Er ging voraus nach Lhasa. Nicholas Mailänder
– ebenfalls den Erwerb zweier Naturfreundehäuser angeboten. Sowohl aus „rechtlichen als auch aus wirtschaftlichen Erwägungen“ lehnte der Beirat der Sektion das amtliche Ersuchen jedoch „vorerst“ ab.24
Aufgrund ihres Engagements beim Aufbau der nationalsozialistischen Herrschaftsstrukturen konnten weder Paul Bauer noch seine Getreuen die Zeit für einen weiteren Versuch an einem Achttausender erübrigen. Dagegen wussten ihre Konkurrenten um Willy Merkl und Willo Welzenbach den neuen Wind im Land geschickt für ihre bergsteigerischen Zwecke zu nutzen.
Abschied von Alfred Drexel auf dem Münchner Hauptbahnhof – für immer.
Im Gegensatz zur ersten deutschen Nanga-Parbat-Expedition im Jahr 1932 schöpfte das für 1934 geplante Unternehmen finanziell aus dem Vollen. Für die nationalsozialistische Propaganda war die Besteigung dieses Achttausenders ein hochwillkommener Anlass, der Welt gegenüber die Leistungsfähigkeit des Hitlerregimes unter Beweis zu stellen. Obwohl die meisten der Bergsteiger der Expedition das nationalsozialistische Gedankengut ablehnten, nahmen sie die politische Instrumentalisierung der Expedition hin, um ihre alpinistischen Zielsetzungen zu verwirklichen. Schweren Herzens fügte sich Welzenbach der Tatsache, dass der von ihm als organisatorisch unfähig eingeschätzte Willy Merkl die Leitung der Expedition übernehmen würde. Bei der Auswahl seiner Mannschaft bewies Merkl allerdings eine glückliche Hand. Mit Erwin Schneider, Peter Aschenbrenner, Alfred Drexel, Fritz Bechtold und Uli Wieland waren einige der besten Bergsteiger in Deutschland und Österreich vertreten. Dass die Machthaber in Berlin den Erfolg am Nanga Parbat nicht als eine Privatsache der Alpinisten betrachteten, machte Reichssportführer von Tschammer und Osten überdeutlich: „Die Eroberung des Gipfels wird zum Ruhme Deutschlands erwartet.“25
Wegen der Führungsschwäche des Expeditionsleiters wurde kostbare Zeit vergeudet. Erst am 4. Juli drangen Merkl, Wieland, Bechtold und Welzenbach auf die bereits 1932 erreichte Höhe von 7000 Metern vor. Welzenbach war mit der Vorgehensweise immer noch äußerst unzufrieden. Das durch Merkl – gemäß den Wünschen der nazistischen Machthaber – angestrebte Ziel, möglichst die gesamte Expeditionsmannschaft gemeinsam auf den Gipfel zu bringen, führte zu unlösbaren logistischen Problemen. Als analytischer Kopf machte sich Welzenbach keine Illusionen: „Man kann nicht einen Verein von zehn bis zwölf Leuten auf einen Achttausender bringen wollen. Dann kommt eben keiner hinauf. Aber alles Predigen ist hier vergeblich. Willy weiß alles besser. […] Ich setze große Hoffnung auf Schneider und Aschenbrenner, die mit ihrer Büffelnatur uns vielleicht doch noch den Erfolg erringen helfen.“26
Bereits am 6. Juli drangen Schneider und Aschenbrenner bis knapp unter die 8000-Meter-Grenze vor und warteten dort vier Stunden lang auf ihre Kameraden. In der festen Überzeugung, am folgenden Tag den Gipfel erreichen zu können, verbrachten die beiden dann zusammen mit Welzenbach, Merkl und Wieland sowie fast allen Hochträgern die Nacht im Lager 8 auf rund 7500 Meter knapp über dem Silbersattel. Noch waren alle bester Dinge. Erwin Schneider berichtete: „Abends singen wir in den Zelten, kaum können wir den Morgen erwarten. Früh um 5 Uhr sehe ich aus dem Zelt, es ist noch klar. Um 7 Uhr, als wir aufbrechen wollen, tobt ein furchtbares Schneetreiben um unsere Zelte. Das Schicksal hat sich gegen uns entschieden.“27
Von den sieben Sherpas und fünf „Sahibs“, die sich am 6. Juli 1934 im Lager 8 in die Startlöcher für den Gipfelsturm begeben hatten, überlebten nur Aschenbrenner, Schneider und der Sherpa Ang Tshering den fürchterlichen Wettersturz. Der Sherpa Gay-Lay hätte sich vielleicht retten können, zog es aber vor, bei seinem Bara-Sahib Willy Merkl auszuharren. Dem Expeditionsmitglied Fritz Bechtold blieb nichts anderes übrig, als die Überlebenden der gescheiterten Expedition in die Heimat zurückzuführen. Die drei am Nordgrat des Nanga Parbat verstorbenen Bergsteiger – Opfer einer Kombination von fehlerhafter Expeditionsplanung und Wetterpech – wurden von der Presse in Deutschland zu Nationalhelden hochstilisiert, die zur Ehre des Vaterlands gefallen seien.
