Die Villen vom Attersee. Marie-Theres Arnbom

Die Villen vom Attersee - Marie-Theres Arnbom


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›Deshalb sagte ich früher – das ist unser letzter Sommer in Österreich.«7

      Eleonora Mendelssohn selbst sammelt während der Sommermonate eine intellektuelle und künstlerische Gesellschaft aus aller Welt um sich, die Nähe zu den Salzburger Festspielen und natürlich zu Max Reinhardt trägt das Ihre dazu bei. Viele dieser Gäste erinnern sich später an die Gastgeberin, so die große Schauspielerin Elisabeth Bergner: »Sie war so schön, daß einem die Augen übergingen (…) und so engelhaft gut wie eben ein Engel. Sie war auch der unglücklichste Mensch, den ich jemals getroffen habe. Als hätten alle guten Feen an ihrer Wiege gestanden, um sie mit Schönheit, Reichtum und Talent zu segnen; und zum Schluß war die böse Fee gekommen, die man vergessen hatte einzuladen, und hatte das unschuldige Kind mit so giftigem Atem angehaucht, daß alle Segnungen davon zunichte gemacht wurden.«8 In dieser traurigen Schilderung liegt viel Wahres, denn ein einfaches Leben führt Eleonora wahrlich nicht. Sie verfällt wie so viele andere Künstlerinnen, Schauspielerinnen und Sängerinnen ihrer Zeit dem Morphium und kommt nicht mehr davon los.

      Große Stars verkehren in Kammer und bringen die internationale Gesellschaft an den Attersee. Die Liste der Berühmtheiten beeindruckt und reicht von Arturo Toscanini bis zu Marlene Dietrich.9 Fritzi Massary, die große Berliner Operettendiva, findet nach dem Unfalltod ihres Mannes Max Pallenberg in Kammer Zuflucht und Zuspruch. Und trifft hier auf den Komponisten Noël Coward, der ihr 1938 ein Musical mit dem prägnanten Titel Operette auf den Leib komponieren wird.

      Aber auch der Schriftsteller Carl Zuckmayer kommt oft aus seiner Wiesmühl in Henndorf nach Kammer: »Nach Osten erstreckte sich das Netz unserer nachbarschaftlichen Beziehungen bis zum Schloß Kammer am Attersee, dessen einen Flügel damals die schöne Eleonora von Mendelssohn mit ihrem Gatten Jessenski bewohnte (er saß so prachtvoll zu Pferde, ehemaliger k. und k. Husarenrittmeister, schlank und jugendlich, mit weißem Haar, in einer rotseidenen Reitbluse!).« Zuckmayer gibt auch Einblick in das Sommerleben: »Was sich dort bei nächtlichen Festen, nach einer Plättenfahrt mit Zitherspiel auf dem grundklaren See, alles zusammenfand – man könnte sagen: ganz Österreich und die halbe Welt. Nie kam man von solchen Einladungen nach Haus, bevor der Morgen dämmerte.«10

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      Segler vor Schloss Kammer, 1920er-Jahre

      Doch nicht nur die internationale Crème de la Crème findet sich in Kammer ein, auch einheimische Künstler gehen ein und aus. Die Innviertler Künstlergilde zum Beispiel, in der sich Schriftsteller und Musiker vereinen, veranstaltet Akademien im Schloss, bei denen aufgeführte Werke wie ausführende Künstler ein aufmerksames und wohlwollendes Publikum finden.11

      1937 klingt dieses Leben nicht nur in Schloss Kammer aus, wie sich Carl Zuckmayer anlässlich einer Abendgesellschaft bei Eleonora Mendelssohn erinnert, bei der das berühmte Streichquartett Arnold Rosés spielt: »Zum Abschluß spielten sie aus dem Kaiser-Quartett von Haydn jenen Satz, der die Melodie der österreichischen Kaiserhymne schuf, welche dann auch die des Deutschlandliedes wurde. Die Wiener Künstler spielten das so, wie es von Haydn gemeint war, als eine schlichte, fromme Melodie – fast ein Gebet. Den meisten Zuhörern traten die Tränen in die Augen. Und ein halbes Jahr später waren die meisten, von denen hier die Rede war, in alle Winde zerstreut.«12

      Am 3. September 1937 trifft Eleonora Mendelssohn, vom französischen Hafen Cherbourg kommend, auf dem Schiff Berengaria in New York ein. Im April 1939 kehrt sie via Southampton noch einmal nach Europa zurück, um es am 30. September 1939 abermals – diesmal endgültig – in Richtung New York zu verlassen.

      Um ihren Besitz in Kammer zu retten, überschreibt sie ihn am 19. Jänner 1939 ihrem geschiedenen Mann Emmerich Jeszenszky, doch ohne Erfolg. Gerade ein so prominentes und repräsentatives Objekt steht bei den Nazis auf der Liste der Begehrlichkeiten ganz oben.13 Diverse Organisationen interessieren sich für eine Nutzung des Schlosses. Zunächst bringt der Landrat von Vöcklabruck hier wichtige Gäste unter, später übernimmt die Fliegerschule das Haus. Die Gäste müssen nun in Steinbach in der Villa Gütermann untergebracht werden (siehe Kapitel 30). Ein ewiges Hin und Her, Gerangel, Streit und Missgunst der einzelnen Nazi-Behörden prägen die kommenden Jahre.

