Hunnen und Rebellen. Jessica Mitford

Hunnen und Rebellen - Jessica  Mitford


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Frau wurde schließlich mit Hilfe diverser Brechstangen befreit, und Boud wurde entsprechend ausgescholten und angewiesen, Enid künftig in ihrer Schachtel zu lassen. Auf Miss Whitey folgte Miss Broadmoor, die uns beibrachte, mensa, mensae, mensam und so weiter bis zum Schluß zu sagen. Nancy, die schon in diesen frühen Tagen ein gespitztes Ohr für klassenspezifische Aussprache hatte, machte ein Gedicht, das die hauptsächlichen Züge von Miss Broadmoors »gepflegter« Redeweise illustrierte: »Ich schätt-ze ganz besondahs Botter, besondahs die von meiner Motter, wwwenn ich nur meine Botter haabe, die wwwundahbare Gottesgaabe!« Wir konnten der Versuchung nicht widerstehen, es jeden Morgen herzusagen, wenn die Schulstunden näherrückten. Miss McMurray zog Bohnen auf Stückchen von feuchtem Flanell und brachte uns die Namen verschiedener Teile dieser heranwachsenden Bohnen bei – Plumula, Radix, Embryo.

      Auf sie folgte dann Miss Bunting, deren hauptsächlicher Beitrag zu unserer Erziehung darin bestand, daß sie uns eine maßvolle Form des Ladendiebstahls beibrachte. Miss Bunting war eine liebe, kleine, runde, ständig kichernde Frau, geformt wie ein Milchkrug, und sie stand dem Leben mit einer sorglosen und unorthodoxen Haltung gegenüber, die wir sehr attraktiv fanden. Boud überragte sie weit, und manchmal hob sie die Gouvernante hoch und setzte die Aufquiekende auf das Schulzimmerklavier.

      Gelegentlich machten wir Ausflüge nach Oxford. »Wie wär’s mit ein bißchen Allotria, Kinder?« schlug Miss Bunting vor. Es gab zwei hauptsächliche Methoden – die Einkaufstaschenmethode, bei der man eine Komplizin brauchte, wurde bei größeren Gegenständen eingesetzt. Die Komplizin übernahm es, das Ladenfräulein einen Augenblick lang abzulenken, während die Diebin – oder, in Miss Buntings Idiom, Fräulein Allotria – ihre Tasche mit Büchern, Unterwäsche oder Pralinenschachteln vollstopfte, je nach Angebot des betreffenden Geschäfts. Die Methode des fallengelassenen Taschentuchs war bei Lippenstiften und kleinen Schmuckstücken angemessen. Miss Bunting in ihrem beigen Gouvernantenmantel und mit Handschuhen, Boud und ich in identischen Panamastrohhüten – so stolzierten wir hochmütig an den servilen Angestellten vorbei, um uns rasch in die Sicherheit von Fuller’s Tea Room zurückzuziehen, wo wir begeistert vor Tassen dampfendheißer Schokolade die Beute des Tages durchsahen.

      Mit den Lektionen nahm Miss Bunting es leicht. Erst wenn wir den leicht zu erkennenden Schritt meiner Mutter sich dem Schulzimmer nähern hörten, gab sie uns ein Zeichen, uns über die Arbeit zu beugen. Von Algebra, Latein oder den Elementen der Bohne hatte sie keine Ahnung, all das war ihr vollkommen gleichgültig; selbstverständlich mochten wir sie viel lieber als ihre Vorgängerinnen. Wir taten, was wir konnten, um ihr das Leben einigermaßen erträglich zu machen, und so blieb sie einige Jahre.

      ZWEI

      Das öffentliche Leben drehte sich bei uns in Swinbrook um die Kirche, die Konservative Partei und das Oberhaus. Meine Eltern nahmen ein freundliches, wenn auch unstetes Interesse an allen dreien, und von Zeit zu Zeit versuchten sie, uns Kinder zu staatsbürgerlichen, unserem Alter angemessenen Aktivitäten heranzuziehen.

      Meine Mutter war eine zuverlässige Unterstützerin der Konservativen Partei. Obwohl sie von unserem lokalen Abgeordneten nicht viel hielt (»Was für eine langweilige kleine Kreatur«, bemerkte sie häufig betrübt), beteiligte sich Muv getreulich an jedem Wahlkampf. Mengen braver Dorfbewohner wurden auf dem Rasen von Swinbrook House versammelt, damit unsere Onkel ihnen eindringliche Reden über die Vorzüge der Konservativen Partei halten konnten, und später mit dicken Fleisch-Sandwiches, Kuchen und Tassen mit schön starkem Tee verwöhnt. Unsere Familie hatte immer einen Stand beim jährlich stattfindenden Sommerfest der Konservativen Partei von Oxfordshire, wo wir Eier, Gemüse aus dem Küchengarten und große Mengen Schnittblumen verkauften. Debo und ich, angetan mit unseren teuren Wendy-Kleidchen, durften umhergehen und Sträuße feilhalten. Debo haßte diese Anlässe, weil die Erwachsenen unweigerlich gurrten: »Ach, sieht Debo nicht süß aus!« »Decca ist doch auch süß«, war ihre wütende Antwort.