Es kann als Politikum gewertet werden, dass Paul Bauer als leitender Funktionär des für den Bergsport zuständigen Fachamtes gegenüber seinem obersten Dienstherrn heftige Kritik an der desaströsen Nanga-Parbat-Expedition übte. Die Vorwürfe richteten sich allerdings nicht gegen die unglückselige Strategie des unfähigen Expeditionsleiters Willy Merkl, sondern gegen Mitglieder der Expedition, die nicht verantwortlich waren für die Katastrophe:
„Es ist nun hier noch hinzuzufügen, daß ich gegen die NPE [Nanga Parbat-Expedition] von vorne herein schwerwiegende sachliche Bedenken hatte. Zwischen Welzenbach und mir haben seit langem im AAVM sachliche Meinungsverschiedenheiten bestanden. Welzenbach war der Mann, dem in erster Linie der alpine Erfolg etwas galt, während mir der Weg und die Art und Weise des Bergsteigens mehr zu sein dünken. Welzenbach war der Mann, der Rekorde anstrebte, der Mann, der sich als Bergsteigerkanone fühlte und diese Position systematisch angestrebt und ausgebaut hat. Demgegenüber vertrat ich eine ganz andere Anschauung und diese Anschauung ist im AAVM, dem wir beide angehörten, der Welzenbach’schen Art des Bergsteigens gegenüber siegreich geblieben. Dazu kommt noch, dass ich von jeher als alter Soldat mich fühlte, im AAVM konsequent einen nationalen und nationalsozialistischen Kurs verfolgte. Für uns war Adolf Hitler bereits 1923 der Mann, den wir nicht antasten ließen. Welzenbach hingegen gehörte der Bayer. Volkspartei an und stand mit einigen wenigen seiner Art in Opposition dagegen, die zwar mit ihren eigentlichen Gründen nie herausrückte, da sie im AAVM keinen Boden gefunden hätte, die aber auch zielsicher und verbissen war, wie unsere Einstellung. […]
Mit Welzenbach habe ich früher manche große Bergfahrt und Erstbegehung gemacht. Aber es fühlte doch jeder den geistigen Abstand vom Andern, und die gemeinsamen Bergfahrten hörten schließlich auf […]“28
Auch Willy Merkl, Erwin Schneider und der mit ihm befreundete württembergische Spitzenbergsteiger Hermann Hoerlin bleiben in Paul Bauers Schreiben an den mächtigsten Mann im deutschen Sport nicht unerwähnt:
„Welzenbach und Merkl und die ihnen nahestehenden Hörlin und Schneider hatten auch dafür, daß es sich hier um eine nationale Angelegenheit handele, kein Verständnis, sie bauten ihren Plan 1930, 31 und 32 auf die Teilnahme begüterter ausländischer Bergsteiger auf – Schneider und Hörlin gingen 1930 mit dem Judenstämmling Dyhrenfurth in den Himalaja, sie hatten dabei nicht einmal den Mut die deutsche Flagge zu hissen, sondern hissten die ‚schwäbische‘ und ‚tiroler‘ Flagge!!“29
Nachdem der ranghöchste Funktionsträger des deutschen Bergsteigens das Ansehen von Welzenbach und dessen Umfeld bei den nationalsozialistischen Machthabern auf diese Weise nachhaltig beschädigt hatte, machte er Erwin Schneider endgültig zu einer „Persona non grata“, als Paul Bauer am 17. Dezember 1934 dem Büro des Reichssportführers in einem persönlichen Gespräch mitteilte, dass der Tiroler Alpinist in einem 1932 im Magazin Der Bergsteiger erschienenen Artikel den „Führer“ Adolf Hitler persönlich beleidigt haben sollte.30
Bei der Schilderung eines „Verhauers“ während der Erstbesteigung des Andengipfels Huascarán hatte sich der Tiroler erlaubt zu spotten: „Weinend treten wir den Rückzug an und versuchen nun, zur Einsicht gekommen und den Forderungen der heutigen Zeit folgend, rechts unser Heil. (Heil Adolf! Deutschland erwache!)“31
Willi Bernard, Erwin Schneider und Peter Aschenbrenner am Nanga Parbat (v. l. n. r.).
Wenige Tage später setzte eine Kampagne gegen Erwin Schneider ein: Zugesagte Gelder für die Finanzierung einer für 1935 geplanten Expedition zum Nanga Parbat wurden zurückgezogen. Der Alpenverein, den der Tiroler bereits für seine Pläne gewonnen hatte, erhielt die Aufforderung, gegen Schneider und Aschenbrenner ein Ehrengerichtsverfahren einzuleiten. Bauer unterstellte den beiden, sie hätten ihre Expeditionskameraden im Stich gelassen. Die vom Ersten Vorsitzenden Raimund von Klebelsberg durchgeführte Untersuchung entkräftete alle gegen die beiden erhobenen Vorwürfe. Aber Paul Bauers Einschreiten hatte Schneiders Vorbereitungen