Heilung als schöpferischer Prozess. Klaus-Dieter Platsch
in und durch uns ausdrückt, erleben wir meist als ein natürliches Gefühl von Glück.
Viel von dem, was die ursprüngliche Bewegung beeinträchtigt und von ihr abweicht, löst sich durchaus auch ohne unser Zutun. Das uns innewohnende intelligente Feld aller Möglichkeiten, die Heilkraft im Menschen, korrigiert auftretende Hindernisse und Fehler sofort. Wir sind vom Leben mit einem jeden Moment im Hintergrund laufenden Korrekturprogramm ausgestattet – vergleichbar mit der kontinuierlichen Rechtschreibüberprüfung eines Textprogramms auf dem Computer. Schafft es der Organismus aus einem bestimmten Grund nicht, Fehler zu korrigieren – zum Beispiel Krebszellen, die sich tagtäglich im gesunden Körper bilden, zu eliminieren –, dann entwickeln sich Symptome und Krankheiten. Die ursprüngliche Bewegung der fein aufeinander abgestimmten Lebensfunktionen weicht ab, was wir als Krankheit erleben. Heilung bedeutet demgegenüber, die ursprüngliche Bewegung des Lebens wiederherzustellen.
ENERGIEKREISE — DER NATÜRLICHE RHYTHMUS VON WERDEN UND VERGEHEN
ALLES, WAS JE UNTER DIESEM HIMMEL geboren wird, tritt aus dem unnennbaren Urgrund hervor. Geheimnisvoll kommt es aus dem Nichts, erfüllt seinen Sinn und Zweck und kehrt wieder ins Nichts zurück. So wie der Mensch durch Zeugung und Empfängnis ins Leben tritt, neu erschaffen, aus dem Nichts gekommen, sein Leben lebt und mit dem Tod wieder ins Nichtsein schwindet. So wie ein Gedanke aus dem Nichts aufscheint und wieder dorthin zurückfällt.
Offen fließende Energiekreise
DIESER LEBENSKREIS IST LEBENSENERGIE, offen und fließend, denn aus dem schöpferischen Urgrund – dem Nichts – entstehen pausenlos die Dinge des Kosmos.
Offener, fließender Energiekreis
Leben ist ein offenes System, ein Ein- und Ausatmen, ein steter Austausch von Intelligenz. Der Fluss des Lebens besteht aus unzähligen Energiekreisen, die sich öffnen und fließen. Das ist der tiefere Grund, weshalb der Zen-Kreis offen ist. Als Kreis steht er für die unteilbare Einheit und Ganzheit des Lebens. Indem der Zen-Kreis auch einen Anfang und ein Ende hat, verbindet sich das Zeitlos-Ewige mit dem Irdischen in Raum und Zeit. Die offene Stelle symbolisiert diesen schöpferischen »Raum«, das Nichts des Urgrunds. Das Ende des Kreisbogens führt zurück ins Nichts – in den Raum des ewig-zeitlosen »Dazwischen«. Ein Gefühl kommt »out of the blue«, erfüllt seinen Zweck (zum Beispiel hilft Ärger, sich abzugrenzen, oder hilft Trauer, einen Verlust zu bewältigen), und wenn er erfüllt ist, löst sich das Gefühl wieder in nichts auf. Diese Dynamik entspricht der ursprünglichen Bewegung des Lebens – das Fließen des Lebensstroms durch Raum und Zeit.
Blockierte, feststeckende Energiekreise
NUN FLIESST DAS LEBEN JEDOCH NICHT IMMER in diesen feinen, ungehinderten Bahnen. Auch wenn wir Sehnsucht danach haben, dass es immer so wäre. Da ist diese ursprüngliche Sehnsucht nach dem kostbaren Atem der Freiheit. Und doch kennen wir alle natürlich Momente und Situationen, in denen unsere Energie stecken bleibt und nicht zum Ende kommt. Vielleicht hat jemand etwas zu uns gesagt, das uns nicht mehr loslässt, etwas, das uns gekränkt oder kritisiert hat, etwas, mit dem wir überhaupt nicht einverstanden sind, es aber nicht geäußert haben. Dann spielen wir diese Situation in Gedanken oft noch Stunden oder gar Tage lang in unserem Kopf durch. Es lässt uns nicht mehr los. Besser und richtiger wäre es allerdings zu sagen: Wir lassen diese Situation nicht los.
