Er ging voraus nach Lhasa. Nicholas Mailänder
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Paul Bauer war einer von Aufschnaiters besten Bergfreunden.
In Paul Bauers Umfeld gab es da noch einen akademischen Bergfreund namens Wilhelm Fendt, der gemäß einer beim AAVM kursierenden Anekdote am 9. November 1923 bei Hitlers Umsturzversuch mitgemischt haben soll! Am Marsch auf die Feldherrnhalle wäre er nur deshalb nicht dabei gewesen, weil er die Oberföhringer Brücke gegen die anrückende Reichswehr hätte sichern müssen – schwer bewaffnet mit einer sechsschüssigen Pistole. Es hieß, Fendt hätte seinen Aufnahmeantrag in den AAVM mit einem einzigen Satz begründet, nämlich „Ich war beim Freikorps.“16
Ein weiteres ehemaliges Freikorpsmitglied in den Reihen des AAVM war der Medizinstudent Eugen Allwein. Im Jahr 1917 hatte er sich freiwillig zum Militärdienst gemeldet. Nach Kriegsende wechselte der junge Soldat ins Freikorps Oberland. Ende April 1919 nahm er an einer Feldschlacht gegen die „Rote Armee“ bei Dachau teil und mischte anschließend mit bei der „Befreiung“ Münchens. Wegen seiner Mitwirkung an dem militärisch zwar erfolgreichen, politisch jedoch wirkungslosen Sturm auf den Annaberg in Schlesien am 21. Mai 1921 verpasste Allwein das Notabitur für Kriegsteilnehmer daheim in München. Aufgrund „seiner Verdienste um Reich und Vaterland“ ermöglichte der Rektor des Wilhelms-Gymnasiums dem Freikorpskämpfer jedoch den Zugang zum Studium durch eine handschriftlich ausgestellte „ordre du mufti“.
Zu dem Freundeskreis um Paul Bauer im AAVM zählte damals auch der am 10. November 1900 in München geborene Wilhelm „Willo“ Welzenbach. Er hatte sich im Wintersemester 1920 an der Technischen Hochschule München eingeschrieben und war im Februar 1921 dem AAVM beigetreten. Es dauerte nicht lange, bis der zielstrebige Maschinenbau-Student die meisten seiner Vereinskameraden alpinistisch überflügelt und die damals schwierigsten Felstouren in den Nördlichen Kalkalpen gemeistert hatte. Im März 1923, mitten in der ärgsten Inflation, zog er fast ohne Barschaft, dafür aber mit zwei von Lebensmitteln schier platzenden Rucksäcken in die Schweiz. Per Ski bestieg er zwei Mal den Monte Rosa und eilte weiter in die Berner Alpen, um den Gipfeln von Mönch, Jungfrau, Finsteraarhorn und der Grindelwalder Fiescherhörner einen Besuch abzustatten. Im Sommer des Jahres wurde Welzenbach von dem versierten Westalpenmann Hanns Pfann im Wallis in die Kunst des Eisgehens eingeführt. Nach einer zweitägigen kombinierten Überschreitung von Matterhorn und Dent d’Hérens trafen die beiden in Zermatt zufällig den österreichischen Spitzenalpinisten Fritz Rigele, welcher dem Leser bereits bekannt ist als Freund von Peter Aufschnaiters Seilpartner Otto Zimmeter.
Rigele berichtete dem jungen Münchner von einem brandheißen alpinsportlichen Problem in der Glocknergruppe, an dem bislang alle Versuche gescheitert waren: die 600 Meter hohe Wiesbachhorn-Nordwestwand.
Fritz Rigele war dann über den Winter 1923/24 mit dringlicheren Angelegenheiten beschäftigt als dem Bergsteigen. Der beruflich stark eingespannte Notar war an den Machenschaften beteiligt, die darauf abzielten, die vorwiegend aus jüdischen Mitgliedern bestehende AV-Sektion Donauland aus dem Dachverband des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins hinauszudrängen. Als einer der Hauptdrahtzieher des Deutschvölkischen Bundes im DÖAV bereitete Rigele den für die Hauptversammlung 1924 in Rosenheim angestrebten Ausschluss der Sektion Donauland mit vor.
