Star Trek - The Next Generation: Kollateralschaden. David Mack
trauernden Verwandten zurück ins Schiffsinnere führen. Manche von ihnen klammern sich an winzige Erinnerungen aus unseren früheren Leben. Eine Frau – die Glückliche – hat ein Buch, das in unserer Muttersprache geschrieben ist. Ich sehe einen Jüngling, der ein Holzblasinstrument bei sich trägt. Womöglich weiß er nicht mal, wie es gespielt wird, aber trotzdem wurde ihm eingeschärft, es zu bewahren und zu beschützen.
Soweit ich weiß, sind wir alles, was vom Volk der Nausikaaner übrig ist.
Um ihretwillen werde ich die Föderation für das bezahlen lassen, was wir verloren haben.
Ich unterdrücke meine brennenden Tränen, während ich mein Schiff betrete und zu den Sternen aufsteigen lasse. Hinter uns bleibt die Leiche meiner Welt zurück – und mit ihr ein Stück meiner Tegol.
KAPITEL 1
Der Kragen von Jean-Luc Picards Galauniform lag eng wie eine Schlinge um seinen Hals. Er schob den Zeigefinger dahinter und zog behutsam daran, um ihn ein wenig zu lockern. Ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass er früher so eng saß. Aus dem Augenwinkel gewahrte er, dass er die Aufmerksamkeit seiner Frau, Doktor Beverly Crusher, erregt hatte, die neben ihm in dem Shuttle Galileo saß. Er ließ den Kragen los und richtete den Blick nach vorn. Draußen glitten die Türme und Dachspitzen von San Francisco vorbei.
Crusher trug ebenfalls ihre Ausgehuniform. Picard hatte sie daran erinnert, dass es für sie nicht nötig war, sich das anzutun, aber sie hatte darauf bestanden. »Wir stecken da beide mit drin, Jean-Luc«, hatte sie ihm vor einer Stunde erklärt, als sie sich in ihrem Quartier an Bord der Enterprise umgezogen hatten.
Ich hoffe nur, das wird sich nicht als wahr herausstellen.
Seit sie die Galileo bestiegen hatten, hatten sie kein Wort miteinander gewechselt. Ihr Flug hinunter vom Erdorbit war kurz gewesen und beherrscht von dem Unbehagen vor dem, was sie am Ende erwarten würde. Sie hatten diese Reise so lange wie möglich vor sich hergeschoben – zunächst durch Ausreden, dann durch eine Mission weit jenseits der Föderationsgrenzen. Aber die Zeit für Verzögerungen und Ausweichmanöver war vorbei.
Ich kann nicht länger davor weglaufen. Es wird Zeit, für meine Taten einzustehen.
Mitglieder des Föderationsrats hatten schon seit Wochen Picards Anwesenheit eingefordert, seit Sektion 31 öffentlich bloßgestellt worden war. Denn mit dieser Bloßstellung war, neben all ihren Verbrechen außerhalb und innerhalb der Föderation, auch enthüllt worden, dass Picard und mehrere Flaggoffiziere der Sternenflotte Schlüsselrollen in der gewaltsamen Absetzung von Föderationspräsident Min Zife sieben Jahre zuvor gespielt hatten. Dabei war Picard genauso wie jedermann sonst von der Neuigkeit schockiert worden, dass Sektion 31 zusätzlich so weit gegangen war, Zife und seine Topberater direkt nach ihrem Rücktritt zu exekutieren.
Wenn ich das nur gewusst hätte … Der Gedanke führte nirgendwohin. Wenn er auf diese von Furcht beherrschten, gewalttätigen Tage zurückblickte und sich fragte, was er anders hätte machen können, fiel ihm keine Antwort ein. Die Tezwa-Krise hatte zu den dunkelsten Zeiten in seiner Sternenflottenlaufbahn gehört. Millionen waren gestorben, ein Planet und ein Volk waren zerstört worden, und all das für nichts. Er hatte gehofft, nie wieder daran denken zu müssen, doch die Schrecken von damals verfolgten ihn bis heute. Er vermochte ihnen ebenso wenig zu entrinnen wie seinem eigenen Schatten.
Eine Veränderung in der künstlichen Schwerkraft des Shuttles und ein Absenken der Nase warnten Beverly und ihn vor dem, was kommen würde, noch bevor ihre Pilotin, der rothaarige Lieutenant Allison Scagliotti, über die Schulter blickte. »Captain, wir befinden uns im Landeanflug auf das Sternenflottenhauptquartier.«
»Danke, Lieutenant.«
Er bewegte seine Hand gerade weit genug, um seine Finger mit denen von Crusher zu verschränken.
Sie schloss ihre Finger um die seinen, eine kleine, aber wertvolle Geste der Unterstützung.
