Elfenzeit 4: Eislava. Verena Themsen
gesehen hatte, wenn sie sie einsetzte, um sich ihre Untertanen willfähriger zu machen.
Doch hier würde es nicht nur bei Gesten bleiben. Er hatte sie gehört, mehr als einmal, wenn er da war. Ihr Stöhnen, ihr lustvolles Keuchen. Er hatte sich vorgestellt, wie diese eiskalten Finger über ihren warmen Körper glitten, ihre Brüste umstrichen und die Brustwarzen sich aufrichten ließen, wie ihre Härchen sich aufstellten wo immer er sie berührte, und ihr Körper sich wand … wie seine Hände tiefer glitten, er ihre Lippen mit seinen verschloss, sein Blick sich mit ihrem verschränkte, während er sie an sich riss und sie seine Erregung spüren ließ …
Ainfar ächzte innerlich vor Eifersucht.
Warum gerade er? Was gibt ihm solche Macht über sie? Was hat er, das ihr Begehren weckt? Erregt sie das Bewusstsein seiner Macht? Benutzt sie die Vereinigung mit ihm, um ihn zu kontrollieren? Beherrscht er sie, oder sie ihn?
Es war ein verwirrendes Spiel zwischen diesen beiden mächtigen Wesen.
Und beide stellen sie Rätsel dar, jeder auf seine Art. Bandorchu – sie wirkt inzwischen, als wäre dies ihr wahres Zuhause. Und der Getreue, aus dem Nichts gekommen, vom Kau mitgebracht aus der Welt der Sterblichen, als dieser das erste Mal ein von Bandorchu geschaffenes Tor durchschritt … Wer ist er? Was ist er?
Es war eine Frage, die sich hinter vorgehaltener Hand jeder in der Zitadelle stellte.
Obwohl er sich in der Art seiner Bewegungen den Elfen angepasst hatte, konnte jeder spüren, dass der Getreue keiner von ihnen war. Es war nicht nur Kälte, die er ausstrahlte – es war die Kälte seiner Aura, mit einer Intensität, die jeden schaudern ließ, der für diese Dinge empfindlich war. Tief in die Dunkelheit seines schwarzen Kapuzenumhangs gehüllt verstärkte er diesen Eindruck und hütete seine Geheimnisse. Selbst die Blicke der Flügelsphinxen hatten den Stoff nicht durchdringen und seine wahre Gestalt ergründen können.
Das Leder ihrer Flügel zierte nun die Türen seiner Gemächer und ihre Augenbälle beleuchteten sie, während sie selbst klagend und blind über die Ebene streiften.
Manchmal konnte man Augen dort erahnen, wo unter der Kapuze das Gesicht des Getreuen sein sollte. Doch der Tiermann hatte den Eindruck, dass es eher sein Blick war, den man spürte. Und seine heisere Stimme, die Ainfar seit der Begegnung im Gang stets zusammenzucken ließ, wann immer sie erklang, bot ebenso wenig Hinweis auf seine Herkunft.
Er war ein Rätsel.
Und was, wenn ich das Rätsel löse?
Ein wagemutiger Gedanke kam ihm. Vielleicht konnte er sich besser vor dem Getreuen schützen, wenn er wusste, was er war. Und vielleicht würde es ihm sogar die Möglichkeit geben, Macht über ihn zu gewinnen. Zumindest musste es ein wertvolles Wissen sein, wenn er es so sehr hütete.
Ainfars Blick wanderte über die Ornamente der Wände hinauf, dorthin, wo durch schmale, unter den Musterungen kaum erkennbare Schlitze Luft von außen eindrang, ohne dem Licht Eintritt zu gewähren. Schlitze, durch die kaum etwas hindurch kam, außer dem Staub der Ebene … und vielleicht ein kleines Silberhörnchen.
Ainfar verfluchte seine Neugier. Dennoch kehrte er nicht um.
Der Schlitz, durch den er sich gedrückt hatte, hatte ihn in einen unregelmäßig geformten Gang geführt, der sich durch die Mauer der Zitadelle wand. Es war ein vertrautes Gefühl gewesen, dort hindurch zu huschen – fast als wäre es ein Silberhörnchen-Bau. Doch der Gang hatte ihn nicht dorthin geführt, wohin er wollte. Stattdessen fand er sich plötzlich in grellem Licht wieder, und im nächsten Moment jagte ein dunkler Schatten über ihn hinweg.
Das Außen!
Kurz hatte er sich zurück in den Schacht geduckt, hatte die Pfoten über die Augen gelegt, um nicht sehen zu müssen, was dort draußen war. Doch dann hatte die Neugier gesiegt.
