Heilung als schöpferischer Prozess. Klaus-Dieter Platsch

Heilung als schöpferischer Prozess - Klaus-Dieter Platsch


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Themen verlaufen in Energiekreisen, sondern auch nicht-persönliche, kollektive. Wir werden in kollektive Energiefelder hineingeboren und wir kommen mit allem, was in diesen Feldern ungelöst ist, in Berührung. Wir tragen es sozusagen wie einen Mantel mit uns. Nicht zu Ende gekommene Energiekreise des familiären, kulturellen, ethnischen oder nationalen Hintergrunds sind entsprechend im Energiefeld unseres genetischen Codes gespeichert.

      Als ein Beispiel: Im abendländischen Raum besteht eine gesellschaftliche Konditionierung, die sich mit einem Energieverständnis schwertut. Das hat aller Wahrscheinlichkeit nach seine Ursache in einer kulturellen Verletzung: Im Mittelalter galt der Umgang mit Energie als Hexenwerk, für das man auf dem Scheiterhaufen landen konnte. Das verhindert meiner Ansicht nach noch heute einen normalen Umgang mit dem Thema Energie als einem feinstofflichen Lebensprinzip.

      Ein anderes Beispiel für einen geschlossenen Energiekreis ist der Umgang mit Spiritualität in Deutschland. Die Menschen vieler anderer Länder haben einen ganz entspannten Umgang mit Spiritualität. Auf der westlichen Hemisphäre denke ich da vor allem an die angloamerikanischen Länder, in denen Spiritualität viel mehr zum Leben gehören darf und sogar auf eine andere, mehr akzeptierende Haltung in der Medizin trifft als bei uns. Einer der tieferen Gründe, die im kollektiven Energiefeld des genetischen Codes deutscher Menschen hier wohl wirkt, ist der Missbrauch von Spiritualität durch die Nazi-Ideologie. Das ist unbewusst zu einem No-Go geworden, weil dieser Aspekt nicht ausreichend bearbeitet worden ist.

      Energiekreise, die in der Vergangenheit eines Kollektivs nicht zu Ende gehen konnten, können ihre Auswirkungen auch im persönlichen Leben haben. Uns dessen bewusst zu werden und die gebundene kollektive Energie auf der persönlichen Ebene zu erlösen, ist ein ganz individueller Beitrag, ein solches Thema für die Gemeinschaft zu lösen.

      Ich habe das sehr konkret am eigenen Leib erfahren, als ich an einem internationalen Seminar in Israel teilnahm. Dort trafen Menschen aus Deutschland mit jüdischen Israelis und US-Amerikanern zusammen. Bald begann es unter der Oberfläche zu brodeln, und es dauerte keine zwei Tage, bis das Holocaust-Trauma mit Vehemenz aufbrach. Ich als Deutscher hatte mich zwar bereits viele Jahre mit dem Holocaust auf verschiedenste Weise und so tief es mir möglich war auseinandergesetzt, und doch war es in gewisser Weise auch theoretisch geblieben. Hier nun – in Gegenwart der vielen jüdischen Menschen, direkten Nachfahren der Überlebenden – wurde das Trauma für mich existenziell erfahrbar. Mit aller Deutlichkeit nahm ich in mir wahr, wie es jenseits der Fragen von Schuld und Verantwortung tief in mir wurzelte. Ich spürte das kollektive Trauma wortwörtlich in meinen Knochen, in jeder meiner Körperzellen; mein ganzes Energiefeld war davon durchdrungen. Unmittelbar wusste ich, dass mir das zwar in diesem Augenblick gerade bewusst wurde, es aber unbewusst schon immer in mir existiert – und sich auch ausgewirkt hatte. Ich selbst trage die unerlöste Energie des Nazi-Traumas und des Holocaust in mir. Seit meiner Geburt steckt mir dieses kollektive Trauma in den Genen – transgenerational. Der bodenlose Schmerz, den deutsche Menschen ihren jüdischen Mitbürgern und Mitbürgerinnen angetan hatten, die Angst, die Verzweiflung, der Hass waren in mir zu spüren – dies konnte ich durch meine Anwesenheit in Israel mit jüdischen Menschen der zweiten und dritten Generation nun deutlich wahrnehmen. Es war ein Schmerz, der mir auch körperlich tief im Becken Schmerzen verursachte.

      Das ganze Ausmaß des Traumas trat in diesem Seminar voll zum Vorschein. Es konnte gesehen werden, niemand konnte oder musste sich davon abwenden. Der Schmerz und der Schrecken bekamen einen Raum des Erlebens und Teilens. Wir konnten versuchen, es in Worte und Gesten – oder auch in gemeinsamem Schweigen – zu fassen. Es waren Tage eines tiefen Durchgehens durch einen Heilungsprozess – nicht des gesamten Holocausts –, aber doch spürten alle, dass es ein Beitrag dazu war.

