Unendlich funkenhell. Frau Michelle Schrenk

Unendlich funkenhell - Frau Michelle Schrenk


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Ashley, die ihr sowieso immer alles nachmachen muss. Im Gegensatz zu meinem ähnelt Lillys Gesicht dem einer Puppe: Die blonden, glatten Haare sind samtig, die Stupsnase ist klein und ihre Haut so fein wie Porzellan. Kein Wunder, dass alle Jungs auf sie stehen. Ich hingegen habe Sommersprossen im Gesicht, ein Muttermal am Kinn, und meine Haare sind braun und undefinierbar gewellt.

      »Der Glasboden ist gute elf Meter lang und so belastbar, dass mindestens hundertfünfzig Menschen gleichzeitig darauf stehen könnten – oder fünf Elefanten«, erzählt der Guide nun mit einem Augenzwinkern. »Wobei wir das mit den Elefanten nicht testen konnten. Aber habt trotzdem keine Angst. Kommt ruhig alle näher und probiert es aus, es ist ein tolles Erlebnis.«

      »Also, gehen wir?« Jill sieht mich erwartungsvoll an. »Wenn der Boden Elefanten aushält, dann doch auch uns.«

      »Ja, warum nicht? Lass uns gehen.« Meine Stimme hört sich mutiger an, als ich es tatsächlich bin. Dennoch folge ich Jill und riskiere schließlich vom Rand aus einen Blick durch das Glas im Boden. Sofort werden meine Knie weich. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, von hier oben auf die vielen Menschen da unten hinabzuschauen – besonders nach den Bildern, die ich eben gesehen habe.

      Natürlich weiß ich, dass nichts passieren kann, es waren nur Bilder, dennoch ist mir mulmig zumute. Den Glasboden zu betreten, ist doch noch etwas anderes, als nur am Rand zu stehen. Irgendwie stemmt sich mein Körper dagegen.

      Jill hingegen überwindet sich bereits und wagt vorsichtig den ersten Schritt.

      »Oh mein Gott, Amy, das ist der Wahnsinn. Komm her.« Während ich noch zögere, steht Jill bereits drauf, zieht ihr Handy aus der Tasche und richtet es nach oben gegen die Decke. »Ah! Da ist ein Spiegel, extra um Fotos zu machen. Schau mal, wie genial das aussieht.«

      Aufgeregt schießt Jill ein paar Fotos und hält mir dann das Handy hin. Die Bilder sind echt gut, perfekt für Instagram.

      »Lass uns eins zusammen machen, das können wir dann posten«, schlägt sie vor. »Kommst du?«

      Ich würde ja wirklich gern, aber mir wird der Boden aus Glas immer unheimlicher. Sosehr ich auch möchte, es geht nicht.

      Lilly muss uns beobachtet haben, denn sie verdreht die Augen und mustert mich abschätzig, während sie ebenfalls ihr Handy zückt. Mir egal, soll sie denken, was sie will.

      Jill, die noch immer begeistert Fotos schießt, bekommt jetzt Gesellschaft von Thomas, ihrem heimlichen Schwarm, dessen Kumpel Charly und weiteren Klassenkameraden. Alle zeigen absolut keine Scheu, sondern haben ihren Spaß.

      Ich muss mich jetzt endlich überwinden, denke ich, denn ich möchte am Ende nicht die Einzige sein, die sich nicht getraut hat. Okay, Schritt für Schritt, nehme ich mir vor, als Jill erneut zu mir an den Rand kommt und mir die Hände entgegenstreckt. »Los, ich helfe dir.«

      Erleichtert greife ich zu und lasse mich schließlich zu ihr auf die Glasplatten ziehen. Mit wackeligen Beinen und klopfendem Herzen stehe ich da, versuche, mich daran zu gewöhnen und ruhig zu atmen. Das geht doch eigentlich ganz gut.

      Doch dann senke ich den Blick. Unter mir fließt die Themse, dunkel und gewaltig, und ganz plötzlich geht ein Ruck durch mich hindurch. Wieder sind da diese Liebespaarbilder, wie im Schnelldurchlauf fliegen sie durch meinen Kopf. Der Sturz der beiden, die Themse. Völlig verwirrt weiche ich zurück.

      »Sorry, ich kann da nicht rauf. Ich gebe auf.«

      »Echt nicht? Nicht mal einen einzigen Versuch? Das ist doch wirklich nicht schlimm. Hallo, du warst bereits mit mir im Golden Eye, das ist ja mal viel höher«, sagt Jill, aber ich passe.