Über die Komm-Verbindung der Galileo vernahm Picard die Stimme des Flugsicherungsoffiziers im Sternenflottenhauptquartier, der letzte Anweisungen gab. Genau wie Picard erwartet hatte, wurde das Shuttle zu der Landeplattform dirigiert, die in unmittelbarer Nähe des Büros des höchsten Sternenflottenoffiziers lag: Fleet Admiral Leonard James Akaar. Das ergab Sinn, und das nicht nur, weil es praktisch war. Die Landeplattform war vor den Blicken außenstehender Beobachter geschützt, außerdem war Zivilisten, die nicht zur Regierung gehörten, der Zutritt hier nicht gestattet.
Mit anderen Worten: keine Presse.
Butterweich setzte die Galileo auf. Das Brummen des Impulsantriebs verringerte sich zu einem leisen Schnurren, ganz aus ging es aber nicht. Das Shuttle hatte den Befehl, umgehend zur Enterprise zurückzukehren, sobald Picard und Crusher sicher beim Sternenflottenkommando abgeliefert worden waren.
»Kommando, die Galileo ist sicher gelandet«, meldete Scagliotti dem Luftsicherungsoffizier des Sternenflottenhauptquartiers. »Die Passagiere steigen nun aus. Erbitte Freigabe zum sofortigen Abflug.«
»Wir machen Ihnen einen Flugvektor frei. Bitte warten, Galileo.«
Picard und Crusher lösten ihre Sicherheitsharnische und erhoben sich von ihren Plätzen. Scagliotti öffnete die Steuerbordluke des Shuttles, als sie sich ihm näherten. Dann drehte sich die junge Frau auf ihrem Sessel um und blickte sie an, bevor sie ausstiegen. Tränen schimmerten in ihren Augen. »Viel Glück, Sir!«, sagte sie, und ihr Wunsch kam sichtlich von Herzen.
Was konnte er darauf antworten? Er wollte ihre keine falschen Hoffnungen machen.
Mit einem knappen Nicken nahm er ihre Worte entgegen. »Danke.«
Dann führte er seine Frau aus dem Shuttle, hinaus in den blendenden Schein eines klaren, eiskalten Wintermorgens in San Francisco, Kalifornien.
Seite an Seite schritten sie über die Landeplattform zu der Doppeltür, die ins Innere des Hauptquartiers der Sternenflotte führte. Sie hatten die rote Zone der Plattform kaum verlassen, als sie schon hörten, wie das Antriebsgeräusch der Galileo wieder anschwoll. Weder Picard noch Crusher blickte zurück, aber der Captain sah das abhebende Shuttle in der Reflexion der spiegelblanken Fensterfront des Gebäudes.
Die Doppeltür glitt auf, als sie sich ihr näherten. Ein hochgewachsener Sternenflottenoffizier trat ins Freie, um sie zu begrüßen. Es war ein jung wirkender Pacificaner, der eine Flüssigatemmaske über Mund und Nase trug und auffällige Schwimmhäute zwischen den langen, schlanken Fingern seiner Hände aufwies. Elegante, mehrfarbige Finnen wuchsen aus der Oberseite und den Seiten seines Schädels. Als er sich auf Gesprächsdistanz genähert hatte, sah Picard, dass der Mann die Rangabzeichen eines Lieutenants trug. Seine Worte drangen aus einem speziellen Übersetzungsmodul, das in seine Atemmaske integriert war.
»Ich grüße Sie, Captain Picard.« Er wandte sich Crusher zu. »Willkommen, Doktor Crusher!« Er deutete auf die offen stehende Tür hinter sich. »Ich bin Lieutenant Commander Boyelip, der oberste Berater von Fleet Admiral Akaar. Sie werden beide erwartet. Folgen Sie mir, bitte.«
Boyelip drehte sich um und führte sie ins Innere.
Weit von einem Empfang für Helden entfernt. Nicht, dass ich irgendeinen Grund gehabt hätte, so etwas zu erwarten. Nicht diesmal.
Auf dem kurzen Weg durch die sterilen weißen Korridore zum Büro des höchsten Admirals der Sternenflotte passierten sie Offiziere unterschiedlicher Spezies sowie verschiedenen Ranges und Geschlechts. Picard hatte das Gefühl, das Gewicht der starrenden Blicke jedes Einzelnen zu spüren, während er sich bemühte, ebendiese zu ignorieren. Augenkontakt zu vermeiden, das hatte er in letzter Zeit gelernt, war die beste Methode, um unerwünschte Fragen zu verhindern. Also gab er neuerdings sein Bestes, um den Blick immer nach vorn zu richten, dorthin, wohin er ging, auf das, was er gerade tat, und