Unendlich funkenhell. Frau Michelle Schrenk

Unendlich funkenhell - Frau Michelle Schrenk


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küssen?!«

      Ich sehe ihn an. »Kam mir irgendwie so vor.«

      Er lacht.

      »Mach dir mal keine Sorgen, dass hatte ich nicht vor. Du hast da einen Fleck am Kinn.«

      »Das ist ein Muttermal.«

      Blödmann.

      Ist das peinlich! Mein Puls rast, Adrenalin strömt durch meinen Körper.

      Er grinst. »Und nein: Dieses Etui kann man nicht ersetzen, niemand kann das.« Sein Blick verdunkelt sich, und ich habe das Gefühl, dass dieses Etui ihm wirklich wichtig ist. Als mein Blick wieder auf das Etui fällt, durchfährt mich plötzlich ein starkes Gefühl, das einem Déjà-vu gleichkommt. Habe ich das Etui nicht eben in diesen Bildern auch gesehen? Kann das wirklich sein?

      »Es tut mir leid, ehrlich«, sage ich, jetzt wieder etwas ruhiger.

      Er steckt das Etui ein, dann streicht er sich mit den Fingern durch die Haare. »Pass das nächste Mal einfach besser auf.« Schließlich wendet er sich ab, und mein Herz klopft noch immer viel zu schnell.

      Was war das denn bitte? So etwas habe ich noch nie erlebt. Diese Berührung, die Bilder, dieser Lichterwirrwarr. Er mag mich zwar für blöd halten, aber das alles war wirklich da. Oder? Und noch dazu kam er mir so bekannt vor.

      »Wer war das denn?« Jills Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Ja, wer war das denn?

      »Wenn ich das wüsste. Aber irgendwie hatte ich den Eindruck, ihn zu kennen«, flüstere ich und sie sieht mich fragend an. Noch immer kreisen die Gedanken durch meinen Kopf. Dann wird mir schlagartig etwas klar. »Ich weiß nicht, ob ich bescheuert bin, aber der Junge …«

      »Was ist mit ihm?«

      »Ich weiß, das klingt verrückt. Aber … Jill, ich weiß jetzt, warum er mir bekannt vorkommt.«

      Sie hebt eine Augenbraue. »Okay, und woher?«

      Ich hole tief Luft. »Ich glaube, ich habe ihn schon mal gezeichnet.«

      Kapitel 2

      »Also schön, der Typ erinnert dich an einen Jungen aus deinen Bildern? Bist du dir sicher?«

      Wir haben es uns im Coopa Club, einem hübschen Café unweit der Tower Bridge mit Blick auf die Themse gemütlich gemacht, vor uns stehen zwei Milchkaffe. Jill liebt es hier, und auch ich mag es, in den kleinen Holziglus zu sitzen und die Menschen um uns herum zu beobachten.

      »Das hört sich sehr schräg an, oder? Ich meine, auf meinen Bildern hat er ja kein richtiges Gesicht. Trotzdem.« Ich greife nach meinem Glas und nehme einen Schluck. Das heiße Getränk tut mir gut und wärmt meinen Magen, der sich jetzt auch langsam beruhigt. Doch hin und wieder werfe ich doch einen Blick zurück zur Tower Bridge, die mit einem Mal unheimlich geheimnisvoll wirkt.

      »Ach vergiss es. Das war alles nur eine oberpeinliche Aktion.«

      Ich winke ab.

      »Zeig lieber mal die Fotos, die du für Instagram gemacht hast.«

      Ich weiß, damit treffe ich ins Schwarze, denn Jill liebt das Thema Fotos, und so zückt sie auch gleich ihr Handy. »Na schön, wie du willst.« Sie lächelt. »Aber glaub ja nicht, dass dieses Thema für mich schon gegessen ist.« Während sie auf dem Display herumtippt, weiten sich ihre Augen. »Amy, da sind echt richtig gute Aufnahmen dabei. Schau mal, wie gefällt dir das?« Sie dreht das Handy zu mir. Das Foto zeigt sie auf den Glasplatten. Sie steht auf einem Bein, was total witzig aussieht. »Wirkt beinahe, als würde ich mit einem Fuß in der Themse stehen. Genial, oder? Vor allem im Zusammenspiel mit dem Spiegel.«

      »Ja, das ist wirklich gut«, pflichte ich ihr bei. »Das kannst du ruhig auf Instagram stellen, ich wette, das kommt gut an. Auch ohne Filter. Du machst KassiLondon noch Konkurrenz.« Sie ist ihre Lieblingsbloggerin.