      Eleonora Mendelssohn bekommt davon nichts mit, sie lebt, von ihrer Drogensucht häufig ans Bett gefesselt, in New York und umgibt sich mit den bescheidenen Überbleibseln ihres ehemaligen Lebens. Dazu zählt auch das Ehepaar Zuckmayer, das sich im Exil kaum über Wasser halten kann. Ihnen stellt Eleonora Möbel für eine kleine Wohnung am Hudson River zur Verfügung – Relikte aus einer anderen Welt.

       2 Das Vermögen des Branntweiners Simon Marmorek

       Seewalchen, öffentliches Strandbad

      Ein Branntweiner aus Tarnopol besitzt neun Zinshäuser in Wien, hat zwölf Kinder und wohnt selbst in der Wiener Leopoldstadt, Springergasse 12. Da scheint vieles auf den ersten Blick nicht zusammenzupassen. Simon Marmorek, den seine Todesanzeige in der Neuen Freien Presse als Holz- und Kohlenhändler und Liqueur-Fabrikant ausweist, stirbt am 30. Juni 1900 in Bad Vöslau und hinterlässt ein gigantisches Vermögen. Es handelt sich um eine klassische »jüdische« Erfolgsgeschichte, wie es sie im 19. Jahrhundert in der österreichisch-ungarischen Monarchie häufig gibt. Doch zumindest in einem Punkt ist dies nicht der Fall: Der übliche Lebensweg eines Aufsteigers, der sich in Wien etabliert, zeichnet sich auch am Wechsel des Wohnortes ab: Von der Leopoldstadt geht es meist in den neunten Bezirk und danach in die Innenstadt – kaum jemand, der zu Geld kommt, bleibt im zweiten Bezirk.

      Nicht jedoch Simon Marmorek. Er hält dem zweiten Bezirk die Treue und bringt sein Familienhaus in einen Fonds ein, der allen Familienmitgliedern gleichermaßen zugutekommt und zehn Prozent der Erträge für wohltätige Zwecke widmet. »Im Namen Gottes, der mich und meine ganze Familie bisher gesegnet, beschützt, mit Wohltaten überhäuft hat, soll auch mein gesamt Vermögen an meine geliebten Kinder verteilt werden. Möge auch Euch Gottes Segen in allem, was Ihr tun und beginnen werdet, zu Teil werden, glaubt an Euren väterlichen Gott, seid dankbar jedem, der Euch Gutes getan hat, und seid bescheiden. Mit aufgehobenen Händen segne ich Euch, meine lieben Kinder und wünsche, dass Ihr friedlich in aufrichtiger Treue und Liebe miteinander leben sollt, meine bestehenden Unternehmungen weiterfortzuführen.« So schreibt er in seinem Testament ein Jahr vor seinem Tod.

      Am 9. Juli 1922 erwirbt Simons Tochter Elsa, die Cousine des Architekten Oskar Marmorek (siehe Kapitel 10 und 28), mit ihrem Erbteil ein Haus mit großem Garten in Seewalchen. Ein halbes Jahr später lässt sie sich von ihrem Mann Leopold Andorff scheiden. Gemeinsam mit ihrem zweiten Mann Peter Westen und ihren Kindern Heinrich, einem Rechtsanwalt, und Hildegard, die 1929 den Fabrikanten Otto Schratter heiratet, macht sie ihr Anwesen zu einem fröhlichen und mondänen Zentrum der Seewalchener Sommerfrischegesellschaft.

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      Sommer bei Familie Andorff-Westen: Marlen Fischer und Marianne »Nandi« Hergesell, verehelichte Schwaighofer, auf der Terrasse des Seepavillons

      1924 lässt sie ein neues Haus, die sogenannte Waldvilla, bauen, den Auftrag erhält jedoch nicht ihr Cousin Oskar Marmorek, sondern Architekt Josef Zotti, der in Seewalchen auch für sich selbst ein Haus errichtet hat. Zotti, ein Schüler Josef Hoffmanns, ist heute völlig in Vergessenheit geraten, seine Bauten in Seewalchen existieren nicht mehr.

      Das angrenzende Grundstück samt Badehütte und dazugehörigen Rechten kauft am 14. April 1924 die Internationale Industrie und Handels A. G. mit Sitz in Vaduz. Dahinter verbirgt sich bereits der zukünftige Ehemann Peter Westen, ein Großindustrieller, dessen Reputation nicht ganz makellos ist und dem Geschäfte nachgesagt werden, die in den 1920er-Jahren zwar vielleicht üblich, aber nicht immer ganz sauber sein dürften. Ob dies zutrifft oder nicht, bleibt


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