      Am Wahltag begleiteten wir Muv oft bei Werbeausflügen, angetan mit den blauen Rosetten der Partei. Das Auto war mit blauen Bändern geschmückt, und wenn wir an einem Wagen mit dem roten Symbol des Sozialismus vorbeikamen, durften wir uns aus dem Fenster lehnen und rufen: »Nieder mit der scheußlichen anti-honnischen Labour-Partei!«

      Die Wahlwerbung bestand darin, daß man die Dörfler in Swinbrook und den umliegenden Ortschaften aufsuchte, ihnen das Versprechen abnahm, konservativ zu wählen, und sie dann von unserem Chauffeur zum Wahllokal fahren ließ. Anhänger der Labour-Partei waren in Swinbrook buchstäblich unbekannt. Nur ein einziges Mal sah man eine rote Rosette im Dorf. Es trug sie der Sohn unseres Wildhüters – zur bitteren Scham der gedemütigten Familie, die ihn wegen dieses Akts der Illoyalität aus dem Hause verstieß. Es gab das Gerücht, er habe in einer Fabrik in Glasgow angefangen und sich prompt mit den Gewerkschaften eingelassen.

      Der Generalstreik des Jahres 1926 war enorm aufregend. Es lag ein wunderbares Krisengefühl in der Luft. Die Erwachsenen brüteten mit unnatürlich ernsten Gesichtern über dem täglichen Nachrichtenbulletin, das die Zeitungen ersetzte. Es gelang mir, mein Lämmchen Miranda nachts in mein Zimmer zu schmuggeln, damit es nicht von den Bolschewiken erschossen wurde. Alle wurden zu Notstandsdiensten eingeteilt. Nancy und Pam, die nun Anfang zwanzig waren, richteten in einer etwa zwei Meilen vom Haus gelegenen alten Scheune an der Landstraße eine Kantine ein, wo sie an die streikbrecherischen Lastwagenfahrer Tee, heiße Suppe und Sandwiches ausgaben. Nach den Schulstunden marschierten Boud und ich mit unserer Gouvernante und Debo mit der Nanny mühsam den Hügel hinauf, um zu assistieren, wobei Miranda strikt bei Fuß gehalten wurde, für den Fall, daß ein Kommunist aus der Hecke sprang.

      Da die Lastwagen die ganze Nacht unterwegs waren (ein Umstand, der keiner von uns bewußt gewesen war), war es notwendig, die erste Schicht sehr früh am Morgen zu beginnen, noch vor Sonnenaufgang. Pam wurde hierfür eingeteilt; sie war bei weitem am besten geeignet für die Arbeit in der Kantine, da sie sich für Hauswirtschaft interessierte, Tee und Sandwiches machen und die Tassen spülen konnte. Nancy war hierin bekanntlich ein hoffnungsloser Fall und stöhnte traurig, wenn man ihr mehr abverlangte, als die Sandwichteller herumzureichen: »Ach, Darling, du weißt doch, ich kenn mich da nicht aus, Sachen aus dem Herd rausnehmen und so, meine armen Hände … und außerdem hasse ich das Frühaufstehen derartig.«

      Eines Morgens gegen fünf Uhr war Pam allein in der Kantine, als ein dreckiger Landstreicher aus der unheimlichen Dunkelheit hereinschlurfte. In seinem zerlumpten Anzug und mit einer Arbeitermütze, das Gesicht schmutzig und mit Narben übersät, bot er einen furchterregenden Anblick. »Kann ich ’ne Tasse Tee haben, Miss?« sagte er mit laszivem Lächeln zu Pam und brachte sein schreckliches Gesicht ganz nahe an ihres, wobei er mit den grünen Augen zwinkerte. Pam begann nervös, Tee einzuschenken, aber er ging geschickt um die Theke herum. »Kann ich ein Küßchen haben, Miss?« Und er legte ihr den Arm um die Taille. Pam, zutiefst erschrocken, stieß einen furchtbaren Schrei aus, und in ihrer verzweifelten Hast, davonzulaufen, fiel sie hin und verstauchte sich den Knöchel. Der Landstreicher stellte sich als die verkleidete Nancy heraus. Alles in allem waren wir recht traurig, als der Generalstreik endete und das Leben zu seiner langweiligen Normalität zurückkehrte.

      Zur Enttäuschung meiner Mutter war Farves Interesse an der Politik viel sporadischer als das ihre. Bei sehr seltenen Gelegenheiten quälte er sich in seine Londoner Kleider und bereitete sich schweratmend auf die Reise vor (die immer als unerhört beschwerliche Fahrt galt, obwohl es nur achtzig Meilen waren), um seinen Platz im Oberhaus einzunehmen. Er ging aber nur, wenn Fragen von wirklich brennendem Interesse verhandelt wurden, etwa die, ob jene Frauen, die nicht als Gattinnen, sondern aus eigenem Recht Peeresses waren, zusammen mit den Lordschaften ihren Platz im Oberhaus einnehmen durften. Bei diesem Anlaß raffte er sich auf, reiste hin und stimmte dagegen; Nancy blieb dabei, daß der eigentliche Grund für sein Votum gegen das Sitzrecht der Peeresses darin zu suchen war, daß es im Oberhaus nur ein einziges WC gab und er Angst hatte, sie könnten sich angewöhnen, es zu benützen.

      Farves tiefster Zorn blieb jedoch einem Antrag vorbehalten, das Oberhaus zu reformieren, indem man seine Macht begrenzte. Die Befürworter dieses Vorschlags befürchteten, daß ohne eine solche Maßnahme eine zukünftige Labour-Regierung das Oberhaus ganz abschaffen könnte. Farve wandte sich wütend gegen dieses gewundene politische Manöver. Seine Rede wurde in der Presse viel zitiert:


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