GRAHAMS WIDERSTAND (Survivor 3). A.R. Shaw

GRAHAMS WIDERSTAND (Survivor 3) - A.R. Shaw


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im Raum wohl gerade die größere Bedrohung darstellten.

      »Niemand wird dir hier etwas tun.« Er machte eine kurze Pause und fügte dann hinzu: »Es sei denn, du versuchst, mich umzubringen. In dem Fall kann ich für nichts garantieren.«

      Sie konzentrierte ihren Blick jetzt auf ihn, blieb aber weiterhin stumm. Er sah zu, wie das Unvermeidliche geschah. Ihre Augen folgten der Linie seines großgewachsenen Körpers vom Kopf aus nach unten, bis sie sein rechtes Bein erreichten, wo sie anstelle eines Stiefels die Metallprothese sahen. Es hatte ihn nie sonderlich gestört und an die gelegentlichen Blicke hatte er sich schon längst gewöhnt. Auf die Sympathie der anderen legte er sowieso keinen Wert, also kommentierte er ihre Reaktion gar nicht erst. Er hegte auch keine Wutgefühle oder Hass, wie es ihm die Therapeuten mehrfach einzureden versucht hatten. Mit dem ganzen Bullshit, der angeblich mit so einer schweren Verletzung einherging, wollte er nichts zu tun haben. Dutch war der Meinung, dass sie schon gewonnen hatten, wenn er ihnen diese Genugtuung verschaffte, also hatte er die Schlussfolgerung einfach ignoriert, zu der auch ihr Verstand irgendwann kommen würde.

      »Trag deinen Teil zum Ganzen bei und lass die Finger von meinen Sachen, dann werden wir uns blendend verstehen. Ich werde diesen Ort in Kürze verlassen und kann deine Hilfe dabei gut gebrauchen. Wenn du allerdings nicht mitkommen möchtest, kannst du auch gern hierbleiben. Aber ich muss dich warnen, die Hütte wird nicht mehr lange sicher sein, denn die Invasoren nähern sich mehr und mehr. Es ist aber deine Entscheidung. Du brauchst wahrscheinlich ein bisschen Zeit, um darüber nachzudenken, aber diesen Luxus haben wir leider nicht. Ich gehe nach Nordwesten, da gibt es ein Lager mit anderen Überlebenden und ich würde dich mitnehmen. Zusammen haben wir eine bessere Chance gegen diese Verbrecher als allein. Du kannst gern mitkommen, wenn du bereit bist, unterwegs mit anzupacken. Ich brauche jetzt eine Antwort. Bei Einbruch der Dunkelheit breche ich nämlich auf.«

      Die Hunde namens Elsa und Frank hatten das Gespräch mitverfolgt und drehten zeitgleich ihren Kopf in Richtung des Mädchens, als warteten sie auf ihre Antwort. Nach einem kurzen, regungslosen Moment nickte sie einfach.

      Dutch erinnerte sich noch gut an ihr mürrisches Gesicht an diesem Tag. Das Ganze war jetzt Wochen her und sie hatten es endlich in die Cascade Mountains geschafft, wo sie die Morsezeichen-Nachricht hingeführt hatte. Er hatte sie beide aus der unmittelbaren Gefahrenzone herausgebracht und versorgt. Er fand, dass sie ihm inzwischen zumindest ein wenig Vertrauen schuldete, aber dafür gab es immer noch kein Anzeichen. Nicht einmal ihren Namen hatte sie ihm bis jetzt verraten, und jetzt, dachte er, würde er ihn niemals erfahren, weil sie in Kürze von gefräßigen Wildhunden gefressen werden würden.

      Natürlich hatte er nicht vor, es ihnen leicht zu machen. Ganz im Gegenteil, er würde dafür sorgen, dass sie sich an jedem Bissen von ihm verschluckten.

      Pflichtlektüre

      Macy zog ihre Füße aus den Wanderstiefeln und lehnte sich im Bürostuhl zurück. Mit einem absichtlich lauten Geräusch legte sie ihre Füße, an denen sie selbst gestrickte Socken trug, auf den Metalltisch. Durch die festgesteckte Zelttür war der herabprasselnde Frühlingsregen zu hören. Mit einem lauten Seufzen wandte sie sich dem nächsten Kapitel des Funkhandbuchs zu, das Rick ihr zum Lesen gegeben hatte. Mit Mühe versuchte sie, sich in die mäandernden Texte von jemandem zu vertiefen, den sie für einen absolut verrückten Nerd hielt.

      Als Macy las, hörte sie auf einmal ein sehr merkwürdiges Knarren im Funkgerät, das vielleicht ein besonders eigentümliches statisches Rauschen war. Sie hörte eine Weile zu, entschied dann, dass es nichts weiter als eine Störung war, und griff nach dem Lautstärkeknopf, damit sie sich wieder auf dieses nervige Handbuch konzentrieren konnte. Das ganze Ding war voll mit einer für sie nicht verständlichen Fremdsprache. Dreimal las sie den letzten Absatz des aktuellen Kapitels, und dennoch gelang es ihrem Verstand nicht, das Ohmsche Gesetz und seine Formel Strom gleich Spannung geteilt durch Widerstand zu verstehen. Genauso wenig konnte sie nachvollziehen, warum Volt wichtiger als Watt sein sollte, geschweige denn, warum das jetzt überhaupt noch jemanden interessieren sollte. Aber Rick war unerbittlich. Sie wusste, dass er die Standards der alten Welt unbedingt beibehalten wollte, aber das hier, das war einfach lächerlich. »Ach leck mich doch!« Macy warf das Funkhandbuch für ARRL-Techniker genervt zu Boden, was Sheriff aufschreckte, der gerade sein Mittagsschläfchen begonnen hatte.

