GRAHAMS WIDERSTAND (Survivor 3). A.R. Shaw

GRAHAMS WIDERSTAND (Survivor 3) - A.R. Shaw


Скачать книгу
Jungen, Hunter und Kade, zum Abschied zu. Pflichtbewusst trugen diese gerade Brennholz von einem Ort zum anderen. Der kleine Bruder stapelte dabei die Scheite auf die ausgestreckten Arme seines größeren Bruders. Hunter schaffte es, trotz der Ladung Holz in seinen Armen ansatzweise zu winken und Kade rief ihr hinterher: »Bye, Macy!«

      Sie lächelte in sich hinein, während sie sich auf den Weg zur Brücke über den Skagit River machte. In Moment wie diesem gelang es ihr manchmal, die Lücke zwischen dieser und ihrer Welt wieder zu schließen. Zweimal pro Woche ging sie in das Lager der Prepper und übernahm dort ihre Schicht im Kommunikationszelt, um so viel von Rick zu lernen, wie sie nur konnte … und um nebenbei ab und zu aus Grahams Camp herauszukommen. Sie brauchte das, um wieder ein wenig Normalität zu erleben und um vor etwas fliehen zu können, das sie gar nicht benennen konnte.

      Als sie sich dem rauschenden Fluss näherte, fiel ihr auf, dass ein Gespräch mit einem menschlichen Begleiter, den es gar nicht gab, weil nur Sheriff neben ihr lief, gar nicht möglich gewesen wäre, denn das Wasser war ohrenbetäubend laut. Seit der Frühling begonnen hatte und die Schneedecke zu schmelzen begann, war nicht nur der Fluss von einem Rinnsal zu einem mächtigen Strom angewachsen, auch die Erde selbst vermischte sich mehr und mehr mit Schmelzwasser und wurde dick und schlammig. Die einstigen Bewohner dieser Gegend hatten diese Jahreszeit unter dem Namen Schlammsaison gekannt.

      Der Regen nahm jetzt immer mehr zu, und Macy blieb eine Minute stehen, um ihre Jacke zu schließen, damit ihre Pistole, die in einem Holster an ihrer Seite steckte, nicht nass wurde. Als Sheriff stehen blieb, bemerkte Macy, dass die dicke braune Masse seine Pfoten komplett bedeckte.

      Als sie die Brücke erreichten, zögerte Sheriff, ihr zu folgen. Als Macy schon halb auf der anderen Seite war, drehte sie sich um, klopfte sich auf den Oberschenkel und rief ihn zu sich.

      »Du bist wirklich ein ganz schöner Angsthase, was?«, fragte sie ihn, als er langsam die Brücke betrat, bevor er so schnell er konnte, an ihr vorbei auf die andere Seite des Flusses rannte. Sobald sie die Holzbohlen der Brücke verlassen hatte, versanken ihre Stiefel sofort wieder in der feuchten Erde, und es bereitete ihr einige Mühe, in dem rutschigen Matsch nicht hinzufallen, bis sie festeren Boden erreichte.

      Sie gingen nun weiter in den Wald hinein, wo es den Regentropfen schwerer fiel, durch den immergrünen Baldachin aus Blättern zu dringen. Hier versanken ihre Füße nicht mehr im Schlamm, sondern traten auf ein Bett aus weichen Nadeln, die bei jedem Schritt ein frisches Kiefernaroma aussandten. Dieser Abschnitt des Weges gefiel Macy immer am besten. Hier, tief im Wald, fühlte sie sich im Einklang mit sich und der Welt. Es war fast so, als durchwanderte sie still ihre eigenen Gedanken. Hier konnte sie sich in Ruhe mit ihren Sorgen auseinandersetzen. Wie so oft ließ sie sich auch dieses Mal Zeit auf ihrem Heimweg unter dem grünen Dach des Waldes und siebte und sortierte all die verwirrenden Ereignisse der Vergangenheit und Gegenwart aus. Nachdem Ennis gestorben war, hatte sie die meiste Zeit im Wald verbracht, weil sie sich ihm an diesem Ort am nächsten gefühlt hatte. Graham hatte sie in den Tagen danach mehr als einmal im Wald gefunden. Er hatte gewusst, dass sie Abstand brauchte, und hatte sie lediglich darum gebeten, ihm Bescheid zu geben, bevor sie das Camp verließ.

      Macy hatte Grahams Bitte akzeptiert und war nie zu lange draußen geblieben, weil sie nicht wollte, dass er sich Sorgen um sie machte. Obwohl sie immer langsamer ging, näherte sie sich viel zu früh der Helligkeit des Tages, die am Ende ihres Weges durch das immer lichter werdende Blätterdach brach. Macy und Sheriff tauchten in dem Moment aus dem Wald auf, als der Regen nachließ und der Schlag eines Hammers einen Nagel in sein Ziel trieb.

      Der Wunsch, sie zu heilen

      Sheriff rannte voraus, um Bang zu begrüßen, als sie die Lichtung von Grahams Camp betraten. Bang stand in der Nähe der Leiter und wartete geduldig darauf, Graham die nächste Schindel aus Zedernholz hochzureichen, die anschließend ihren Platz neben den anderen auf dem Dach des neuen Anbaus fand. Graham hatte einen Nagel zwischen seine Lippen geklemmt und murmelte ein Hallo, als er Macy sah.

