Die Villen vom Attersee. Marie-Theres Arnbom

Die Villen vom Attersee - Marie-Theres Arnbom


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deren wirtschaftliche Erfolge bereits in der Zeit Maria Theresias begründet sind: Einer seiner Vorfahren war der Hofoptiker Joseph Hamberger, dessen Brillen und sonstige optische Geräte sich großer Beliebtheit erfreuten und ihm ein beträchtliches Vermögen bescherten. Im Jahr 1820 findet er Eingang in ein wissenschaftliches Schriftstellerlexikon: »K. K. Hofoptiker und der berühmte und geschickte Verfertiger der aus Wien kommenden optischen Gläser und anderer mathematisch-physikalischer Instrumente. Er ist gegenwärtig hier der einzige in diesem Fache.«37 Seine Tochter Anna heiratet in die Familie Sigl ein, der die Tuchhandlung Zur weißen Taube in der Wiener Goldschmiedgasse gehört – ein ebenfalls erfolgreiches Unternehmen. Trotz Wirtschaftskrisen, Kriegen und schwierigen Zeiten hält die Familie das Vermögen zusammen – eine außergewöhnliche Leistung in Jahren der Umbrüche und radikalen Veränderungen. Unterstützt wird dies durch zahlreiche familieninterne Ehen, die in vielen Schichten aus wirtschaftlichen Gründen üblich sind. Eduards Mutter Karoline Sigl bringt also ein beträchtliches Vermögen in ihre Ehe mit dem Kaufmann Eduard Springer ein. Ihr einziger Sohn wird später alles erben und einen Teil des Geldes in seine Attersee-Insel investieren.

      Denn er verehrt die Opernsängerin Marie Renard – unwillkürlich muss man an die Operette Die Fledermaus denken, in der Gabriel Eisenstein als Marquis Renard vorgestellt wird … Dessen Ehefrau Rosalinde zählte übrigens zu den Paraderollen der Renard. Ein Zufall? Eine Geschichte wie aus der Operette.

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      Marie Renard in ihrer Paraderolle als Rosalinde in Die Fledermaus, deren Ehemann sich als »Marquis Renard« ausgibt.

      Doch Marie Renard ist nicht irgendeine Opernsängerin, sondern der größte Star ihrer Zeit, eine Primadonna im wahrsten Sinn des Wortes, der nur Superlative gerecht werden. Bei ihrem Bühnenabschied im Jahr 1900 lässt sich sogar der sonst immer spitzzüngigkritische Eduard Hanslick zu dem Ausruf hinreißen: »Ist es wahr? Ist es möglich? Die Renard scheidet für immer von der Oper? In der Vollkraft ihres Talents, ihrer Schönheit? Man strengt seine Augen an, um durch den Schleier dieses Geheimnisses zu blicken.«38 Zu diesem Zeitpunkt gehört Eduard Springer bereits der Vergangenheit an – falls er je eine Gegenwart hatte, geschweige denn eine Zukunft. Denn die Renard strebt gesellschaftlich nach Höherem: Ihre Kollegin, die nicht minder beliebte Ilka Palmay, heiratet am 31. August 1892 Eugen Graf Kinsky. Und dieser hat einen Bruder, Rudolf. Verheiratet. Und verliebt in Marie Renard, die er unbedingt heiraten möchte – und dies nach jahrelangen Kämpfen 1901 auch tun wird. Genau während dieser Jahre baut Eduard Springer ein Schloss für die Primadonna. Ob sie davon überhaupt weiß? Oder ob sie ihn einfach gewähren lässt – wissend, dass ihre Zukunft anderswo liegen wird? Einen tieferen Blick hinter die Kulissen des Opernbetriebes gewährt Jahre später der Roman Bagage! über eine andere Primadonna des Attersees, Maria Jeritza (siehe Kapitel 17).

      Marie Renard erhält an der Wiener Hofoper eine gigantische Gage von 16 000 Kronen pro Jahr, hat es also geschafft. In den Anfangsjahren einer Sängerin, die ihre Bühnenkostüme selbst anschaffen muss, konnte auch sie auf einen reichen Mäzen nicht verzichten. Doch über dieses Stadium ist Marie Renard seit ihrem Engagement an die Wiener Hofoper im Jahr 1888 hinaus, nun winkt die gesellschaftliche Anerkennung. Auch wenn Mesalliancen nicht gern gesehen werden, hat eine Gräfin Kinsky natürlich einen anderen Status als ein Fräulein Marie Pölzl alias Marie Renard. Operette und Realität reichen sich die Hand.