      »Meinst du? Warte, ich habe ja noch mehr Fotos. Willst du sie sehen?«

      Schließlich gehen wir gemeinsam die anderen Bilder durch. Doch irgendwann schweifen meine Gedanken erneut ab. Erst als ich merke, dass Jill mich eindringlich mustert, fange ich mich wieder.

      »Er geht dir einfach nicht aus dem Kopf, oder?«

      »Was?« Ich zucke zusammen.

      »Ist doch okay. Ich meine, er sah schon wirklich sehr gut aus.« Sie grinst, und ich rolle mit den Augen.

      »Ach, eigentlich ist das doch total bescheuert, lenk mich bitte ab«, seufze ich.

      Jill nickt.

      »Ablenkung also, okay, da fällt mir ein, hast du dich schon wegen der Party im Closer entschieden?« Sie schaut mich erwartungsvoll an.

      Tausend Gedanken machen sich in meinem Kopf breit. Ich muss es ihr sagen.

      »Jill. Es ist nicht so, dass ich nicht will, aber das Geld ist recht knapp momentan. Mum arbeitet schon so viel und ich will nicht dauernd Tante May anschnorren.«

      »Hey. Pass auf, Vorschlag: Ich lade dich ein, und wenn es wieder besser ist, dann bist du eben dran. Okay? Deal?«

      Ich lache und stupse Jill in die Seite. »Na schön, Deal. Aber ich gebe es dir irgendwann zurück, versprochen.«

      »Cool! Ich freue mich riesig. Und mach dir keine Gedanken.« Sie wischt durch ihr Handy und stoppt irgendwann.

      »Okay, das ist interessant. Aber eigentlich ist es dir ja egal, also total egal. Und du willst es ja nicht sehen – selbst wenn da dieser geheimnisvolle Typ auf dem Foto wäre …« Sie sieht mich an und grinst.

      Jetzt hat sie mich doch neugierig gemacht. »Echt jetzt? Er ist auf einem der Fotos?«

      Sie reicht mir das Handy. »Hier, wirklich ganz zufällig aufgenommen, versprochen.«

      Ich werfe einen Blick auf das Display, und als ich erkenne, was beziehungsweise wen Jill da zufällig festgehalten hat, wird mir heiß und kalt. Denn auf dem Foto ist unübersehbar der Junge von der Tower Bridge. Er ist ganz deutlich zu erkennen.

      Mein Herz macht einen heftigen Satz, denn die Aufnahme hat genau diesen einen Moment eingefangen, als er nachdenklich aus dem Fenster blickte und die Hände lässig in den Hosentaschen vergraben hatte, bevor er sie schließlich an die Scheibe legte. In mir kribbelt es ganz heftig.

      Blinzelnd versuche ich, den Blick von ihm abzuwenden. Aber so einfach ist das nicht, denn er nimmt mich gefangen. Genau wie die Bilder, die ich vorhin dort oben vor mir sah und die jetzt plötzlich wieder greifbar sind. »Das ist merkwürdig«, sage ich. »Er kommt mir wirklich so bekannt vor. Da ist was an ihm, ich habe ihn bestimmt gezeichnet …«

      Jills Blick wird sentimental. »Vielleicht ist das Schicksal!«

      »Du immer mit deinem Schicksal.«

      »Ist einfach so, alles ist irgendwie schicksalhaft und …«

      Jill blickt auf die Uhr und stockt.

      »Ach herrje, schon vier? Mist, ich muss dann mal. Ich habe Mum versprochen, mit Spooker rauszugehen.« Spooker ist ihr Hund, ein süßer, aber etwas frecher Beagle, und wenn Jills Mum, die als Krankenschwester in einem großen Londoner Krankenhaus arbeitet, Dienst hat, muss Jill sich um ihn kümmern.

      Ich deute auf die Kellnerin, die gerade die Tische putzt. »Soll ich sie rufen?«

      Jill schüttelt den Kopf. »Ach, weißt du was? Ich muss sowieso mal für kleine Mädchen. Ich gehe rein, zahle gleich drinnen und komme dann wieder.«

      »Dann nimm mein Geld auch mit, okay?« Ich will in meiner Tasche nach dem Geldbeutel kramen, doch Jill legt mir die Hand auf den Arm. »Lass, ich lade dich ein. Und keine Widerrede.« Rasch steht sie auf und verschwindet im Inneren des Cafés.

      Als sie gegangen ist, atme ich tief durch und lasse meine Gedanken schweifen. Was für ein verrückter Tag. Die Bilder, mein Gestolpere. Ganz versunken


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