Elfenzeit 4: Eislava. Verena Themsen
beobachtete Rian, wie ihr Zauber zerfetzt wurde und in kleinen sprühenden Funken verging.
Der Unhold hat eine starke magische Aura, schoss es ihr durch den Kopf. Einen mit solchen Energien kann man nicht so einfach einfangen.
Zumindest aber hatte Rian offensichtlich seine Aufmerksamkeit von David abgelenkt und auf sich gezogen, denn er wandte sich langsam um. Rote Augen glühten der Elfe aus einem Gesicht entgegen, das nur entfernt als menschlich zu erkennen war. Löcher klafften in den Wangen, und die Stirn war eingedrückt, als wäre etwas Schweres dagegen geschlagen worden. Die Haut war grau und matt, über jedem Knochen papiern gespannt, alle Muskeln weggeschrumpft. Weiße Haarbüschel standen vom Kopf wirr in alle Richtungen ab, und fadenscheinige Reste von dem, was einmal seine Kleidung gewesen sein mochte, hingen an den Gliedern. Um den Hals trug der Untote ein silbern glänzendes Amulett mit eingravierten Zeichen.
»Der Draugr!«, rief Mats, nahm die Axt von der Schulter und packte sie mit beiden Händen.
6.
Gefährliche Neugier
Sie mag mich … sie genießt meine Nähe …
Wie ein endloser Kreisgesang hallte es in Ainfars Kopf. Was so viele Elfen am Hof sich ersehnten, er hatte es erreicht, wenn auch auf anderem Wege als er früher gehofft hatte, wenn er ihr für kurze Momente nahe war. Sie, die hohe Herrscherin des Schattenlandes, deren Anblick jeden alles vergessen ließ außer dem Wunsch, ihr zu dienen und ihr Wohlwollen zu erlangen … sie liebte ihn.
Nicht auf die Art, wie sie einen Mann lieben würde, aber es war besser als alles, was Ainfar sich als Mann jemals hätte wünschen dürfen.
Er räkelte sich in ihrer schlanken Hand, während sie sich mit ihrem Tischnachbarn unterhielt. Es schien, als sei sie ähnlich süchtig nach dem Wohlgefühl seines dichten seidigen Fells geworden wie er nach ihrer Berührung. Ein Kribbeln erfüllte ihn, als ihr Finger über seinen Rücken hinunter strich, und er schnurrte wohlig.
Bandorchu lachte.
»Fühlst du dich wohl, mein kleiner Liebling, ja? Dein ganzer Körper bebt …« Man hörte ihr an, dass es ihr gefiel, und so verstärkte Ainfar das Geräusch noch etwas. Zugleich sah er mit seinen schwarzen Knopfaugen zu ihr hoch und wackelte ein wenig mit der Stupsnase. Erneut lachte sie auf.
»Er ist wirklich allerliebst. Man könnte fast meinen, er wüsste genau, was mir gefällt, und würde alles tun, um mich zu erfreuen.«
Wie wahr das doch ist, dachte er. Was tu ich nicht alles für einen Blick deiner strahlenden Augen, meine Herrscherin, für dein helles Lachen, deine zärtliche Berührung … würde ich nur einmal, nur ein einziges Mal diese Berührungen auch erwidern dürfen, dich mit meinen Händen liebkosen wie du es bei mir tust, dich die Lust erleben lassen, die du in mir erregst, ohne dass ich es jemals ausleben darf … Ah. Ich würde mein Leben dafür geben. – Und das würde es mich vermutlich auch kosten.
Mit einem inneren Seufzen ließ er seinen Kopf wieder auf die Hand der Königin sinken, schloss die Augen und gab sich der Glückseligkeit des Augenblicks hin.
Neben dem Stimmengemurmel hörte er ein Flüstern über sich. Vermutlich erhielt Bandorchu eine Mitteilung, die nicht jeder hören sollte. Ainfar spitzte die Ohren, rührte sich jedoch nicht.
Im nächsten Moment spürte er, wie Bandorchu erstarrte. Ihre Finger verharrten in seinem Fell, und sie krümmten sich leicht unter einer plötzlichen Anspannung. Schmerzhaft gruben die Kanten ihrer scharfen Nägel sich in seine Haut, und er konnte ein schmerzliches Fiepen nicht unterdrücken. Er öffnete die Augen und starrte zu ihr hoch. Die Schlangenköpfige, die Ainfar schon damals im Garten gesehen hatte – vor Tagen, vor Leben, vor Äonen des Genusses … was ist inzwischen außerhalb dieser Mauern geschehen? –, zog sich zurück. Bandorchus Gesicht war reglos, wie ein Kristall, erstarrt in ihrer absoluten und reinen Schönheit. Lediglich ihre Augen durchbrachen das Bild der Eisstatue, denn sie funkelten und glitzerten in dunklem Feuer.
