Wunsch Traum Fluch. Frances Hardinge

Wunsch Traum Fluch - Frances  Hardinge


Скачать книгу
Lächeln gar nicht bemerkt hatte. Das einzige Mal, dass er sie so zufrieden erlebt hatte, war letztes Jahr während eines Kricketspiels auf dem Sportplatz in der Schule gewesen. Wie üblich hatte man sie dazu verdonnert, ganz außen am Feld zu stehen. Aber irgendwie hatte es ein Ball geschafft, einen weiten Bogen zu fliegen, und kam nun auf sie zu. Sie hatte eine Hand gehoben, um ihre Augen vor der Sonne zu schützen, sich panisch geduckt und dann wieder aufgerichtet. In ihrer gewölbten Hand lag der Ball und auf ihrem Gesicht ein ungläubiges Lächeln. Ich habe geholfen, sagte dieses Lächeln. Ich war nützlich.

      «Vielleicht später», sagte er freundlich. «Wenn Josh länger braucht.»

      Josh kehrte eine halbe Stunde später ohne die Zeitschrift zurück. «Es ist vollbracht», verkündete er mit gedämpfter Stimme, als er zu ihnen trat. Die Bedeutsamkeit der Tat schwang in seinem feierlichen Ton mit.

      «Was hast du …?»

      «Es war alles andere als leicht. Ich musste warten, bis die Teestube leer war. Dann bin ich zum Tresen gelaufen, etwa so …» Josh straffte die Schultern wie ein Revolverheld, der sich einem Duell gegenübersieht. «Habe die Zeitschrift auf den Tisch geknallt – Flap! – und einen Stift danebengelegt. Und dann habe ich ihn an seiner geschmacklosen Krawatte gepackt und ihm gesagt: Entweder beantwortest du diese Fragen oder ich puste dir dein Gehirn raus. Du hast die Wahl …»

      Eine fassungslose Stille senkte sich nieder.

      «… und ihr beiden seht tatsächlich zum Schießen aus», fuhr Josh fort. «Ihr habt ja keine Ahnung, wie himmelschreiend komisch ihr ausseht, etwa so …» Er nahm seine Sonnenbrille ab, riss die Augen auf, wölbte die Augäpfel vor und klappte die Kinnlade nach unten. «Ja klar, ich habe ihn mit einer Gabel bedroht, bis er die Fragen beantwortet hatte, und dann habe ich ihn mit einem Matrix-Kick durch die Wand befördert …»

      Chelles Mund öffnete sich, und heraus kam ein einzelner Ton, bis oben hin angefüllt mit Empörung. Und Ryan erinnerte sich endlich wieder daran, wie man atmet.

      «Nein, das habe ich natürlich nicht gemacht», lenkte Josh ein und schüttelte sich vor stummem Gelächter. Die beiden anderen mussten warten, bis er seinen Lachanfall, der sich lautlos in seine Faust ergoss, wieder im Griff hatte. «Es lief folgendermaßen ab: Ich bin reingegangen und habe mich an den vordersten Tisch gesetzt, die Zeitschrift vor mir aufgeschlagen. Er konnte sehen, dass ich die Fragen mit Bleistift beantwortete, und er hat sich den Hals danach verrenkt, zu lesen, was ich hinschrieb.

      Und ich schrieb bei der Frage nach der Größe des Motors ‹so groß wie eine Kokosnuss›. Da fing er an zu zucken, etwa so.» Joshs Augenlid flatterte wie eine Vogelschwinge. «Ich schwöre, es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte mich an der Kehle gepackt, mir den Stift aus der Hand gerissen und die Fragen selbst beantwortet. Dann tat ich so, als sei mir langweilig, und fragte ihn, ob er das Preisausschreiben gesehen hätte. Und ich sagte: ‹Oh, guck doch mal, die zwanzig Besten werden zur Golden Oak Rallye in Guildley eingeladen. Wie schade, dass ich zu jung bin, um teilzunehmen.› Und da kam er über den Tresen gesprungen und meinte, er wolle sich die Fragen mal anschauen. Na ja, er sprang nicht wirklich, aber man merkte, dass er es am liebsten getan hätte.»

      «Und du hast ihm das Heft dagelassen?»

      «Klar. Der zappelt am Haken.» Josh gähnte. Was ihn betraf, war die Sache so gut wie erledigt. «Und wenn irgendjemand eine 500-Wörter-Tirade über Harleys loslassen kann, dann er. Richtig?»

      «Was ist, wenn er …» Ryan brach ab. «Echt super gemacht, Josh, aber was, wenn er die Antworten doch nicht einschickt?»

      «Wollen wir wetten?» Josh blickte Ryan an und schnippte vor dem stirnrunzelnden Gesicht des Jüngeren mit den Fingern. «Komm schon, lass gut sein. Wir kommen nächste Woche wieder und schauen, ob der Wilde Will Neuigkeiten für uns hat. Jetzt vergessen wir die Sache erst mal.»