      »Warum sollen wir uns denn noch an diese alten Regeln halten?«, fragte sie Sheriff, der ein wenig grummelig wirkte. Der Hund stellte die Ohren auf und neigte seinen Kopf zur Seite, als wolle er sagen: Verdammt, woher soll ich das denn wissen? Stell mir gefälligst nicht solche bescheuerten Fragen, Mädchen.

      Macys Stuhl quietschte leise, als sie sich bückte und ihre Finger in seinem Fell versenkte, um ihn hinter den Ohren zu kraulen. »Du hast dich auf dieses neue Leben viel besser eingestellt als wir, nicht wahr, Junge?«

      Sie glaubte nicht, dass Sheriff sich besonders für ihre Frage interessierte, viel wichtig schien ihm zu sein, dass sie die richtige Stelle hinter seinem linken Ohr fand. Sie sah zu, wie seine Augenlider langsam über den tiefbraunen, seelenvollen Augen nach unten gingen, als sein ganzer Körper entspannt in seine Komfortzone eintauchte.

      Als sie das Kraulen gerade unterbrechen und das weggeworfene Handbuch wieder aufheben wollte, kam Rick ins Kommunikationszelt geschlendert. Er sah das Handbuch auf dem Boden, hob es auf und gab es ihr. »Wie läuft es denn so? Irgendwelche neuen Kontakte?«

       Als ob!

      »Nein, alles wie immer. Da draußen ist niemand, Rick. Es gibt nur uns. Ich weiß gar nicht, warum wir immer noch nach Signalen von anderen suchen«, beschwerte sich Macy.

      Er schlug ihr spielerisch auf die Schulter. »Eines Tages könnten wir Glück haben. Auf der anderen Seite könnte genauso gut eines Tages jemand unser Signal auffangen und feststellen, dass es noch mehr Überlebende gibt. Man weiß nie, und ein wenig Glaube und Hoffnung kann doch nicht schaden. Glaube und Hoffnung, Macy. Was ist heute bloß los mit dir? Normalerweise bist du doch eher der optimistische Typ, aber du wirkst etwas niedergeschlagen. Was ist passiert, Mace?«

      Sie starrte ihn an. Verdammt, er hat mich. Rick mochte es, Macy zu necken, aber er behandelte sie auch wie eine jüngere Schwester. Es gefiel ihr überhaupt nicht, dass er sehen konnte, wie sie sich fühlte. Sie hatte ganz vergessen, bei wem sie sich da gerade beschwerte, und nun war sie gezwungen, ihre Gefühle mit ihm zu teilen. Gab es etwas Schlimmeres?

      »Nichts, mir geht es gut«, log sie und hoffte, Rick würde endlich von ihr und ihrer leicht melancholischen Stimmung ablassen. Als sie das Handbuch zuklappte und ihre Wanderschuhe anzog, um sich auf den Weg zurück zu Grahams Camp zu machen, vermied sie bewusst seinen Blick.

      Rick kratzte sich an seinem bärtigen Kinn, während er sie aufmerksam musterte. Macy konnte geradezu körperlich spüren, wie seine Augen noch immer auf ihr ruhten. »Okay, wenn du jetzt nicht darüber reden willst, ist das deine Sache, aber ich bin für dich da, wenn du mich brauchst. Okay?«

      Sie schaute zu ihm hoch und nickte. Es gab eine Menge, was gerade in ihr vorging und was sie auf keinen Fall herauslassen durfte. Sie konnte einfach nicht anders. Sie wollte weder Graham noch Rick mit ihren Problemen belasten, und im Moment war auch ihre Schwester weit davon entfernt, diejenige zu sein, mit der sie sprechen konnte.

      Macy fühlte sich in letzter Zeit oft den Tränen nahe. Der lange Winter war vorbei, der Frühling brachte Blumen und Hoffnung, aber es regnete eindeutig zu viel, um sie für längere Zeit glücklich zu machen. Tala würde sie verstehen, aber die hatte gerade genug damit zu tun, ihre Angst um ihr ungeborenes Kind zu bekämpfen. Macy konnte sich ihr jetzt unmöglich anvertrauen. So, wie die Dinge momentan lagen, versuchten sie, Tala so weit wie möglich aus allem herauszuhalten, weil sie alle Hände voll damit zu tun hatte, sich um ihr eigenes Leben zu kümmern. Tala sollte sich lieber soweit wie möglich auf die anstehende, hoffentlich problemlose Geburt konzentrieren, von der ihrer aller Zukunft abhing.

      Macy band ihre Stiefel zu Ende und zog dann ihren grünen Regenmantel an. »Danke, Rick«, sagte sie. Von hinten kam jetzt Sheriff angestürmt und stieß gegen ihre Wade, als er an ihr vorbeirannte, um


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