Er ging voraus nach Lhasa. Nicholas Mailänder
zur Teilnahme an einer Himalaya-Kundfahrt in das Gebiet des Kangchenjunga eingeladen, die auf die Erstbesteigung des markanten Sechstausenders Siniolchu abzielte. Die Bauer-Vertrauten Günther Hepp und Karl Wien vervollständigten das kleine Expeditionsteam, das sich vorgenommen hatte, zwei eindrucksvolle Gipfel im Sikkim-Himalaya zu besteigen: den Tent Peak sowie den als „schönsten Berg der Welt“ bezeichneten Siniolchu. Bauer verfolgte damit weitergehende Ziele: „Wir wollten dort erproben, welche Möglichkeiten sich einer kleinen, leicht beweglichen Mannschaft bieten würden, zugleich wollten wir den Führer und die Kernmannschaft für den beabsichtigten dritten Angriff auf den Nanga Parbat schulen und Ausrüstung, Lebensmittel und Angriffsmethoden hierfür nochmals eingehend prüfen und verbessern.“42 Instabiles Wetter drohte dem schlagkräftigen Quartett die hochgesteckten Pläne zu vereiteln. Ihren Versuch am Tent Peak mussten Göttner und Wien wegen erheblicher Lawinengefahr abbrechen.
Nach sechs Schlechtwettertagen im Basislager starteten die vier am 21. September 1936 den entscheidenden Versuch am Siniolchu. Bauer, Wien, Hepp und Göttner gingen den schwierigen Sechstausender im Alpinstil an. Abends hackten sie in rund 6400 Metern Meereshöhe auf dem steilen, stark überwechteten Westgrat Sitze in den Firn und harrten auf den Morgen. Um acht Uhr in der Früh erreichte das Team die Scharte zwischen Vor- und Hauptgipfel. Hier blieben Bauer und Hepp zurück, um der Gipfelmannschaft „den Rückzug zu sichern“. Sechs Stunden später durchschlug Göttner die Gipfelwechte und betrat den höchsten Punkt: 6887 Meter. Die Bergsteiger befestigten einen „Hakenkreuzwimpel am Eispickel und schwenkten ihn laut jubelnd“, um ihren Kameraden in der Scharte den Erfolg zu melden.43
Paul Bauer hatte wieder einmal bewiesen, dass er nicht nur ein gewiefter alpinpolitischer Strippenzieher war, sondern auch ein hervorragender Bergsteiger und umsichtiger Expeditionsleiter!
Der gelernte Schildermaler Adolf Göttner hatte zusammen mit anderen Jungmannschaftsmitgliedern der DuÖAV-Sektion München – hier sind vor allem Ludwig Schmaderer, Martin Meier, Herbert Paidar, Josef Thürstein, Otto Eidenschink, Gottlieb Rosenschon, Alfred Seidl, Rudolf Unterberger sowie die Brüder Ludwig und August Vörg zu nennen – durch hervorragende Leistungen in den Alpen auf sich aufmerksam gemacht. Finanziert vor allem durch die Sektion München, fuhren Göttner, Rosenschon, Schmaderer und Vörg im Juni 1935 mit der Eisenbahn in den Kaukasus. Hier gelangen mehrere Erstbesteigungen. Elbrus und Kasbek wurden erstiegen. Krönung war die Überschreitung der beiden Uschbagipfel erstmals von Süden nach Norden.44 Im Sommer 1936 hatte Adolf Göttner eigentlich an einer weiteren Kundfahrt der Münchner Jungmannschaft teilnehmen wollen, hatte aber kurzfristig die Chance ergriffen, mit Paul Bauer zum Siniolchu zu fahren.45
So reisten seine Kameraden Schmaderer, Vörg, Thürstein und Herbert Paidar ohne ihn in den Kaukasus. Mit den ersten Durchsteigungen der Nordwand des Schchelditau durch Schmaderer und Paidar sowie der 2000 Meter hohen extrem schwierigen Westwand des Uschba durch Schmaderer und Vörg eröffneten die jungen Münchner eine neue Ära in der Geschichte des Kaukasusbergsteigens.46