Besonders stark kreisen wir in diesen nicht mehr zu einem Ende kommenden Gedanken, wenn wir uns besonders emotional und persönlich betroffen fühlen – wir uns zum Beispiel zurückgewiesen, ungerecht behandelt, nicht geliebt oder herabgewürdigt fühlen. Also immer dann, wenn wir uns in Bedeutung und Selbstwert angegriffen fühlen. Sehr oft spielen dabei frühe Verletzungen aus der Kindheit eine Rolle. Schmerz und Verletzungen, die wir als Kinder nicht bewältigen konnten und die wir deshalb ins Unbewusste verbannen mussten. Sie werden quasi auf Eis gelegt – in den Eisschrank unserer Psyche. Diese nicht bewältigten Schmerzen, auf Eis gelegt, sind nichts anderes als psychische Energie, die stagniert und feststeckt. Die mit dem Schmerz verbundenen Gefühle sind viel zu groß für ein kleines Kind, als dass sie ihren Zweck, nämlich Trauer, Angst und Wut zu durchleben, erfüllen könnten. So bleiben diese Gefühle stecken. Der Energiekreis kommt nicht zu Ende und überdauert – unter Umständen ein Leben lang.
Blockierter, feststeckender Energiekreis
Es sind Schmerzen der Seele, die wir auch noch als Erwachsene mit uns herumtragen, ohne dass sie uns im Alltag bewusst wären. Wir merken sie nur indirekt, wenn die alte Verwundung durch einen Satz oder eine Handlung von jemand anderem im jetzigen Leben berührt wird und zu heftigen Reaktionen führt, zu Reaktionen, die uns und die anderen unerwartet treffen. Diese Heftigkeit und das Unerwartete sind sichere Zeichen dafür, dass ein altes Thema in uns getriggert wurde, etwas, das zu unangemessenen Reaktionen führt, die der auslösenden Situation gerade eben nicht mehr entsprechen. So kann ein einfaches Nein von jemandem, der sich damit in einem konkreten Moment einfach nur abgrenzen will, weil er oder sie etwas gerade anders haben oder machen möchte, ein altes Gefühl des Abgewiesen-Werdens reaktivieren. Dieses eigentlich harmlose Nein trifft auf die noch immer vorhandene, aber stecken gebliebene Energie der frühen Verletzung, in der all die nicht zu Ende gekommenen Gefühle gut verpackt enthalten sind. Es trifft auf unmittelbare Resonanz und der Vulkan geht hoch. Die Verletzung war früher, in der Kindheit, die nicht zu Ende gekommene Energie jedoch ist jetzt in der Gegenwart noch immer da.
Und solange dieser Zusammenhang unbewusst und ungelöst bleibt, wundert man sich selbst, und auch die anderen wundern sich, warum ein einfaches Nein mit Wut, Verzweiflung und Gegenwehr beantwortet wird. Solange uns die Hintergründe und Auswirkungen früher Verletzungen nicht klar sind, werden sich solche Situationen vielfach wiederholen, und wir werden den an unseren heftigen Reaktionen und unserem Kummer Schuldigen stets in der auslösenden Person verorten. Denn solange dieser Mechanismus nicht erkannt ist, sind es immer die anderen. In Wirklichkeit aber deutet jede solcher starken Reaktionen auf uns selbst. Dann ist es wichtig, sich das anzuschauen und auch das Erleben der Gefühle zu sich selbst zu nehmen, die stecken gebliebene Energie sozusagen nach Hause zu bringen.
Je früher im Leben das geschieht, desto weniger Schaden können solche nicht zu Ende gekommenen, unerlösten Themen anrichten, Themen, die, wenn sie ungelöst bleiben, ein Leben lang wirken können.
Der Kinderarzt WOLFGANG SCHALLER vertrat die These, dass es sogar wichtig sein könnte, an den Ort des Geschehens zurückzukehren. Bei traumatisierten Babys ließ sich SCHALLER, der inzwischen verstorben ist, wenn es sich um eine dramatische Geburt gehandelt hatte, das Protokoll der Geburt zeigen und ging mit dem betroffenen Kind an den Ort des Geschehens zurück. Er schien die Fähigkeit zu haben, mit den Babys zu sprechen, da er sie aus vollster Überzeugung ernst nahm. Und sie schienen ihm zuzuhören, was offensichtlich eine heilende Wirkung entfaltete. Aus Sicht der Energiekreise hat SCHALLER die eingefrorene Energie des Traumas durch das geschützte Wiedererleben der traumatisierten Kinder vor Ort wieder ins Fließen gebracht. Die dramatische Geburtssituation noch einmal zu berühren, half der Kinderseele, sie zu verarbeiten, ohne das ein Rest davon übrig blieb.23
Nicht zu Ende gekommene Energiekreise betreffen nicht etwa nur psychologische Themen, sondern genauso auch physische Probleme, bis hin zu Krankheiten. Denn der physische Körper spiegelt auf der energetischen Ebene die Stagnation der Energiebewegung wider. Der materiell-organische Körper ist jenseits seiner materiellen Ausformung ein energetischer Körper. Ohne die hinter ihm liegende Energie gäbe es keine materielle Existenz. Heilung – ob physisch, psychisch oder seelisch – ist immer die Wiederherstellung der ursprünglichen Bewegung der Energie.
Kollektive Energiekreise