Aufschrei. Zela Sol

Aufschrei - Zela Sol


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       Muttersein als Heilung?

       Der innere Kobold

       Rote Couch

       Gegenwart

       Heilige Herkunft

       Ganzheitlich betrachtet

       Heilung als Selbstsache

       Kontakt zu Papa

       Kriegerin des Lichts

       Gene im Garten

       Ankommen im Jetzt

       Kein Einzelfall

       Pro Familia

       Ent-Schluss

       Aufhebung

       Epilog

       Danke

       PROLOG

      Wir lügen einander an, weil sich niemand für die Wahrheit interessiert. Weil keiner sie erträgt. Für mich als Trennungskind war die Lüge legitimiert. Warum? Ich durfte (not)lügen, um ein höheres Gut als die Wahrheit zu schützen: mein eigenes Kindeswohl. Das Durchschwindeln war mein Diener, um meinen Schutz zu wahren. Sonst tat das keiner. Vaterseelenallein hatte ich keine andere Wahl, als zu lügen. Die Wahrheit zu leugnen schien mir die einzige Option zu sein. Anpassung, Taktgefühl, Verdrängung und Lügen – willkommen im Leben eines Trennungskindes.

      Ich habe geglaubt, dass die Lüge für mein Wohlbefinden sorgt. Ich habe geglaubt, dass der eheliche Streit meiner Eltern schlimmer für mich ist als ihre Trennung. Ich habe geglaubt, dass es mir erst dann gut geht, wenn es meinen Eltern gut geht. Ich habe fest geglaubt, dass ich nicht unter der Trennung meiner Eltern leide und auch „halb“ vollständig bin.

      Ich habe aufgehört zu glauben.

      Ich habe aufgehört, die Lüge zu füttern. Ich habe angefangen, die Wahrheit zu sagen. Kein Hexenwerk, sich der Wahrheit zu verpflichten. Nicht hier. Das Alphabet hütet die Beziehung zu meiner inneren Wahrheit. Meine Wahrheit. Ich behaupte, ich kann nur lügen, wenn ich die Wahrheit kenne. Aber was ist die Wahrheit? Ein Eid auf meine gegenwärtige Wahrnehmung? Meine Realität spiegelt meine Wahrheit permanent. Sind unterschiedliche Wahrnehmungen unterschiedliche Wahrheiten? Erlebt jeder Mensch eine andere Realität, eine andere Wahrheit? Dann gäbe es fast acht Milliarden Wahrheiten. Entsteht aus all diesen Wahrheiten Wirklichkeit?

      Kann man Wahrheit konstruieren?

      Ja. Ich kann.

      Im persönlichen Blickwinkel ist sie immer subjektiv, und sie verändert sich, ist dynamisch. Das nennt man auch Leben.

      In dieser Geschichte ist meine persönliche Betroffenheit die erzählende Instanz – das Produkt meiner Abstammung und Erfahrungen. Nicht mehr. Nicht weniger. Wahrheitsliebend, aber nicht auf Gedeih und Verderb. Andere Wahrheitsliebende zu finden treibt mich an den Schreibtisch.

      Flagge zeigen!

      Das spricht sich so leicht, revolutionär, dahin. Wahrhaftig sein! Das wird in unserer Gesellschaft nur zögerlich angestrebt und gehört nicht zu den lobenswerten Tugenden – vielmehr ist es nicht gewollt. Ehrlichkeit, wenn sie Kritik am System übt, stößt auf Widerstand. Es tendiert zum Wahnsinn, am hochgelobten Patchworkkonzept zu rütteln. Und nicht nur daran.

      Federführer ist mein inneres Trennungskind. Sein Auftrag ist es, meine Wahrheit auszusprechen. Alle Anklagen und Bewertungen entspringen meiner Seelenwut und hatten zuzeiten eine Berechtigung, auch wenn sie inzwischen meinem persönlichen Entwicklungstand widersprechen. In keinem Fall aber ist meine Wahrheit eine Anklageschrift, die pauschal an Trennungseltern adressiert ist. Manchmal ist eine Trennung unvermeidlich. Kaum jemand muss noch in schmerzhaften Beziehungen ausharren. Wir haben fast alle das Privileg, ein eigenständiges Leben führen zu dürfen. Ich bin nicht in der Position, Trennungseltern zu verurteilen, ihre Gründe zu verharmlosen oder anzuzweifeln. Manche Trennungen sind notwendig, und ich gehe davon aus, dass beide sich bis dahin bemüht haben. Bis zum Ende ihres Lateins. Aber oft sind die Motive nach meinem Empfinden oberflächlich, lapidar. Wird die Entscheidung voreilig, kurzsichtig getroffen. Wirken die potenziellen neuen Glücksaussichten verblendend, die Konsequenzen geringfügig. Zu machbar.

      Meine Wahrheit liegt irgendwo dazwischen.

      Wo liegt deine?

       LIEBES STIEFKIND,

      beinahe bist du eine Halbwaise, immer ein Flick- und Stückwerk, mehr bekannt als verwandt. Verhaftet in einem komplexen Verwandtschaftsgeflecht leidest du unter chronischen Definitionsproblemen. Dein Überfluss an Mamas, Papas, Omas, Opas und zahlreichen Tanten und Onkels ist weniger ein Genuss als mehr ein Schmerz der ganz besonderen Art. Diese fremden Menschen sind zwar das beliebteste Argument deines Zugewinns, um dir deine Zerstückelung schmackhaft zu machen. Du aber weißt es besser. Diese neu gewonnenen Familienmitglieder machen dein Leben leider nicht bunter, sondern komplizierter. Du weißt es besser, aber du hast den Zuständen stillschweigend zugestimmt und dich angepasst. Aus eigener Kraft schaffst du es nicht, dich aus der Patchworkverstrickung heraus zu entwickeln. Du fühlst dich wie in einem Karnevalsverein, in dem jeder seine Rolle besonders wichtig nimmt und du zum Statisten verdammt bist.

      Ist dein Wasser schon dicker als dein Blut?

      Manch einer wie du bleibt lebenslänglich gefangen in stieffamiliären Verhältnissen und deren langen Rattenschwänzen. Die Bevormundung von Menschen, deren Blut in anderen Bahnen weiterfließt, ist noch das geringste Übel für dich. Erzieherische Stimmungsschwankungen, unterschwellige Ablehnung und das Gefühl des Getrenntseins erduldest du mit einem dicken Stein auf deiner Brust und unterdrückter Wut im Bauch. Du möchtest nicht ständig der Zündstoff für den Streit deiner Eltern, deiner Bonuseltern sein. Also verhältst du dich ruhig und schwingst in den Launen der anderen mit. Dein Befinden spielt für sie kaum eine Rolle. Du sollst ein liebes Kind und ein noch lieberes Stiefkind sein. Brav sein wird zu deiner zweiten Natur, nur nicht anecken und die Missgunst des Stiefs erregen. Er mag dich so schon nicht.

      Er liebt dich nicht.

      Er interessiert sich auch nicht für dich.

      Ja, nicht selten hasst er dich.

      Er empfindet dich als störend.

      Du bist im Weg und du weißt es.

      Keine Menschenseele weit und breit, der du dich anvertrauen kannst. Du jammerst so viele Jahre in dich hinein. Du sehnst dich nach der Liebe des fehlenden Elternteils, willst ihr in Ruhe nachtrauern, stattdessen musst du dich wehren. Kämpfen gegen diesen Mann, diese Frau, die jetzt den leeren Platz am Frühstückstisch eingenommen hat und dich


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