich durch Ziehen variieren ließ.

      »Ich habe noch nie bei jemandem zuhause so viele Bücher gesehen. Hast du die einfach nur übernommen oder auch gelesen?«

      Ilona trat näher an die Regalwand heran. Es machte sie nervös, dass Marius neben ihr stand und sie wusste nicht, worüber sie reden sollten. Ihr Kopf war im Moment wie leer gefegt. Insofern kam ihr die Ablenkung mit dem Bücherregal gerade recht.

      »Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich sie vielleicht lesen. Sind tolle Klassiker darunter. Meine Tante ist sehr gebildet und war immer an Geschichte und Literatur interessiert. Aber ich. .. nein, gelesen habe ich nur die, die etwas mit Musik zu tun haben.«

      Das war klar.

      »Magst du was trinken?«

      »Gerne, danke.«

      »Möchtest du einen Schuss Prosecco in den Saft?«

      Ilona zögerte. »Vielleicht später. Ich finde es noch zu früh. ..«, brachte sie mühsam hervor. Warum nur war sie so nervös?

      Marius nickte, goss Saft in die beiden Gläser ein und brachte ihr eines davon.

      »Hm, lecker. Selbst gepresst?« Der Geschmack war fruchtigfrisch, der Saft gut gekühlt, aber nicht zu kalt.

      Er grinste. »Nicht von mir gepresst. Ein Straße weiter gibt es einen Obstladen, die bieten das als Service an.«

      »Sehr fein. Mango, Banane, Orange. ..«

      »… und ein bisschen Ingwer.«

      Er stellte sein Glas an einen freien Platz im Bücherregal, wandte sich dann ab und setzte sich an den Flügel.

      Es war ihm also ernst damit, dass er sie zu sich nach Hause eingeladen hatte, um ihr vorzuspielen? Ilona war sich nicht sicher, ob sie sich geehrt fühlen sollte. Wenn sie in sich hineinhorchte, war sie doch ein wenig enttäuscht, dass dies der einzige Grund sein sollte.

      Als die Musik einsetzte, ein langsames, gefühlvoll dargebrachtes Stück, fing in ihrem Nacken ein Kribbeln an. Wie unglaublich leise man auf diesem riesigen Instrument spielen konnte!

      Sie stellte ebenfalls ihr Glas ab, drehte sich um und ging hinüber. Nein, sie ging nicht einfach. Sie tänzelte, wiegte sich im Takt, fühlte sich wohlig beschwingt. Wenn ihr Musik gefiel, wenn Melodie und Rhythmus sie erreichten, dann bewegte sie sich gerne dazu und tanzte schon mal quer durch ihre Wohnung.

      Gewiss spielte er etwas Klassisches und sie hatte keine Ahnung, um was für ein Stück oder welchen genialen Komponisten es sich handelte – aber es gefiel ihr und erreichte ihr Innerstes. Es genierte sie auch nicht, sich vor Marius zur Musik zu bewegen, um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Über solche Hemmnisse war sie hinweg, gerade weil ihr letzter Freund sich darüber lustig gemacht hatte. Aber dies war ein Teil von ihr. Sie musste sich einfach bewegen, der Melodie folgen, und die Stimmung in sich aufsaugen, sich von ihr forttragen lassen. Vielleicht hatte der Ballettunterricht dazu beigetragen, an dem sie einige Jahre intensiv teilgenommen hatte. Vielleicht lag es ihr auch einfach nur im Blut.

      Ihre Brust hob und senkte sich deutlich unter ihrem Atem und sie hielt am Flügel inne, als das Lied ausklang, und lehnte sich über den Rand, um in das Innere zu blicken, da der Deckel hochgestellt war. Ordentlich sah es darin aus und kompliziert. Drähte, Holz, Stellschrauben. .. Irgendwo hatte Ilona mal gehört, dass die besten Klavier- und Flügelstimmer Blinde sein sollen, da diese das absolute Gehör hätten, von nichts anderem abgelenkt.

      Doch das Interesse am Innenleben des Instrumentes währte nur kurz. Als sie aufsah, begegneten sich ihre Blicke und ihr wurde heiß.

      »Du hast ein gutes Rhythmusgefühl«, stellte Marius fest und sah sie auf eine Weise an, dass es ihr kalt und heiß den Rücken hinunter rieselte. Kam der eigentümliche Glanz in seinen Augen davon, dass er ganz und gar mit der Musik verschmolz oder steckte noch etwas anderes dahinter?

      »Tu dir keinen Zwang an, mach weiter. ..«, murmelte er und begann erneut zu spielen. Das Lied begann sanft und leise, steigerte sich aber bald zu einem wilden Orkan, der Ilona außer Atem brachte. Sie hatte Strickjacke und Riemchensandaletten von sich geworfen und wirbelte barfuß und völlig losgelöst durch den Raum. Ihre langen Haare umgaben sie dabei wie ein Schleier.

      Ein wenig atemlos kam sie neben der Klavierbank zum Stehen, als das Lied ausklang und strich ihre Haare mit beiden Händen nach hinten.

      »Das war schön«, lächelte sie ihn an.

      Ehe sie sich versah, hatte er sie um die Hüfte gefasst und sie fand sich neben Marius sitzend in seinem Arm wieder, seine Lippen leidenschaftlich auf ihren. Sein Kuss war wunderbar und seine Nähe fühlte sich rundum gut an. Die schweigsame kurze Pause, in der sie sich in die Augen schauten und nur ein Lächeln schenkten, machte alles klar. Sie waren füreinander gemacht. Er empfand wie sie, dazu bedurfte es vorerst keiner Liebeserklärung. Der Ausdruck in seinen Augen und in seinem Gesicht sprach ausführlich genug.

      Ilona gab alles. Sie legte eine Hand in seinen Nacken, küsste sanft seine Lippen, seine Nase, seine geschlossenen Augen. Seine Haut fühlte sich gut an und sie mochte seinen Geruch. Es war schön, seine Hände zu spüren, die sie sicher an ihn drückten. Spielerisch knabberte sie an seinen Lippen, bis er sie öffnete und leise wohlig seufzte: »Tanz nochmal für mich.«

      Ilona drückte sich soweit von ihm weg, dass sie ihn anschauen konnte. »Das gefällt dir?«

      Er stupste ihre Nase mit seiner an und sagte: »Ja, meine kleine Ballerina. Tanz, und gib dich ganz deinen Gefühlen hin.«

      Der Druck in ihrem Rücken verringerte sich und Ilona stand auf. Verwundert sah sie ihm zu, wie er den Deckel des Flügels zuklappte. Es lag ihr auf der Zunge zu fragen, warum er dies machte, aber ihre Zunge klebte am Gaumen. Ihr Körper fühlte sich an, als loderte Feuer durch ihre Adern und in ihren Beinen kribbelte es, nur allzu bereit, der nächsten Melodie zu folgen.

      Das Stück war ungewöhnlich, wechselte zwischen langsameren,


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