Er ging voraus nach Lhasa. Nicholas Mailänder

Er ging voraus nach Lhasa - Nicholas Mailänder


Скачать книгу
es Peter Aufschnaiter als Kriegsgefangener in Riva am Gardasee ergangen ist, schildert er anschaulich in einem Brief an seine Ziehschwester Maria Stranitzer, die sich in Branzoll aufhielt:

Liebste Schwester! Riva, den 4. Juni 1919

      Dass mir nicht früher eingefallen ist, Dir zu schreiben, kommt daher, weil ich immer glaubte, Du seiest nicht mehr in Branzoll. Denn gerade von Branzoll hat mir einer erzählt, dass dort beim Rückzuge die Ungarn so schrecklich gehaust hätten. Wenn ich Dir früher geschrieben hätte, hätte ich mir viel schrecklichen Hunger ersparen können. Ich bitte Dich daher, wenigstens für diese kurze Zeit noch diese Vermittlerrolle zu übernehmen und mir etwa 40–50 Lire zu schicken. In der sicheren Annahme, dass Du mir die Bitte nicht abschlagen werdest, habe ich die Mutter schon gebeten, Dir diesen Betrag zu senden. Besuchen kann ich Dich leider nicht, wie Du ja jetzt selbst sehen wirst. Du würdest mich vielleicht anfangs gar nicht erkennen, denn ich bin in nagelneue italienische Montur gekleidet. In der Hoffnung, bald wieder einige lb. Zeilen von Dir zu bekommen, sendet Dir die herzlichsten Grüße

image

      Peter Aufschnaiter (links) vor der Matura-Prüfung am Realgymnasium Kufstein.

      Wirtschaftlich ging es dem einstmals aufblühenden Fremdenverkehrsort Kitzbühel inzwischen alles andere als gut. Die von Reisch initiierten Investitionen hatten zu einer starken Verschuldung der Gemeinde geführt. Aufgrund des kriegsbedingten Ausbleibens in- und ausländischer Gäste konnten die Zinsbelastungen nicht durch Einnahmen ausgeglichen werden. Besonders der Bau einer Badeanstalt am Rande des Ortes und der dadurch notwendige Ausbau des Elektrizitätswerks hatte die Gemeinde viel Geld gekostet, den Bürgermeister lokalpolitisch stark unter Druck gebracht und letztlich zum Rücktritt veranlasst. Der Krieg führte dann zum Konkurs seiner Brauerei, und das Sporthotel wurde als Lazarett genutzt. Diese Misserfolge nagten an dem ehemals unverwüstlich scheinenden Mann.

      Die Weihnachtstage verbrachte Aufschnaiter in Kitzbühel im Kreise der Familie und Freunde und stieg am 6. Januar 1920 zusammen mit seinem Freund Ernst Reisch und dessen Vater mit Skiern auf den Hahnenkamm. Was dann geschah, lassen wir uns am besten von einem Zeitzeugen berichten, dem Kitzbüheler Lokalhistoriker, Bauerngelehrten und sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten Hans Filzer:

      „Am Dreikönigstage gegen Abend eilte die Kunde durch unser Städtchen, der Realitätenbesitzer Altbürgermeister Herr Reisch sei bei einer Skiabfahrt tödlich verunglückt. Die genauere Feststellung ergab jedoch, dass kein tödlicher Sturz oder Anprall vorlag, sondern ihn während der Fahrt ein Schlagfluss ereilte. Mit Herrn Reisch tritt ein Mann aus dem Leben, der in Kitzbühel gewaltig umgestaltend wirkte. Die Anerkennung für diese Umgestaltung steht aber seit einer Reihe von Jahren oftmals in einer sehr bösen Kritik.

      Noch nie hat bisher ein Mann in Kitzbühel eine solche bauliche Umgestaltung in so kurzer Zeit ins Leben gerufen oder gefördert, das ganze Geschäftsleben in eine völlig geänderte Situation hinübergeführt, sich mit all seinem Können für ein Vorhaben derart eingesetzt. Sicher würde vieles anders dastehen, hätte Herr Reisch nie in unserer Mitte gelebt, aber ebenso sicher wären wir trotzdem in dies Fahrwasser gelangt, denn in Kitzbühel drängten die Verhältnisse noch viel mehr als in anderen Ortschaften darauf hin, eine neue Erwerbsquelle ausfindig zu machen. Die Frage ist nur die, ob dieser Übergang ohne die zielbewusste Führung dieses Mannes besser gelungen wäre. […]

      Dass diese Würdigung des visionären Unternehmers und Lokalpolitikers aus der Feder eines erklärten politischen Gegners stammt, unterstreicht umso mehr die Bedeutung von Franz Reisch für den Aufstieg des verarmten Bergbaustädtchens Kitzbühel zu einer der ersten Adressen im alpenländischen Tourismus. Sein geistiger Ziehsohn Peter Aufschnaiter hatte als Schüler und Soldat alles getan, um die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Wir können davon ausgehen, dass der grundanständige Franz Reisch mit seiner begeisterten Tatkraft, mit seiner Weltoffenheit und dem klaren Blick für das Notwendige und Mögliche dem „Peterl“ sein ganzes Leben lang Vorbild geblieben ist.

       ANMERKUNGEN

      1Vgl. Hans Wirtenberger: Viel zu elegant für Kitzbühel, Kitzbüheler Heimatblätter, 1993 Nr. 2, S. 101–102. Wido Sieberer (Hg.): Kitzbühels Weg ins 20. Jahrhundert. Von Landwirtschaft und Bergbau zu Sommerfrische und Wintersport, Kitzbühel 1999, S. 12–17.

      2Vgl. ebd.

      3Vgl. E-Mail von Hans Wirtenberger an den Verfasser vom 20. 02. 2018.

      Скачать книгу