Die Villen vom Attersee. Marie-Theres Arnbom
etwas sagt. Mir ist er seit meiner Kindheit vertraut, blicke ich doch Tag für Tag auf den Pötzleinsdorfer Park, den Max Schmidt 1935 der Gemeinde Wien vermacht hat, samt den schon immer geheimnisvollen Steinfiguren aus dem abgebrannten Ringtheater. Und eine zweite Verbindung gibt es: Auf dem eindrucksvollen Haus Währinger Straße Nr. 29 prangt bis heute in großen Lettern der Name »Friedrich Otto Schmidt« – das war Max’ Vater und Begründer der Repliken-Firma. In diesem Haus befand sich noch in den 1970er-Jahren die Turnschule der von uns als »Tante« apostrophierten Etta Neuman. Hierher führte mich meine Großmutter, die mich als Dreijährige von der Bedeutung sportlicher Betätigung zu überzeugen versuchte. Das Balancieren über umgedrehte Bänke zählt zu meinen frühesten Kindheitserinnerungen.
Die imposante Villa Daheim
Nun begegnet mir Max Schmidt wieder in Seewalchen, wo er zwei Villen besitzt: Die Villa »Daheim«, ererbt von seinem Vater, und die Villa »Schneckenhaus«, wie sie im Grundbuch genannt wird, die er seiner Schwester Auguste Strohschneider 1920 als Gästehaus abgekauft hat. Zwei sehr gediegene, behäbige historistische Anwesen, die auf ein überaus bürgerliches Umfeld schließen lassen. »Die große Villa ist von meinem seeligen Vater F. Otto Schmidt senior unter Mithilfe des Malers Hans Makart und Friedrich Amerling eingerichtet und ist ein interessanter Typus aus den 70er Jahren«, ist Jahrzehnte später in Max’ Testament zu lesen. Doch birgt diese Gediegenheit plötzlich neue, pikante Aspekte. In den Zeitungsberichten rund um Max Schmidts Tod taucht plötzlich eine Dame unter dem Namen »Magnaten-Elsa« auf – mein Interesse ist geweckt, denn dieses Prädikat lässt auch mit wenig Phantasie Frivoles erahnen. Und man wird belohnt mit einer Geschichte, die in die Budapester Halbwelt hineinreicht und mit einem tragischen Skandal endet.
Es war einmal ein Mädchen aus der ungarischen Provinz, der Vater Bäckergehilfe und früh verstorben, die Mutter wieder verheiratet mit einem Bauern, der die Stieftochter schlecht behandelt. Die junge Emilie Kocsan macht sich deshalb auf in die weite Welt und geht nach Budapest. Dort verdient sie in Vergnügungslokalen, »wo sich vornehme Herren zu unterhalten pflegen«22, ihren Lebensunterhalt: »Sie kam rasch in Mode, wurde später im Café des hauptstädtischen Orpheums als Buffetdame engagiert und war stets von einem ganzen Hof jüngerer und älterer Lebemänner umgeben.« Hier trifft sie auch einen österreichisch-ungarischen Großindustriellen namens Max Schmidt, der sich in sie verliebt, ihr eine kostbare Wohnung einrichtet und sie mit Schmuck und Kleidern überhäuft. Doch lebt er nicht mit ihr zusammen, denn er erklärt unter Eid: »Ich war nie kürzere Zeit als eine halbe Stunde und nie länger als eine Stunde bei ihr.«23
Emilie geht mit ihrem Freund, aber auch anderen »Lebemännern« aus und ist Stammgast in den verschiedensten Unterhaltungslokalen, in denen sie »mit dem riesigen Aufwande ihrer Toiletten und ihres auf Hunderttausende geschätzten Schmuckes allseitiges Aufsehen erregt«, wie das Deutsche Volksblatt am 13. Jänner 1914 berichtet. Allgemein wird sie nun Magnaten-Elsa genannt und als »grande cocotte« bezeichnet – offenbar hat sie bei den Herren großen Erfolg. Zehn Jahre geht dieses Leben gut, sie begibt sich auf große Vergnügungsreisen, lebt zeitweise auch in Wien und verbringt wohl so manchen Sommer in Seewalchen – in der gediegenen, prachtvollen Villa Daheim. Magnaten-Elsa genießt ihr Leben in vollen Zügen und erfreut sich am Neid ihrer Kolleginnen, wenn sie »in kostbarem Hermelin und schwerer Seide, von haselnußgroßen Diamanten und Perlen behangen, wie eine Königin der Nacht durch die Welt rauschte, in der man sich amüsiert«24. Es werden Erinnerungen wach an Pygmalion, My Fair Lady und Pretty Woman. Ein Stoff, der immer wieder fasziniert.
Das Hauptstädtische Orpheum (Fővárosi Orfeum) in der Nagymező utca, eines der vielen Unterhaltungstheater in Budapest, erbaut von Fellner und Helmer. Heute befindet sich hier das Budapesti Operettszínház.