      Vielleicht hatte Josh recht, dachte Ryan. Josh schien in der Lage zu sein, einen genialen Plan zu entwickeln und sich Hals über Kopf hineinzustürzen, wie James Bond, der auf einem Cello-Kasten oder einer Haustür einen steilen, schneebedeckten Abhang hinuntersaust. Ryans Gedanken dagegen kreisten ständig um die Frage «Was wäre, wenn?». Sein Gehirn konnte eine Sache einfach nicht in Ruhe lassen, wenn es einmal die Logiklöcher darin erkannt hatte.

      «Kommt, meine Freunde», sprach Josh mit tiefer Superman-Stimme, als sich ihr Bus näherte. «Verlassen wir den Ort des Geschehens. Unsere Aufgabe hier ist beendet.»

      «Die Sache mit der Kokosnuss war meine Idee, stimmt’s?», sagte Chelle, als sie hinter Josh in den Bus stieg.

      Josh bestand darauf, dass sie auf dem offenen Oberdeck des Busses nach Guildley zurückfuhren. Sie mussten blinzeln, weil ihnen der Fahrtwind in die Augen wehte, und fanden die Tauben, die hinter einem Pappbecher herhopsten, unglaublich komisch. Sie würden ein bisschen später als angekündigt nach Hause kommen, aber ihren Eltern würde das nichts ausmachen. Crook’s Baddock war das genaue Gegenteil von Magwhite. Eltern glaubten, dass man ein besserer Mensch wurde, wenn man die bildungsreiche Luft von Crook’s Baddock einatmete.

      Am Marktplatz von Guildley stiegen sie aus, und Josh erklärte, dass er einen weiteren Plan ausgeheckt hatte.

      «Los, gehen wir noch mal zu Ryans Brücke. Dahin wo das Plakat hängt.»

      «Was? Warum?» Die Sonne verlor für Ryan ihre Wärme.

      «Wir erstatten Bericht und sagen ihr, dass wir tun, was sie will. Vielleicht gibt sie uns Informationen für unsere nächste Mission.» Josh verstummte, als er Ryans Gesichtsausdruck sah. «Schau mal», sagte er ruhiger, «früher oder später kommt sie doch an und erteilt dir Befehle. Ist es dir lieber, dass sie dir aus den Wänden entgegenspringt, wenn du es am wenigsten erwartest? Nein? Dann komm.»

      Ich glaube nicht, dass ich mich dazu überwinden kann, dachte Ryan, als seine Füße ihn in Richtung Brücke trugen. Aber vielleicht kann ich … mich einfach gehen lassen, wie Josh, kann es einfach passieren lassen, so schnell, dass ich keine Zeit zum Nachdenken habe. Er machte ein entschlossenes Gesicht und verfiel in einen Trott, sodass er den anderen vorausging und sie sein Gesicht nicht sehen konnten.

      «He.» Josh schloss zu Ryan auf. Er senkte seine Stimme, damit Chelle ihn nicht hören konnte. «Es ist nur Papier, Ryan. Denk daran. Wenn sie irgendwelche Tricks versucht, dann reiße ich ihr die Visage herunter.»

      Ryan nickte, aber mit trockenem Mund.

      Die Sonne stand niedriger als an diesem Morgen, und der Brückenschatten war zur anderen Seite geschwungen, wodurch eine Ecke des Plakats angestrahlt wurde. Ryan konnte ziemlich nah herangehen, ehe er von dem sonnenhellen Asphalt in den Schatten treten musste. Dann spürte er, wie seine Schritte langsamer wurden. Josh dagegen marschierte an ihm vorbei bis tief in den Schatten und stellte sich geradewegs vor das Plakat hin. Ryan hatte angenommen, dass Chelle in der Sonne bleiben würde, und er war überrascht und dankbar, als er sah, dass sie an seiner Seite war.

      Josh schraubte den Verschluss seiner Limonadenflasche auf und betrachtete das Plakat.

      «Das hier?»

      «Es war heute Morgen nicht so wellig. Das liegt vermutlich am Wasser. Und an der Hitze.» Ryans Herz hämmerte immer noch heftig, aber jetzt mischte sich ein Gefühl von Erleichterung und gleichzeitiger Verlegenheit in seine Angst.

      «Was hast du gemacht, bevor es losging?» Josh beugte sich vor und schob das Gesicht so nah an das Poster, dass Ryan unwillkürlich ein paar Schritte auf ihn zu machte. Hinein in den Schatten. Er stellte sich plötzlich vor, wie wässrige Hände vorstießen und Joshs Kopf packten.

      «Nichts. Ich habe nur davorgestanden. Wie wir jetzt.»

      «War irgendetwas anders?»

      «Na ja … es war nass.»

      Josh trank einen großen Schluck aus seiner Flasche, überlegte kurz und goss dann den Rest der Limonade über das Plakat.

      «Josh!»

      «Du wolltest es nass haben. Jetzt ist es nass. He, glaubst du, dass sie jetzt Limonade spuckt statt


Скачать книгу