»Er ist zurück«, flüsterte sie, und gierige Erregung durchpulste jedes ihrer Worte. »Endlich!«
Ainfar bewegte sich ein wenig, versuchte, sich aus ihrem schmerzhaften Griff zu lösen. Sie schien es zu bemerken und sah zu ihm hinunter. Schlagartig verschwand die Starre wieder, und ihre Züge wurden weich. Zugleich entspannte sich ihre Hand, und der stechende Schmerz in seiner Seite schwand. Vorsichtig hob sie die Hand, in der er ruhte, bis auf die Höhe ihres Gesichtes. Ainfar fand sich Auge in Auge mit der Herrscherin, und unter der Intensität ihres Blicks erlebte er ein Wechselbad der Gefühle, durchlebte panische Angst und endlose Sehnsucht zugleich.
»Entschuldige, kleiner Ariàn«, sagte sie mit süßer Unschuld in der Stimme, die so gar nicht zu dem grünen Feuer ihrer Augen passen wollte. »Du musst verstehen, ich bin so aufgeregt … ich bekomme etwas, worauf ich schon lange gewartet habe. Aber was rede ich, du bist nur ein dummes Tier …«
Ich verstehe es, Herrin!, wollte er hinausbrüllen. Ich verstehe es! Würde ich nur einen Hauch von Euch erhalten, einen Kuss, einen Augenblick allein mit Euch, in meiner wahren Gestalt … die Vorfreude würde mich nicht anders sein lassen als Euch jetzt …
Doch seinem Mund entwich nur ein weiteres leises Fiepen, und er rieb stattdessen seine Nase an ihrer Hand.
»Aber vielleicht verstehst du mich doch«, sagte sie nachdenklich. »Vielleicht geht mehr in deinem kleinen Köpfchen vor, als ich annehme. Manchmal wüsste ich gern, woran du so denkst, mein kleiner Ariàn, mein Silberling …«
Eisiger Schreck durchfuhr den Tiermann. Auf einmal wurde ihm wieder bewusst, in welcher Lage er sich befand.
Was, wenn sie in meine Gedanken eindringt? Wenn sie erkennt, was ich wirklich bin?
Der Blick ihrer hellen Augen schien ihn bis auf den Grund seiner Seele zu durchdringen. Doch dann lächelte sie.
»Aber egal ob du mich verstehst oder nicht – es ändert nichts daran, dass ich mich für eine Weile von dir trennen muss. Melemida! Nimm unseren kleinen Liebling und pass auf ihn auf.«
Bandorchu erhob sich, und die Dryade trat zu ihr. Im nächsten Moment fühlte Ainfar sich hochgehoben und landete auf den knorrigen Zweigen. Bandorchus Fingerspitzen strichen noch einmal sanft über sein Rückenfell, dann wandte sie sich zum gehen.
»Bis später, Ariàn. Benimm dich anständig.«
Ainfar hockte auf den Armen eines Kristallleuchters, der von innen heraus strahlte und Bandorchus Empfangszimmer durch aufgespannte Prismenfeenflügel hindurch in vielfarbiges, zittriges Schimmern tauchte. Sein Bauch fühlte sich an, als läge ein kalter Eisbrocken darin.
Er ist bei ihr. Sie hat sich geschmückt, hat sich bereit gemacht, um ihn zu empfangen, allein.
Witternd sog er mit seiner kleinen Nase die Luft ein, als könne er die eisige Aura riechen, die der Getreue verbreitete. Dessen Rückkehr war es gewesen, die Bandorchu gemeldet worden war, und die ihn, Ainfar, aus ihrer Nähe verbannte.
In ihren eigenen Räumen empfängt sie ihn. Und sie wird ihm das schenken, wonach sich jeder Elf in diesem Schloss verzehrt. Vielleicht schon jetzt …
Er starrte zu der Tür, die in ihre Gemächer führte. Doch er sah nicht die zu kunstvollen Ornamenten verschmolzenen weißen Knochenbögen, aus denen sie bestand. Was er sah, spielte sich nur vor seinem inneren Auge ab.
Er sah die Königin in ihrem hauchdünnen weißen Gewand, das an den passenden Stellen dem Blick für atemberaubende Momente Durchgang gewährte, um Ahnungen zu erzeugen, nur um ihn im nächsten Augenblick schillernd zurückzuweisen. Er sah sie sich bewegen, sich langsam so setzen, dass kurzzeitig der Stoff an der Seite aufsprang und ihre makellose schneeweiße Haut sehen ließ, die über das Leder des Sitzes glitt, ehe Bandorchu in aufreizender Art die Beine überschlug. Er sah ihren Augenaufschlag, der das klare Grün offenbarte, das wie kaltes Feuer war. Wie sie mit den Händen den Stoff ihres Gewandes glatt strich und damit die Ahnungen ihres Körpers zu Gewissheiten