Zusammen mit den leistungsfähigen Jungmannschaftsmitgliedern der Sektion München brannten auch die anderen deutschen Spitzenalpinisten darauf, sich im Himalaya zu bewähren. Leistungsträger wie Otto Eidenschink, Hans Ertl, Anderl Heckmair, Hermann Hoerlin, Martin Meier und Rudolf Peters gehörten damals zu den besten Bergsteigern der Welt. Für den Leiter des Fachamtes für Bergsteigen zählten sie aber – wie der verstorbene Willo Welzenbach – zu jenen Elementen, denen es in erster Linie um den bergsteigerischen Erfolg ging und die keinen Sinn dafür hatten, dass die erste Besteigung eines Achttausenders vor allem eine „nationale Angelegenheit“ zu sein hatte. Zwar förderte das Fachamt einzelne Kundfahrten junger Nachwuchsbergsteiger in den Kaukasus oder in die Anden.47 Die international bedeutenden Ziele blieben jedoch den Vertrauten von Fachamtsleiter Bauer vorbehalten, mit wenigen handverlesenen Ausnahmen. Diese weitgehende Monopolisierung des Himalaya-Bergsteigens kam bei der jungen Garde überhaupt nicht gut an. So beschwerten sich Herbert Paidar und Ludwig Schmaderer in einem Schreiben an ihren Freund Fritz Schmitt, den bekannten Alpinliteraten und späteren Schriftleiter des Deutschen Alpenvereins, über den Egoismus von Paul Bauer. Sie gestanden dem Fachamtsleiter aber auch zu, „aus einem harten, wenn auch nicht wohlriechenden Holz geschnitzt“ zu sein.48 Peter Aufschnaiter schnitt im Urteil der jungen Spitzenbergsteiger wesentlich günstiger ab: „Er ist ein gewissenhafter Mensch, der viel weiß, doch manchmal unter der gelesenen Büchermasse zu leiden scheint. Im Übrigen kann Bauer froh sein, dass er einen so ergebenen Mitarbeiter hat, der so zur Stange hält; denn sie sind selten!“49
ANMERKUNGEN
1Sektion München des DuÖAV, Protokoll der 5. Ausschusssitzung am 24. 04. 1933, Protokolle über die Ausschusssitzungen der Sektion München vom 22. November 1926 bis zum 7. Juli 1933, S. 365, Archiv des Deutschen Alpenvereins, München.
2Interview mit Dr. Eugen Allwein am 09. 06. 2009.
3Schreiben von Paul Bauer an Dr. K. Jung vom 15. 01. 1935, Interpunktion wie im Original, Archiv des Deutschen Alpenvereins, München, Signatur Zeb, Sm 4.
4BArch R 9361-VIII Kartei/1090326.
5Deutscher Bergsteiger- und Wanderverband, Gruppe Bergsteigen, Rundschreiben 9. An die reichsdeutschen Sektionen, undatiert, Archiv der DAV-Sektion Oberland.
6Vgl. Verhandlungsschrift der 59. Ordentlichen Hauptversammlung des DuÖAV, Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, Nr. 12 1933, S. 263 ff., 273.
7Innerhalb des DBWV gab es die beiden Gruppen „Bergsteigen“ und „Wandern“.
8Volksbildung im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung.
9Wilhelm Fendt: Dietarbeit in den Bergsteigervereinen, Mitteilungen der Gruppe Bergsteigen, München, Juli 1934 Nummer 2, S. 3–5, 3.
10Ebd., S. 4.
11Ebd.
12Ebd.
13Fendt wurde am 01. 05. 1937 in München Mitglied der NSDAP und erhielt die Nummer 5094716. NSDAP-Gaukartei/BArch R 9361-IX Kartei/8550305.
14Fritz März: Vermerk über ein Gespräch mit Dr. Heinz Tillmann am 3. Juni 1997, Archiv des Deutschen Alpenvereins, München, Signatur Zeb, Sm 1.
15Vgl. Ebd.
16Kneipzeitung des AAVM 1937.
17Kneipzeitung des AAVM 1936. Übersetzung: Unser Eugen Allwein, Vorsitzender der Sektion Hochland des DuÖAV, Mitglied im Verwaltungsausschuss und Mitglied im AAVM, zugleich [JJA?] und Doktor in der Gemeinde Haidhausen, [HVB?] des Reichsbundes für Leibesübungen.
18Vgl. Jahresbericht des AAVM 1932/33, S. 36.