Die Villen vom Attersee. Marie-Theres Arnbom

Die Villen vom Attersee - Marie-Theres Arnbom


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      Natürlich muss man aber zum Lesen dieses Buches nicht physisch am See anwesend sein, denn die Schicksale der beschriebenen Menschen beziehen sich zwar alle auf den Attersee, gehen aber weit darüber hinaus und führen ebenso nach Wien und Prag wie nach Chicago und New York.

      Jedenfalls möchte dieses Buch dazu anregen, in die Atmosphäre einzutauchen, die all diese Menschen anzog und die ihnen viele unvergessliche Jahre beschert hat, in guten wie in schlechten Zeiten.

       1 Mondän und exzentrisch. Schloss Kammer

       Schörfling, Hauptstraße 28

      Mein erster Eindruck von Schloss Kammer geht auf die 1980er-Jahre zurück. Im Sommer wurden dort Konzerte veranstaltet, die nicht nur durch musikalische Qualität bestachen, sondern eine ganz spezielle Atmosphäre boten: Zahllose Kerzen erhellten den Saal und die Gänge und gaben den Konzerten eine ganz besondere Note.

      Am 14. August 1925 erwerben Emmerich Jeszenszky und Eleonora Fischer, geborene von Mendelssohn, Schloss Kammer samt zahlreichen weiteren Grundstücken. Ein ungarischer Rittmeister und eine Berliner Schauspielerin, die am Anfang dieses Buches stehen und zugleich symbolisch sind: Auch Kammer gehört zu dem Netz aus zahlreichen Querverbindungen und unsichtbaren Fäden kreuz und quer über den See. Dicht, aber dennoch durchlässig. Eine geschlossene Gesellschaft, die jedoch offen ist für neue Begegnungen. Die bunte Mischung umfasst Industrielle und Komponisten, Diven und Schriftsteller, verliebte Herren und exzentrische Damen, Ärzte und Theaterleute, Erfinder und Frauenrechtlerinnen. Die Anfänge des Netzwerkes liegen Jahrzehnte zurück und verweben sich von Generation zu Generation aufs Neue: Eleonora Mendelssohn passt perfekt in diese Gesellschaft.

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      Gustav Klimt, Allee zum Schloss Kammer, 1912

      Doch wie verschlägt es eine Berliner Schauspielerin und einen ungarischen Rittmeister ausgerechnet nach Schörfling? Die exzentrische Eleonora Mendelssohn entstammt der berühmten Berliner Bankiersfamilie, ihr Onkel besitzt eine Villa in Rindbach am Traunsee. Ihre Ambitionen, als Schauspielerin Erfolge zu feiern, treiben sie an, ihre Verliebtheit in Max Reinhardt spielt ebenfalls eine Rolle. Verheiratet ist Eleonora mit dem Pianisten Edwin Fischer, doch verliebt sie sich in den ungarischen Rittmeister Emmerich von Jeszenszky, der sich in Berlin in ihrem Dunstkreis bewegt, und startet mit ihm in ein neues Leben. Dieses soll sie fort aus dem wilden Berlin aufs Land führen – eine eigenartig anmutende Idee für eine Frau, die intensiv lebt und dazu das Treiben der Großstadt mit all seiner kulturellen und gesellschaftlichen Vielfalt braucht. Und doch: Ein neues Domizil muss her, Jeszenszky ist fest entschlossen, einen landwirtschaftlichen Betrieb zu übernehmen. Diesen findet er in Schörfling, einschließlich eines Schlosses in wenig attraktivem Zustand. Dies entspricht jedoch ganz Eleonoras Geschmack: Sie kümmert sich um das Schloss, Emmerich um die Landwirtschaft – eine ideale Verteilung der Talente.

      Der Mann der Vorbesitzerin, Direktor des Dorotheums, nutzte das Schloss als Lager für Möbel, die jedoch mehr durch Quantität als durch Qualität glänzten. Außerdem leben Mieter im Haus, von der Gemeinde Schörfling zwangseingewiesen – alles keine guten Voraussetzungen für ein angenehmes Leben auf einem gepflegten Besitz4, doch das kann Eleonora nicht entmutigen, im Gegenteil. Sie widmet ihre Zeit – und ihr Geld – der Renovierung, engagiert einen Tischler, der in einer eigenen Werkstatt in Kammer nach ihren Vorstellungen Möbel herstellt – gewiss eine aufreibende Tätigkeit. So stellt etwa die Herstellung einer Tischplatte eine große Herausforderung dar, verlangt Eleonora doch die stilgetreue Nachbildung einer alten Truhe: »Während dieser Zeit war die ›Gnädige‹ kränklich und mußte das Bett hüten. Mehrmals mußten wir zu viert die schwere Platte in ihr Schlafzimmer bringen, daß sie sich vom Bett aus vom Fortschritt der Arbeit überzeugen konnte. Als der Tisch der Form nach fertig war, zeigte ich dem Herrn Rittmeister die kleine Truhe im Stiegenhaus und sagte ihm, daß seine Frau den Tisch auch so ›alt‹ haben möchte. Er sagte mir: ›Herr Widrin, ich möchte schon lieber eine schöne, glatte Platte, aber machen Sie nur wie Eleonora will‹, setzt er ganz gottergeben dazu. Der Tisch wurde einer geradezu barbarischen Behandlung unterzogen.«5

