Er ging voraus nach Lhasa. Nicholas Mailänder

Er ging voraus nach Lhasa - Nicholas Mailänder


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8 Mann für 27000 RM schaffen zu können; die Zahl ist abgesehen von den Reisekosten lediglich gegriffen. Dyhrenfurth, der sich auf die Kosten anderer Expeditionen in jener Gegend beruft, veranschlagt […] 90 – 100000 RM, darunter nicht, erkläret mir Graf Oerindur!“16

      Bei so viel Gegenwind von solch prominenter Seite ist es erstaunlich, dass sich der Hauptausschuss des DuÖAV am 10. Mai zur Unterstützung der Münchner Kangchenjunga-Expedition mit 3500 Reichsmark durchringen konnte. Zwar war diese Subvention entscheidend, damit die Expedition gegenüber den englischen Behörden als offizielles Unternehmen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins auftreten konnte. Den kümmerlichen Betrag muss Paul Bauer jedoch als blanken Hohn empfunden haben. Entmutigen ließen sich er und seine Freunde dadurch aber nicht.

      Peter Aufschnaiter mag sein Vorhaben, in die USA auszuwandern, verschoben oder aufgegeben haben. Nach dieser Entscheidung beteiligte er sich offenbar mit Feuereifer an den Expeditionsvorbereitungen. Sein Freund Ernst Reisch holte bei einem ihm bekannten Colonel Palmers, der in Indien gedient hatte, Informationen über das Zielgebiet der Expedition ein. Die Ratschläge des erfahrenen Kolonialoffiziers sollten sich später als höchst wertvoll erweisen:

      Als Peter Aufschnaiter morgens aus dem Fenster seines Abteils blickte, verschlug es ihm schier den Atem: Früh um 6 Uhr sieht man bei schönstem Wetter einige Schneeriesen (PANDIM?). Unten liegen die Hills mit üppigen, massigen Wäldern bedeckt, blau und mit Wolkenschwaden, die gegen den Himalaja hinaufdrücken. In Siliguri war für die Weiterreise bereits vorgesorgt: Acht Autos warten auf uns. Die Unternehmer, Tibeter, sehen sehr energisch aus. Man fährt zunächst noch in der Ebene dahin. Unser Chauffeur ist ein kleiner flinker Mongole. Bald steigt die Straße in den Jungle hinauf. Die Steigung ist sehr schwach. Die Vegetation ist wunderbar, aber fremd und unbekannt. Affen. Scharen von Weibern in schönen und bunten Gewändern. Alle tragen Schmuck. […] Ghom liegt auf der Passhöhe. Von hier einige Meilen abwärts liegt Darjeeling. Eine Menge Kulis ist schon da und rauft sich um unser Gepäck. […]

      Am Abend des übernächsten Tages, es war der 30. Juli, trafen die Expeditionsmitglieder im Darjeeling Club die Spitzen der Behörden und andere Honoratioren. Peter Aufschnaiter vermerkte darüber in seinem Tagebuch: Ich sitze neben dem Polizeipräsidenten Laden-La, einem Tibeter mit einem netten siebenhaarigen Schnurrbärtchen. Ein Gentleman, der sich unser aller Sympathie im Nu erringt. Er ist einer der Haupthelden in Bells Tibetbuch („Rückzug der Chinesen über Indien im Jahre 1922 habe ich gemanagt, it was a very interesting job“). Er war auch in Deutschland. Gebildet, intelligent, witzig und – naiv. Heute Nachmittag kam er auch nach Charlemont, wo er unter den Kulis gleich eine Mordsbewegung hineinbrachte. Er ist befreundet mit Professor Scherman vom Völkerkundemuseum München. Im Club ist außerdem noch da: Colonel Tobin, Shebbeare, Preice, der Sekretär des Darjeeling Club, Graf Basswitz u. a. Die Engländer singen einen Trinkspruch auf „Jolly Good Fellow“ (Freimaurerlied). Es liegt ein Tagebuch von Shebbeare von der 24er Everestexpedition auf mit guten Bildern. In der Nacht Packen.

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      Paul Bauer (Mitte) forderte von seiner Expeditionsmannschaft einen fast militärischen Gehorsam, bei den Trägern war er seiner Fürsorglichkeit wegen beliebt.

      Unter der Führung des Sirdar Nursang brach der erste Trägertrupp auf und machte sich auf den langen Weg durch die feuchtheißen Vorberge hinein in die Hochregion des Kangchenjunga-Gebiets. In der Ortschaft Pedong stieß der englische Begleitoffizier Oberstleutnant Tobin zu der Truppe. Er war bei allen Expeditionsmitgliedern beliebt; bald sahen sie in ihm nicht nur einen angenehmen Begleiter, sondern einen Kameraden und Freund. Nach der Überschreitung des 1770 Meter hohen Gangtok-Passes folgte die Marschkolonne dem steil ins Tal des Tista hinabführenden Weg und dem reißenden Bergfluss hinauf bis zur 2700 Meter hoch gelegenen Siedlung Latscheng. Wenige Kilometer oberhalb zweigte linker Hand das zum Teil weglose Zemu-Tal ab. Aufschnaiter, Kraus, Leupold und zwei Träger gingen voraus, um den besten Weg zu suchen, ihn zu markieren und die Lager vorzubereiten. Der Tross folgte reibungslos auf der wohlpräparierten Strecke, sodass bereits am 16. August in einem oberhalb der Waldgrenze gelegenen grasbewachsenen Moränental auf 4370 Meter Meereshöhe der für das Hauptlager vorgesehene Ort erreicht war.

      Um sich vor dem kalten, vom Zemu-Gletscher herabwehenden Talwind zu schützen, begannen die Sahibs mit dem Bau einer Mauer aus Steinen, Rasenstücken und Holzverstrebungen. Bald waren auch die Kulis mit bei der Sache; und selbst Lieutenant Colonel Tobin krempelte seine Ärmel hoch, um Rasenpolster auszureißen und Steinbrocken zu schleppen, was für ihn eine gänzlich neue Erfahrung gewesen sein dürfte. Am Abend stand in dem Hochtal eine kleine Stadt mit einer Küche und zwei Schlafhäusern, dazwischen Zelte, die bereits den Kaukasus, das Pamirgebirge und den Mount Everest gesehen hatten. Darüber wehten die deutsche und die englische Flagge.


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