Bergsteigen war für Fritz Rigele nach dem „Schandfrieden von Versailles“ längst keine reine Privatsache mehr, sondern vor allem ein Mittel zur „Wiederaufrichtung des deutschen Volkstums“:
„Und heute, da unsere Volkskraft einen schweren Schlag zu verwinden hat – körperlich und seelisch –, […] da unser Volk aller jener Betätigungen, die seinen Edelsinn und seine Kraft wieder zu erwecken imstande sind, ärger denn je bedarf, da sollten wir plötzlich sagen: ‚Nun ist’s genug mit der Erschließung der Alpen, mit der Förderung des Bergsteigerwesens.‘ Nein! Heute gehört alles in den Dienst des Volkstums, also auch der Alpinismus. Gerade dieser! Denn seine innere und äußere Macht ist groß. […] Deshalb werbt für das Wandern in den Bergen, schreibt, erzählt hierüber, erschließt die Berge immer mehr, soviel ihr könnt – mag auch ein Stoß gegen euer altes Bergsteigerherz notwendig sein –, träumt nicht nur einsam über die Nordwand hinab ins stille Waldtal, dann wird es das deutsche Volk einst auch euch und euren alpinen Vereinen danken, daß ihr mitgeholfen habt an seinem Aufstieg.“17
Es erstaunt kaum, dass Rigele sowie sein enger Freund und antijüdischer Kampfgefährte Eduard Pichl alles in ihrer Kraft Stehende unternahmen, um die mit dem Bergsport befassten Verbände für ihre nationalrevolutionären Zielsetzungen zu instrumentalisieren: „Verbände aller Art, in unserem Falle vor allem Bergsteiger- und Sportverbände, scheinen vom praktischen Gesichtspunkt aus betrachtet, eine wertvolle Keimzelle für die Ideen des nationalen Wiederaufstiegs zu sein.“18
Rigeles strategische Gedanken sollten nicht als Phantasien eines einflusslosen Stammtischbruders abgetan werden. Der Göring-Schwager Rigele benennt damit einen wesentlichen Bestandteil jener Strategie, die den nationalrevolutionären Kräften in Österreich und Deutschland die Übernahme der Macht ermöglichen sollte. In solchen konsequent „deutschvölkisch“ ausgerichteten Vereinigungen war für Juden kein Platz. Während Fritz Rigeles Gesinnungsgenosse Eduard Pichl als Hauptdrahtzieher der als „Donaulandaffäre“ bekannten Vorgänge das dunkelste Kapitel der Geschichte des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins maßgeblich mitgestaltete, konzentrierte sich Rigele auf die „Arisierung“ des Österreichischen und des Deutschen Skiverbands.19
Mit solchen politischen Zielsetzungen hatte Fritz Rigeles Zermatter Bekanntschaft nichts im Sinn. Umso mehr Interesse zeigte Welzenbach aber für die Erstbegehung einer Eiswand, an der bisher alle abgeblitzt waren!
Am Morgen des 15. Juli 1924 stehen Rigele und Welzenbach gemeinsam 350 Meter über dem Einstieg unter jenem fast senkrecht aufragenden Eiswulst der Wiesbachhorn-Nordwestwand, an dem bisher alle Versuche gescheitert waren. Hier übernimmt der Ältere die Führung. Rigele hatte 1922 mit der Verwendung von ins Eis getriebenen Haken experimentiert und ausgezeichnete Erfahrungen gemacht. Durch den Druck beim Eintreiben schmolz das Eis, um dann sofort wieder zu gefrieren und den Haken fest in der Wand zu verankern. Rund eine Stunde hielt der Eiswulst das ungleiche Paar in Atem. Als die beiden um elf Uhr auf den sonnenbeschienenen Gipfel ausstiegen, war eine neue Ära des Eisgehens angebrochen, in der senkrechte und gar überhängende Passagen die Aura des Unmöglichen verloren hatten.
In jenem Sommer 1924 war Peter Aufschnaiter wohl studienbedingt gezwungen, wesentlich kleinere bergsteigerische Brötchen zu backen: Er bestieg den Dachstein, kletterte über den Kopftörlgrat auf die Ellmauer Halt und erstieg das Totenkirchl über die Südwand. Im vorhergehenden Winter hatte er gerade ein paar Skitouren in den Kitzbüheler Alpen gemacht und war immerhin auf die Regalpspitze und den benachbarten Regalpturm im Wilden Kaiser gestiegen. Sein Studium scheint ihn derartig in Anspruch genommen zu haben, dass er vom AAVM inzwischen unter den „Inaktiven“ geführt wurde.20 Das wundert kaum, denn den Landwirtschaftsstudenten wurde an der Technischen Hochschule München einiges abverlangt.
Wie bereits erwähnt, wurde Aufschnaiter und seinen Kommilitonen in den Wintersemestern auferlegt, sich die theoretischen Grundlagen der Landwirtschaft anzueignen. Durch die Berufung international renommierter Fachleute hatte die Technische Hochschule für ein erstklassiges Niveau gesorgt.
Die Lehrveranstaltungen des aus Schwarzenbach an der Saale stammenden Pflanzenbauwissenschaftlers Ludwig Kießling bestimmten über weite Strecken das Grundstudium. Seit 1910 leitete Kießling die Landessaatzuchtanstalt des Königreiches und späteren Freistaats Bayern in Weihenstephan.21 Die Ertragssteigerung und Qualitätsverbesserung der Getreidearten war sein vordringlichstes Anliegen. In Kießlings Vorlesungen zur „Allgemeinen Ackerbaulehre“, zum „Allgemeinen Pflanzenbau“ und zur „Pflanzenzüchtung“ sowie durch die sommerlichen Praktika in Weihenstephan dürfte sich Aufschnaiter wertvolle Kenntnisse angeeignet haben, die ihm später als Entwicklungshelfer in Tibet und Nepal ausgezeichnete Dienste leisten sollten. Aufschnaiters Pflanzenkunde-Professor Karl Giesenhagen war Verfasser des Klassikers Lehrbuch der Botanik und Herausgeber des Grundlagenwerks Alpenflora. Auch dass