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      Emmerich Jeszenszky und Eleonora von Mendelssohn

      Die großzügigen Räume in Kammer bieten Platz für viele Gäste: Ein Speiszimmer für 28 Personen und ein weiteres für zwölf ermöglichen große Abendessen, zahlreiche Salons, ein Billardzimmer, eine Bibliothek, ein mit venezianischen Spiegeln ausgestattetes Spiegelzimmer und ein Musikzimmer schließen sich an. Das Herzstück stellt jedoch der sogenannte Zeremoniensaal dar: 500 Gäste können hier empfangen werden – in denkbar großzügigem Ambiente, denn die Höhe des Saales erstreckt sich über zwei Stockwerke.

      Neben dem glanzvollen Leben in Kammer tritt Eleonora weiter an verschiedenen Bühnen auf und verbringt viel Zeit in Berlin – ihr Ehemann bewirtschaftet in der Zwischenzeit das Gut. Eine Milchwirtschaft mit 36 Kühen und einer Käserei zählen ebenso dazu wie eine Schweinezucht. Besonders am Herzen liegt dem Rittmeister jedoch die Haflingerzucht, die er 1930 begründet.6

      Doch die Ehe zwischen Eleonora und Emmerich geht auseinander, 1936 lassen sie sich scheiden, im selben Jahr wird ein Teil des Schlosses für zwei Jahre an Raimund und Ava von Hofmannsthal vermietet – sie bilden den Schlusspunkt des seeumspannenden Netzes. Raimunds Vater Hugo von Hofmannsthal hatte Jahre zuvor auf dem vis-à-vis am südlichen Ende des Sees gelegenen Berghof erstmals aus seinem Rosenkavalier gelesen. Seine Mutter Gerty Schlesinger gehört dem familiären Mittelpunkt der Unteracher Sommerfrische an, verwandt und verbandelt mit den Ecksteins, den Baums, den Geiringers – ihnen allen sind Kapitel dieses Buches gewidmet. Und Raimunds Cousine Dorli Schereschewsky verbringt ihre Sommer auf dem Plomberghof in St. Gilgen – in den 1980er-Jahren habe ich sie in London besucht und viele Jahre regelmäßig mit ihr korrespondiert. So schließt sich der Kreis.

      Raimund zelebriert die Sommer in Kammer, sein Freund Ivan Moffat erinnert sich an den Zauber noch viele Jahre später: »An der Schmalseite des Sees lag das Schloss. In einer Sommernacht zwei Jahre vor Ausbruch des Krieges glitt eine Plätte mit roten Segeln über den See. Unser Gastgeber Raimund hatte gesagt, dies sei unser letzter Sommer in Österreich.

      Der Mond schien nicht, doch hoben sich die Konturen der Berge klar gegen den Sternenhimmel ab. Die Maschine stoppte und wir glitten in der warmen Luft in solcher Lautlosigkeit, dass unsere sanfte Fahrt weicher wirkte als die Stille. (…) ›Lausche dem Plätschern‹, meinte meine Mutter. ›Nicht dem Plätschern – der Stille.‹ Wir lauschten.

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      Raimund von Hofmannsthal, fotografiert von Cecil Beaton

      Raimund wandte sich zum Heck und erhob als Zeichen für die drei Musiker sein Glas. Der Hornist stand auf, schaute zum nächst gelegenen Berg, spielte die ersten Takte von Erzherzog Johanns Jagdgesang und stoppte genau in dem Moment, in dem der erste Ton als Echo vom Berg zurückhallte. Die Takte wurden wiederholt. Als das Echo verstummte, stimmten Geige und Ziehharmonika als Gruß mit ein und setzten die Melodie fort.«

      Zurück an Land setzt man sich zu Tisch, ein Zauber liegt über der Szenerie: »Raimund klatschte in die Hände. ›Musik!‹ Eine weitere Plätte leuchtete auf, wenige Meter vom Ufer entfernt. Eine Blasmusik begann ganz sanft einen Walzer zu intonieren. Über die Musik rief Raimund: ›Feuerwerk!‹ Von einer dritten Plätte erhoben sich sechs Raketen, die Funken flogen über die Musik und verglommen sanft in den Sternen.

      Zwei Kilometer weit weg, entlang des Sees, schien ein kleines Feuer auf einem Hügel auszubrechen. Es wuchs zu einer klaren Form: Vier Haken aus Flammen. Ein großes Hakenkreuz wurde in der Dunkelheit entzündet.


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