GRAHAMS WIDERSTAND (Survivor 3). A.R. Shaw

GRAHAMS WIDERSTAND (Survivor 3) - A.R. Shaw


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laden. Sollte das Ganze wider Erwarten nicht funktionieren, hatte er noch weitere Möglichkeiten zur Verfügung.

      Damit ihm auch nicht das geringste Anzeichen von Gefahr entging, lehnte er sich jetzt auf der Sitzbank des Wagens nach vorn und neigte seinen Kopf, um in die Dunkelheit zu lauschen. Er schloss die Augen, denn das half ihm dabei, sich zu konzentrieren. Er hatte sie ohne Rücksicht auf Verluste vorwärtsgetrieben, bis die Dunkelheit über sie hereingebrochen war. Das Heulen der Wildhunde hatte ihn schon beim Anbruch der Dämmerung vor ihren fleischfressenden Absichten gewarnt. In regelmäßigen Abständen waren ihre glühenden Augen im immer dunkler werdenden Wald zu sehen gewesen.

      Die Zeit, ein Feuer zu machen und das Lager aufzuschlagen, war leider vorbei. Der gleichmäßige Rhythmus des fünf Tonnen schweren US-Army-Trucks mit Anhänger, vollgepackt mit Vorräten, dröhnte laut, während sich der kleine Konvoi dem Rand der Cascade Mountains näherte. Die Vorräte und die Ausrüstung waren für eine Heimat bestimmt, die sie neu gründen wollten. Sie zu finden, hatte sich Dutch zur Mission gemacht. Er führte den Konvoi in einem offenen Wagen an, der ähnlich schwer beladen war der Army-Truck. Zwei Lineback-Pferde, die sich der gegenwärtigen Gefahr anscheinend äußerst bewusst waren, zogen den Wagen.

      Die junge Frau am Steuer des Trucks hinter ihm hatte sich durchaus als nützlich erwiesen. Aber wenn es nicht erforderlich gewesen wäre, beide Fahrzeuge mitzunehmen, hätte Dutch sie in der Nähe des Grand-Coulee-Staudamms an der State Route 20 rausgeschmissen. Er fürchtete nicht nur, von den Invasoren verfolgt zu werden, noch mehr Sorgen bereitete es ihm, dass er sich allmählich für die Sicherheit der Frau verantwortlich fühlte, die im Vergleich zu ihm noch ein halbes Kind war. Die Verantwortung, die ihm ihre bloße Anwesenheit in seiner Nähe auferlegte, könnte ihrer beider Tod bedeuten, und er hatte sich geschworen, nie wieder für andere Menschen Verantwortung zu übernehmen … weder jetzt noch irgendwann in der Zukunft.

      Sein Plan war es deshalb, sie so bald wie möglich loszuwerden. Sie muss lernen, auf sich selbst aufzupassen, sagte Dutch seinem schlechten Gewissen immer wieder, das tief in ihm regelmäßig seine Stimme erhob. Er war jetzt beinahe fünfzig Jahre alt, und sie schien Anfang zwanzig zu sein. Sie brauchte keinen Beschützer, schon gar nicht so einen alten Knacker wie ihn, und eine weinerliche Zwanzigjährige zu babysitten, noch dazu in ihrer aktuellen Lage, wo es vor allem ums Überleben ging, löste in ihm ganz und gar keine Jubelstürme aus.

      Nicht, dass sie tatsächlich weinerlich war, ganz im Gegenteil. Am meisten irritierte es ihn an ihr, dass sie überhaupt nicht sprach. Von dem Moment an, als er ihr vor vier Tagen in der Gegend von Saint Maries, südlich von Coeur d'Alene, Idaho, begegnet war, hatte sie ihn mit ihrem Schweigen fast in den Wahnsinn getrieben. Leider hatte er keine andere Wahl gehabt, als sie mitzunehmen, da er auf dem ganzen Weg hierher keiner anderen lebenden Seele begegnet war. Sie war fleißig, das musste er ihr zugestehen. Ein paar Tage lang würde er sie noch tolerieren, bis sie wieder ganz zu sich gefunden hatte. Er hoffte, dass die derzeitigen Bewohner von Cascade sie aufnehmen würden, sobald er sie vor der kommenden Gefahr gewarnt hatte. Er würde ihr sogar einen vollgepackten Rucksack und eine der Stuten, die hinten am Wagen angebunden waren, als Bezahlung mitgeben und sie fortschicken.

      Der wahre Grund, warum er es gewagt hatte, sie überhaupt mitzunehmen, war, dass er wusste, was mit ihr geschehen wäre, wenn er sie dort zurückgelassen hätte: Sie wäre den Invasoren zum Opfer gefallen. Da diese mittlerweile längst ins Landesinnere eingedrungen waren, vermutete er, dass sie inzwischen entlang der Interstate 90 Jagd auf Überlebende der Seuche machten und dabei ihr neu erobertes Territorium in Augenschein nahmen.

      Die Regeln der Invasoren waren wahrhaftig simpel: Entweder man schloss sich ihnen an, oder man wurde umgebracht. Sie waren dafür bekannt, keine Munition zu verschwenden. Sie erledigten den Job mit brutaler Ernsthaftigkeit, zur Not mit bloßen Händen oder mit einem Beil, einem Messer oder dem Schwert. Sie liebten es, auf diese animalische Weise zu töten. Auf die gleiche Art handhabten sie auch die Dinge in ihren eigenen Ländern. Schusswaffen sparten sie für die Jagd auf, Ungläubige schlachteten sie lieber mit der Klinge ab. Sie waren schließlich die Bodentruppen Gottes … nur, dass es dieses Mal amerikanischer Boden war, auf dem sie sich bewegten.