      Liest man Berichte über Marie Renards unglaubliche Wirkung, versteht man Eduard Springers glühende Verehrung. Am augenfälligsten manifestiert sich die Begeisterung des Wiener Publikums auf dem Höhepunkt ihrer Karriere: ihrem Abschied von der Bühne. Nach ihrem letzten Auftritt, noch dazu in der von ihr so oft gesungenen Rolle der Carmen, tobt das Publikum im Haus am Ring und ruft die geliebte, verehrte und angebetete Beste aller Sängerinnen mehr als 150 Mal vor den Vorhang – über eine Stunde dauert diese Ovation, die sich auf der Straße fortsetzt. »Wer am 29. Jänner 1900, 11 Uhr abends, in der Nähe des Wiener Opernhauses geweilt haben mochte, ohne zu wissen, was da vor sich ging, der hätte meinen können, eine Revolte sei ausgebrochen oder sonst ein weltbewegendes Ereignis finde gerade hier seinen Niederschlag. Am Ring, rund um die Oper und bis zur Krugerstraße hin, wo die Renard wohnte, gab es ein lebensgefährliches Drängen und Stoßen. Und dies an drei Abenden, an denen Tausende an Marie Renard vorbeidefilierten, ihr den Abschiedsgruß zu entbieten.« Nach der dritten und unwiderruflich letzten dieser Vorstellungen kommt es zu einem noch größeren Tumult: »Was sich dann noch auf der Straße abspielte, gehört zu den turbulentesten Höhepunkten einer losgelassenen Publikumsbegeisterung, wie sie kaum ein zweites Theaterereignis mehr erlebt hat. Kopf an Kopf gedrängt stand die Menge, die Polizei mußte einschreiten, um der Renard den Weg vom Bühnentürl freizumachen.« So erinnert sich die Bühne noch im Jahr 1941 – mehr als eine ganze Generation später – an Marie Renards Bühnenabschied, der in der Zeitschrift Der Floh mit einem Augenzwinkern in Gedichtform beschrieben wird:

      Aus der Renard-Woche.

      Was kümmert uns der Ausgleichsrummel? Was die Verständ’gungsconferenz?

      Die Burenkriege, Englands Pläne, die sind für uns jetzt nichts als Pflänz!

      Der Kohlestreik und die Vertheuerung der Lebensmittel aller Art,

      Die sind Wurst. Für uns gibt’s eine nur und das ist jetzt: Marie Renard!

      Und in der weiteren Beschreibung werden 26 Augen gefunden, »die sich jugendliche Schwärmerinnen herausgeweint haben«.39 Ob Eduard Springer die unfassbare Begeisterung des Publikums an diesem Tag in der Oper auch miterlebt?

      Zwei weitere Sommerfrischegäste am Vis-à-vis-Ufer des Schlosses Litzlberg stehen auf unterschiedliche Weise in Verbindung mit Marie Renard. Zum einen Gustav Mahler, unter dessen umstrittener Direktion sie ihren Abschied nimmt. Und zum anderen die große Charlotte Wolter, die das Publikum zu ebensolchen Begeisterungsstürmen bewegt (siehe Kapitel 33 und 29).

      Die weiteren Sommer bis zu seinem Tod verbringt Eduard Springer jedenfalls in dem Refugium auf der Insel, kümmert sich um die Fischzucht in Zell bei Nussdorf, stiftet Geld für die Schule in Schörfling, wird Ehrenbürger. Und bleibt unverheiratet. Vielleicht in ewiger Erinnerung an eine unerreichbare Künstlerin, deren Wärme, Geist, Leidenschaft und Zauber der Persönlichkeit ihn bis zu seinem Tod bannen.

       6 Zwischen Kieferchirurgie und Yacht-Club. Gustav Wunschheim

       Attersee, Mühlbach 16

      Wer mit passionierten Seglern spricht, erlebt bei Erwähnung des Attersees immer wieder ein Leuchten in deren Augen: der Rosenwind, die Weite, die großartigen Regatten. Mich als Wolfgangseerin mag das etwas kränken, doch ist die Bedeutung des Attersees in Bezug auf das Segeln unbestritten. Das muss ich neidlos eingestehen.

      Doch Segeln ohne die geeignete Infrastruktur bietet nur das halbe Vergnügen. Der Union Yacht-Club Attersee, 1886 unter der Leitung von Eugen Ransonnet (siehe Kapitel 9) gegründet, spielt eine bedeutende Rolle: Sport und Gesellschaftsleben vereinen sich und bestimmen das Leben in der Sommerfrische, finden sich doch als Mitglieder vor allem die Sommergäste, unter anderem die Familien Paulick, Langer, Doderer, Faber und Nemetschke ebenso wie der begeisterte Segler Oskar von Meiss-Teufen und viele andere, darunter Gustav Wunschheim von Lilienthal und sein Sohn Erwin.

      Letztere besitzen seit 1907 in Sichtweite des Yacht-Clubs ein Haus direkt am See, wohl erworben mit dem Vermögen von Gustavs Frau Melanie. Deren Vater Alexander Eberan von Eberhorst hatte ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Gründung des YachtClubs gespielt, war er doch als Admiral der Seefahrt besonders verbunden. Selbstverständlich sind Gustav Wunschheim und Alexander Eberan Ehrenmitglieder des Clubs.

      Gustav Wunschheim, geboren in Linz, studiert in Prag Medizin und interessiert


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