      Er bemerkte, dass sie ihm im Gegenzug zwar anlächelte, ihre Körperhaltung aber etwas ganz anderes ausdrückte. Um sie und um Bang machte sich Graham besonders Sorgen. Beide hatten sich nach dem Tod von Ennis komplett aus der Gruppe zurückgezogen. Er vermutete, dass Bang um Ennis trauerte, sich aber zugleich auch schuldig fühlte wegen der Rolle, die er bei Addys Behinderung gespielt hatte – schließlich war er derjenige gewesen, der sie dem Virus ausgesetzt hatte, wegen dem sie jetzt für alle Zeiten taub war. Was Macy anbetraf, nahm er an, dass Ennis Tod ihre Trauer über den Verlust ihrer eigenen Eltern und die Unsicherheit, wie das Leben weitergehen sollte, noch mehr verschlimmert hatte.

      Es gab aber leider nichts, was Graham daran ändern konnte, denn Optimismus war Mangelware in dieser Zeit. Er trieb den Nagel mit einem weiteren Schlag ins Holz und zog dann den nächsten aus seinem Mundwinkel, damit er ungehindert sprechen konnte. Als sie sich der Tür der Blockhütte näherte, rief er ihr hinterher: »Hey, Macy?«

      Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm um. »Ja?«

      Die Worte, die er jetzt hätte sagen sollen, fielen ihm einfach nicht ein. Er wollte sie wieder ins rechte Lot bringen, sie heilen, sie wieder ganz machen. Er wollte ihr sagen: Alles wird gut werden, es wird dir bald wieder besser gehen, doch stattdessen starrte er sie nur an, als sie so dastand mit ihren schlammbedeckten Stiefeln, der gerunzelten Stirn und Sheriff an ihrer Seite.

      »Was ist los, Graham?«

      »Äh, könntest du für Tala die Wäsche von der Leine nehmen? Sie wird in diesem Regen einfach nicht trocknen. Wir besuchen gleich Clarisse.« Ja, das war gut. Etwas zu tun zu haben, wird sie ablenken und ihr helfen, sich besser zu fühlen. War es nicht auch genau das, was seine Mutter immer zu sagen gepflegt hatte? Es war darum gegangen, dass Müßigkeit eine schlechte Sache war und zu viel Zeit zum Nachdenken ließ.

      »Na klar, ich kümmere mich gleich darum«, antwortete Macy, die ihren trübsinnig wirkenden Weg die Veranda hinauf fortsetzte, um sich den Wäschekorb zu holen.

      Graham warf einen Blick auf Bang und stellte fest, dass dieser den ganzen Morgen mit ihm draußen gewesen war, die ganze Zeit neben ihm gearbeitet hatte, und trotzdem war der Junge immer noch ein Häufchen Elend. Jeder Versuch, Bang aufzuheitern, hatte diesen scheinbar nur noch verschlossener und in sich gekehrter gemacht. Alles, was er versucht hatte, war scheinbar falsch gewesen und nichts schien zu funktionieren.

      Das ist doch alles Bullshit, dachte Graham.

      Plötzlich kam ihm das Gegenteil von dem in den Sinn, was seine Mutter ihm beigebracht hatte. Er erinnerte sich, wie seine Mutter ihnen immer gesagt hatte: »Reißt euch zusammen«, wenn er und seine Schwester es in der Öffentlichkeit übertrieben hatten – das Ergebnis war natürlich nur weiteres Kichern und Herumkaspern gewesen. Je älter er wurde, desto mehr war er mittlerweile davon überzeugt, dass seine Mutter eine Meisterin in umgekehrter Psychologie gewesen war.

       Was zum Teufel sollte das bedeuten?

      Dalton hatte das gleiche Problem drüben im Lager der Prepper. Er hatte nicht nur mit dem Verlust seiner eigenen Frau zu kämpfen, sondern musste sich zugleich auch noch um seine zwei trauernden jungen Söhne kümmern. Eigentlich war es das ganze Lager, das den Verlust der vier Mitglieder noch immer nicht verarbeitet hatte. Die Last all dessen machte Dalton, der über die Zeit zu einem echten Freund geworden war, manchmal distanziert und wütend. Er selbst verstand das nur all zu gut.

      Graham schlug den nächsten Nagel mit mehr Kraft als nötig ein und griff dann nach unten, um die Holzschindel aus Bangs Hand entgegenzunehmen. Er versuchte ein Lächeln, erwartete aber nicht, dass es funktionierte. »Möchtest du später mit Tala und mir Clarisse besuchen gehen? Vielleicht ist Addy ja auch da. Dann kannst du dich selbst davon überzeugen, wie gut es ihr geht.«

      Bang schüttelte den Kopf und wirkte sogar verletzt wegen dieses Vorschlags.

      Verdammt, dachte Graham. Jetzt reicht es mir! Ich werde es nicht einmal mehr versuchen. Sie brauchen einfach Zeit, dann kommen sie schon von selbst zu mir.

      »Okay. Alles geschafft«,


Скачать книгу