Gut, dieser Schacht endet an der Außenmauer, dachte er. Dann muss von hier ein anderer Schacht in ihr Zimmer führen. Und dort, wenn Bandorchu und der Getreue ihr Vorgeplänkel beendet haben, wird er seine schützende Hülle ablegen, und dann …
Zu Ainfars Glück war auch die Außenwand der Zitadelle voller verschnörkelter Verzierungen, die einerseits einen Sinn für Ästhetik, andererseits einen Ausdruck von Grausamkeit und Hass offenbarten. Jedes Detail, das man betrachtete, schien andere Bilder von Schmerz und Wahnsinn zu zeigen, und so zog es Ainfar vor, einfach nur darüber hinweg zu huschen auf der Suche nach einem neuen Einstieg, durch den er den wehenden Schatten entkommen konnte. Er fand ihn in einem Ornament, das aussah wie das unter Qualen schreiende Gesicht einer wunderschönen Elfe. Durch den Mund konnte er erneut ins Mauerwerk der Zitadelle schlüpfen.
Am Ende des Gangs fand er sich in Melemidas Raum wieder. Enttäuscht hastete er zurück. Auch der nächste und der übernächste Gang erwiesen sich als falsche Wege, keiner von ihnen führte ans Ziel. Zudem befürchtete er, dass er den ursprünglichen Weg nicht mehr wiederfinden würde, denn die Oberfläche der Zitadelle war für ein Wesen seiner Größe ein unüberschaubares Labyrinth. Würde jemand misstrauisch werden, wenn er nicht mehr an seinem Platz in Bandorchus Vorraum war? Würde man irgendetwas vermuten, wenn er plötzlich an einem völlig anderen Ort auftauchte? Die Möglichkeiten, die ihm die neu gefundenen Verbindungswege boten, würde er nur ungern verlieren. Vielleicht würde er auf diesem Weg hinter einige der Geheimnisse Bandorchus kommen … und das war doch sein Ziel, oder?
Im Moment allerdings trieb ihn nur seine Neugier bezüglich des Getreuen.
Er tauchte in den Schatten des nächsten Luftschlauchs, schob sich durch die engen Windungen, die das Eindringen von Licht und Staub verhindern sollten. Als er sich mit einer Drehung aus der engsten Stelle befreite, hörte er leise Stimmen. Sein Herz jubelte, doch im nächsten Moment verspürte er Enttäuschung, als er Bandorchus Worte hörte.
»Wann wirst du wiederkommen?«
Er hörte ein Rascheln von Stoff.
»Bald.« War das die Stimme des Getreuen? Wenn er sie auch nur gedämpft hörte, kam es ihm doch so vor, als läge nicht die übliche Heiserkeit darin.
Ainfar huschte weiter den Gang entlang, bis er Schlitze erreichte, die denen ähnelten, durch die er im Vorzimmer hinaus geschlüpft war. Vorsichtig lugte er in das Zimmer und schnaufte dann enttäuscht. Zwischen ihm und dem Bett, bei dem die beiden sich ihren Stimmen nach befanden, stand ein Sichtschirm mit floralen Ornamenten, die sich stetig umgruppierten, ohne jedoch mehr als Schemen dahinter erahnen zu lassen. Ainfar drückte den Kopf durch die Schlitze und sah sich um. Ein Absatz verlief ein wenig unterhalb von ihm. Er schob sich in den Raum und ließ sich hinunterfallen. Auf dem Weg erzeugten seine Krallen ein Kratzen auf dem Stein, das in seinen Ohren wie Donner dröhnte. Bei der Landung raste sein Herz vor Aufregung, und er kauerte sich zunächst nur auf dem Absatz zusammen.
»Ich werde den nächsten Knoten aufsuchen«, fuhr die Stimme gerade fort. »Ich weiß noch nicht, wie viel Zeit es kosten wird, und ich muss sicher sein, dass es der Richtige ist. Wir können uns in diesem Spiel keine Fehler erlauben.«
»Und du wirst keine machen.« Ihre Stimme klang zugleich lasziv und unterschwellig bedrohlich.
Sie hatten ihn nicht bemerkt.
Bisher.
Er zog die Krallen ein, so gut es ging und folgte tief geduckt dem Absatz.
Nur ein kleines Stückchen, dann kann ich um den Schirm herum sehen. Nur ein kleines Stückchen …
»Ich werde keine machen.« Es war kein reines Versprechen des Getreuen, sondern drückte selbstsichere Gewissheit aus. »Wir werden unser Ziel erreichen. Du wirst die Welt der Sterblichen betreten, und ich werde sie dir zu Füßen legen.«
Ainfar erstarrte, wo er war.
Die Welt der Sterblichen betreten?
Er bemerkte erst, dass er weit genug dem Absatz gefolgt war, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Hinter dem Sichtschutz stand Bandorchus Himmelbett aus weißer Seide und matt schimmerndem