      China war lediglich der Anbieter der Waffe gewesen, und die Chinesen übers Ohr zu hauen war eine leichte Übung für sie gewesen. In den Kühlkammern ihrer Labors hatten die Chinesen bereits die waffenfähige Version ihres Virus gelagert, also war es nur eine Frage des Geldes gewesen, um die notwendigen Informationen zu beschaffen und das Geschäft abzuwickeln. Was China allerdings nicht auf dem Schirm gehabt hatte, war die Notwendigkeit, die Schuld auf sie zu lenken und dafür zu sorgen, dass die Chinesen als Erschaffer des Virus bloßgestellt wurden, war dabei nur passend gewesen. So waren sie es letzten Endes, die die gesamte Welt als der einzig mögliche Schuldige am Tod von Hunderttausenden sah.

      Die laufende Invasion war Phase 3 eines äußerst ausgeklügelten Fünf-Punkte-Plans, um den Dschihad über die Welt zu bringen und auf allen Kontinenten die Herrschaft zu übernehmen. In Phase 1 hatten sie zuerst das H5N1-Virus verbreitet, indem sie mehrere Attentäter damit infizierten. Sobald sich das tödliche Virus in ihnen vermehrt hatte, hatten sie die Flugzeuge bestiegen. Dank der Umluftsysteme in den Kabinen waren innerhalb kürzester Zeit alle anderen Passagiere ebenfalls infiziert worden und somit zu ahnungslosen Kurieren geworden, die in ihre Heimat zurückkehrten und dort zahlreiche weitere Menschen ansteckten, bevor sie schließlich starben. Auf diese Weise verbreitete sich das Virus exponentiell und der Völkermord war perfekt.

      In Phase 2 brauchten sie dann nur zu warten, bis der Tod seine Arbeit erledigte. Gleichzeitig manipulierten sie ihre Statistiken, die nun eine höhere Sterblichkeitsrate bei ihnen angab, als es tatsächlich der Fall war – eine einfache, aber effektive Täuschung. Dass Tausende der ihren dem Virus zum Opfer fielen, war notwendig im Sinne des Dschihad. Essenziell für die Auslöschung des größten Teils der Weltbevölkerung war außerdem, den Hass in allen Formen zu schüren. Keine Beleidigung war zu schändlich, auf kein Tabu wurde Rücksicht genommen, nichts wurde mehr als heilig angesehen.

      Da die Kontamination früh erfolgt war, war Europa, von innen zerstört, wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Nun würde bald auch das, was von den Vereinigten Staaten noch übrig war, unter ihre Herrschaft fallen. Der Dschihad war ein langfristiger Plan, doch die ersten beiden Phasen waren höchst erfreulich verlaufen … Amerika, wie es einst gewesen war, gab es nicht mehr.

      Dutch war auf seiner zweiten Tour im Irak gewesen, als ihm ein improvisierter Sprengsatz seinen linken Unterschenkel direkt unterhalb des Knies genommen hatte. Das war es dann für ihn gewesen. Während seiner Genesung hatte er sich allerdings bemerkenswert schnell an die Prothese gewöhnt. Immer wieder hatte er versucht, seine Vorgesetzten davon zu überzeugen, dass er in noch besserer Form war als zuvor, aber Regeln waren nun mal Regeln und blieben es. Laut Abschnitt 313 der Armeevorschriften gehörte sein Name angeblich eindeutig in die Spalte, die die Überschrift Entlassungen trug. Nach einer längeren Genesungsphase hatte er schließlich seine Siebensachen gepackt und war in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt.

      Die verlassene Ranch seines Vaters südlich von Coeur d‘Alene, Idaho, war letzten Endes zu seinem Rückzugsort geworden. Dort hatte er sich mit der gleichen Intensität in die Landwirtschaft und die Viehzucht gestürzt, die ihm im Krieg zu eigen gewesen war, denn andere Optionen waren zu dieser Zeit Mangelware. Dutch hatte niemals geheiratet, und seine Eltern waren ein Jahr vor seiner Verwundung verstorben. Auf gewisse Art und Weise war er sogar froh darüber, dass es so gekommen war, denn er war sich nicht sicher, ob seine Mutter seine Verletzung hätte ertragen können. Sein Vater hingegen hätte zweifellos von ihm erwartet, dass er bis zum bitteren Ende seinen Mann stand.

      Sein Bruder Clive hatte zu dieser Zeit in Kalifornien gelebt. Zweimal hatte er Dutch angerufen, als die Pandemie über das Land hereingebrochen war. Beim ersten Anruf hatte er ihm erzählt, dass seine Frau an der Virusinfektion erkrankt war, und beim nächste Anruf hatte er verzweifelt berichtet, dass seine Tochter direkt nach der Mutter gestorben war. Dutch war deshalb nicht überrascht gewesen, seinen Bruder sagen zu hören, dass dieser sich gleich nach dem Gespräch das Leben nehmen würde. Er hatte gar nicht erst versucht, Clive aufzuhalten, denn er konnte es ihm ehrlich gesagt, nicht verübeln. Wofür sollte er denn noch leben? Deshalb hatte er ihm nur geantwortet: »Ich liebe dich,


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