Der Schriftsteller Alexander Nadas schildert das Paar sehr blumig im Stil eines Romans. Wie weit dies der Realität entspricht, bleibe dahingestellt: »Schmidt sah aus wie der feinste russische Fürst. Wie ein Großfürst. Seine Gestalt, sein Gesicht, seine Haarfarbe, seine Haltung ähnelte Schaljapin.«25 Besagter russischer Starbassist zählte zu den berühmtesten und faszinierendsten Sängern seiner Zeit. Schmidt »zog jeden Abend den Frack an; Elsa erschien jeden Tag in einer anderen Toilette, meist schneeweiß, mit Perlen und königlichen Diademen.« Was für ein Paar! Und Nadas steigert seine Begeisterung noch weiter mit einem grandiosen Vergleich: »Wo die beiden erschienen, wurde es um sie finster, sie glänzten wie eine Hunderter-Glühbirne neben einer Wachskerze.«
Die Firma Friedrich Otto Schmidt stellt Repliken her, jedoch keine billigen, sondern Nachbauten auf höchstem Niveau: Möbel, Gemälde, Kunstgegenstände – alles, was das Herz begehrt, liefert sie an wohlhabende Auftraggeber für deren Schlösser und Stadtpalais, Landhäuser und herrschaftliche Wohnungen. Wohlhabend sind sie, aber die Mittel reichen eben doch nicht für einen originalen Renaissance-Schrank, sondern nur für eine der perfekten Repliken – die eben nicht Fälschungen genannt werden, um den Schein zu wahren. Friedrich Otto Schmidt benennt sein Geschäftsmodell ganz offen, seine Käufer hingegen täuschen ihren Besuchern eine andere, reichere Welt vor.
Max Schmidt, Kunstsammler und Mäzen
Sein Sohn Max gilt als versierter Kenner und Sammler von Kunstgegenständen aller Art – und das führt wieder nach Seewalchen: In einem Pfahlbau nahe von Kammer lässt er Grabungen anstellen und fördert Erstaunliches zutage: 700 steinerne Flachbeile, 60 Steinhämmer, 70 Feuersteinklingen, die als Messer verwendet wurden, 450 Schlagsteine, 1000 Tongefäße und 50 Bronzen.26 Max plant, ein Museum in Seewalchen einzurichten, das jedoch nie eröffnet wird, denn 1914 trifft ihn ein harter Schicksalsschlag: Am 10. Jänner 1914 wird in Budapest ein Reisekorb aus der Donau gefischt.
Die »Magnaten-Elsa«: »Die Frauenleiche im Korb: Aufnahme nach der Auffindung am Donauufer in Budapest«, Abbildung in den Wiener Bildern, 18.1.1914
Eine grausige Entdeckung, denn der Korb enthält eine erdrosselte weibliche Leiche. Es dauert zwei Tage, bis die Ermordete als Magnaten-Elsa identifiziert wird – was für ein tragisches, unpassendes Ende für diese Frau, die zu den elegantesten »Demimondaines der Hauptstadt«27 zählte. Was ist passiert? Das neue Dienstmädchen Rosa Kobori neidet ihrer Dienstherrin den Reichtum. Sie selbst hat zwei Liebhaber, und einer davon erscheint ihr als idealer Komplize für ihren Plan: Gustav Nick, ein arbeitsloser Bäckergehilfe, soll Elsa erdrosseln. Dies tut er, danach verpacken sie gemeinsam die Leiche und versenken sie in der Donau. Doch agieren sie dabei sehr dilettantisch: Der Korb geht nicht unter, sondern wird am Ufer angeschwemmt. Und in Elsas Badezimmer findet sich noch das Handtuch, mit dem sie erdrosselt wurde. Wertvoller Schmuck fehlt, ein Mittelsmann wird beim Versuch, einen Teil davon zu versetzen, sofort geschnappt. Rosa Kobori und Gustav Nick werden zum Tode verurteilt, jedoch zu lebenslänglicher Haft begnadigt. 1919 erscheint Nick bereits wieder auf der Bühne der Öffentlichkeit: Im Zuge der revolutionären Ausschreitungen terrorisiert er die Budapester Bevölkerung. Fünf Jahre nur hat er für seine Tat büßen müssen.
Zu Elsas Begräbnis kommen Menschenmassen: 15 000 Menschen »aller Klassen« folgen dem Leichenwagen. »Es kam wiederholt zu heftigen Szenen, so daß Polizei und wiederholt auch die Rettungsgesellschaft intervenieren mußten. Auf dem ganzen Wege stockte der Verkehr der elektrischen Straßenbahn. Man zählte 120 Automobile, 400 andere Wagen, und die Wagen der Elektrischen waren derart überfüllt, daß man stundenlang keinen Platz finden konnte. Der etwa fünf Kilometer lange Weg zum Friedhof konnte erst in mehr als zwei Stunden zurückgelegt werden. Bei der Versenkung des Sarges kam es abermals zu lebhaften Szenen.«28 Ein völlig außer Kontrolle geratenes Spektakel, das auch keinerlei Respekt vor den Angehörigen zeigt: »Sogar der Gönner der Ermordeten, der Fabrikant Max Schmidt, die Mutter und die Verwandten der Turcsányi29, die ihr eine kurze Strecke zu Fuß das Geleite geben wollten, wurden