       Lösen feststeckender Energiekreise

      WIE NUN KANN FESTSTECKENDE oder eingefrorene Energie wieder in Bewegung kommen? Was taut das tiefgefrorene Gefühl, das Trauma, die stagnierende Bewegung wieder auf, um erneut in den Kreislauf der Energie einzutreten, seinen Zweck und Sinn zu erfüllen und sich wieder (auf)lösen zu können?

      Es sind vier Schritte, die es dafür braucht: Wahrnehmen, Dabeibleiben, Umarmen und Überantworten:

      imageDer erste Schritt ist, das Thema, die frühe Verletzung, überhaupt wahrzunehmen, die Zeichen erkennen zu können. Das heißt, wenn ich beispielsweise eine Kränkung erlebe, nicht gleich im alten Muster zu reagieren, sondern das Gefühl der Kränkung zuzulassen; sich diesem Gefühl zuzuwenden und es nicht wie bisher, weil es sich natürlich schrecklich anfühlt, zu vermeiden. Dieser Schritt, zum gerade Erlebten, zu den Gefühlen, die gerade da sind, hinzugehen, sie zu erleben, ist zentral.

      imageWenn es gelingt, die Gefühle, zum Beispiel die Angst, die Verlassenheit, die Zurückweisung, zuzulassen, dann heißt der nächste Schritt, dabeizubleiben. Das heißt, wach sein bei dem, was gerade ist und was ich gerade fühle und erlebe, gibt dem Thema neue Energie. Es ist genau die Energie, die es braucht, um die feststeckende Energie des geschlossenen Energiekreises anzuschieben. Die psychische Energie durch unser Zulassen und Dabeibleiben führt dem inneren Prozess Kraft und Energie zu – es beginnt wieder neu zu fließen.

      Fließen heißt, dass wir beginnen, die Gefühle, die in der Stagnation enthalten sind, zu erleben. Die Gefühle, die wir als Kind nicht hätten aushalten können, ohne Gefahr zu laufen, vielleicht sogar zu sterben. Als erwachsene Menschen heute jedoch sind wir stark und unabhängig genug von den damaligen Bedingungen, um den Schmerz von früher zuzulassen und zu berühren. Dabei geht es wirklich »nur« um ein Berühren. Es ist weder sinnvoll noch nötig, ganz in die Tiefe des Gefühls vorzudringen, denn es soll damit keine Retraumatisierung gesetzt werden. Die Gefühle berühren und für sich und das innere verletzte Kind da sein ist alles. Die moderne Traumatherapie24 hat große Fortschritte auf diesem Gebiet zu verzeichnen.

      imageSo ist der dritte Schritt der, sich der verletzten Seele des Kindleins zuzuwenden, das ja ein Teil der eigenen Seele im Hier und Heute ist. Dieser Teil der Seele – der die Verletzung trägt – braucht uns jetzt als Erwachsene, um dem kleinen Kind in uns mit all unserer Liebe und unserem Mitgefühl für seine frühe Not zu begegnen. Es ist ein Aspekt der Hinwendung zu uns selbst, indem wir das innere Kind schützend und liebend in die Arme schließen und es halten. Die Not und die damit einhergehenden Gefühle schließen wir dann nicht länger aus, sondern nehmen sie in unser liebendes Herz hinein. Die Kraft, das, was ist, zu umarmen, gibt einen heilsamen Energieimpuls ins Lebenssystem. Das Eis beginnt zu schmelzen – nicht selten unter Tränen.

      imageDer vierte Schritt ist, dass wir uns überantworten können. Der größte Wandlungsimpuls geschieht, wenn dieser innere Prozess in Ausrichtung auf die zeitlos-ewige Dimension des Ursprungs geschieht. Heilung ist Neuschöpfung. Das, was heilsam geschieht, geschieht aus der Quelle der Schöpfungskraft – dem heiligen Schöpfungsimpuls. Unser Herz zu öffnen und das Ewige zu bitten, öffnet uns in den ursprünglichen Strom des Lebens – das größer ist als wir selbst. Es ist ein Uns-Überantworten an die heilende Gegenwart der Quelle und die aus ihr kommende ursprüngliche Bewegung.

      VERLETZUNG, TRAUMA, KRANKHEIT wandeln sich im Fadenkreuz von Himmel und Erde – vom stillen Urgrund und der heiligen Bewegung des Lebens.

      Unser Energiefeld kann so offen sein, dass mehr und mehr Möglichkeiten des Lebens auftauchen, die sich realisieren können, Möglichkeiten im Reich des physischen Körpers genauso wie des emotionalen und mentalen Körpers und der spirituellen Entwicklung. Diese Offenheit kreiert ein tiefes Verstehen, schafft Mitgefühl und Liebe – und sendet letztendlich einen starken Heilungsimpuls aus.

       Was ist Zukunft?

      »ES


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