      »Ich weiß, aber ich kann nicht, ich habe echt die Hosen voll.«

      Schließlich nickt sie und sieht mich verständnisvoll an. »Na schön. Wenn du es aber doch noch versuchen willst, dann komm einfach zu uns rüber.«

      »Ja, das mache ich.«

      Als ich mich von der Szene abwende, begutachte ich die Panels. Eine ganze Weile betrachte ich sie, lasse dann den Blick schweifen, und entdecke ihn. Einen Jungen, der auf der gegenüberliegenden Seite an der Scheibe steht und zu mir herüberblickt. Er hat eine breite Statur, seine Augen sind blau, unglaublich blau, und seine Haare dunkel, fast schwarz und leicht verstrubbelt. Er trägt eine ebenfalls schwarze Lederjacke. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber ich schaffe es nicht, den Blick von ihm abzuwenden und mein Puls beginnt, schneller zu werden.

      Als sich eine Hand auf meine Schulter legt, schrecke ich auf, und unwillkürlich schießt mir die Hitze in die Wangen.

      »Erwischt«, raunt Jill mir grinsend ins Ohr. »Was gibt es denn da so Interessantes?«

      »Nichts. Ich war nur in Gedanken.« Erneut blicke ich zu dem Jungen, doch nun ist er weg. Stattdessen steht da ein anderer Junge mit einem blauen Hemd und hellen Haaren, der etwas grimmig schaut. Ein weiterer Guide vielleicht? Als er merkt, dass ich in seine Richtung sehe, verändert sich sein Blick, seine Mimik wird weicher, und er lächelt mich an. Ob er glaubt, dass ich ihn angestarrt habe? Für ihn muss es jedenfalls so gewirkt haben.

      Rasch drehe ich mich zu Jill um.

      »Pass auf«, beginnt sie sogleich zu erzählen, »Thomas hat mir gerade gesagt, dass am Samstag eine richtig coole Party im Closer steigt. Wir beide müssen da auch hin. Unbedingt. Was meinst du? Erlauben deine Mum und deine Tante das? Wir müssen uns schnell entscheiden, die Eintrittskarten sind begrenzt. Aber Thomas kann vielleicht welche besorgen.«

      Ich zucke mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Ich hätte viel mehr Lust auf einen Fernsehabend. Ich wollte einfach mal relaxen. Im Moment ist so megaviel los und …«

      Jill verzieht das Gesicht zu einer Schnute. »Bitte, Amy«, mit schwärmerischem Blick dreht sie eine ihrer langen roten Haarsträhnen um den Zeigefinger. Ich finde, die Farbe steht ihr gut. Vor allem weil ihre Augen grün sind. »Das wäre die Gelegenheit, Thomas näherzukommen. Also, was meinst du?«

      Ich will gerade antworten, als ich ihn erneut entdecke, den Jungen mit den dunklen Haaren. Er steht nicht weit von uns entfernt, hat seine Hand an die Scheibe gelegt und wirkt dabei sehr in seinen Gedanken verloren.

      »Also?«, hakt Jill nach und ich sehe wieder zu ihr.

      »Kann ich denn noch mal drüber nachdenken?«

      »Okaay«, antwortet sie gedehnt. »Dann schieße ich eben noch ein paar Fotos. Aber ich sage es dir gleich: Ich nerve dich so lange, bis du nachgibst.«

      »Das wäre ja mal was ganz Neues.«

      Sie zwinkert mir zu, dann widmet sie sich wieder ihren Fotos und ich stehe eine Weile da. Irgendwann denke ich, dass ich es ebenfalls noch mal probieren sollte. Abrupt drehe ich mich um und stoße gegen etwas unerwartet Hartes, gefolgt von einem merkwürdigen Geräusch.

      »Verdammt«, höre ich eine raue Stimme neben mir. Mein Blick fällt auf den Oberkörper, gegen den ich gestoßen bin und auf dem meine Finger jetzt Halt suchen. Ich spüre den Stoff eines Shirts, darunter Muskeln, die sich fühlbar anspannen.

      Dann geht alles unglaublich schnell. Ich hebe den Kopf noch weiter, und mir stockt augenblicklich der Atem. Denn der Körper, den ich noch immer berühre, gehört zu dem dunkelhaarigen Jungen mit den blauen Augen, der mir jetzt ganz nah ist. Viel zu nah. Als unsere Blicke sich treffen, spüre ich ein Flattern im Bauch.

      Eilig trete ich einen Schritt zurück, während er den Kopf schieflegt und auf den Boden zeigt. »Das darf nicht wahr sein, verdammt!« Zuerst weiß ich nicht, was er meint, aber dann entdecke ich zu unseren Füßen ein merkwürdig aussehendes, silbern schimmerndes Kästchen. Es scheint ihm zu gehören. Warum trägt man so ein Kästchen mit sich herum? Nun dämmert es mir. Der dumpfe Klang, das Geräusch. In dem Kästchen ist eine Beule, die deutlich zu sehen ist. Und ich bin wohl draufgetreten.

      »Oh sorry«, stammle ich, während mein Blick an seinen Lippen hängen bleibt. Sie sind voll und geschwungen, die Unterlippe etwas mehr als die Oberlippe, was jedoch auch daran liegen könnte, dass er sie leicht verzieht. Seine Nase ist nicht ganz gerade, passt aber perfekt in sein kantiges


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