Der Geliebte der Verlobten. Laura Lippman

Der Geliebte der Verlobten - Laura  Lippman


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Duberville, schrieb sie sorgfältig und fügte die Nummer des Wetteramtes hinzu. Sollten sich doch Thomas Hardy und die Wetterfrösche mit den Beitrittsmodalitäten auseinandersetzen.

      Jetzt war Tess frei, ihre eigene Tour durch die alte Fabrik zu machen, und spazierte durch das Studio, wobei sie jedes Gerät inspizierte und nach Ava Ausschau hielt. Ihre Bewunderung für die gepflegten deutschen Geräte brauchte sie nicht zu heucheln. Das Studio war gut geführt und bot überall jene kleinen Aufmerksamkeiten, die Menschen erwarten, wenn sie bis zu zweitausend Dollar Mitgliedsbeitrag pro Jahr zahlen. Flauschige weiße Handtücher, Stapel neuer Zeitschriften neben den Hometrainern, Farbfernseher, die von der Decke herabhingen. Man konnte sich sogar Kopfhörer für die Fernsehgeräte ausleihen, damit man ungestörter zuhören konnte, trotz des Aufknallens der Gewichte und des Surrens von Dutzenden von Maschinen, die alle nirgendwohin fuhren. Für jemanden wie Tess, die bis zu drei Stunden täglich in Schweiß gebadet verbrachte, war dieser Ort die reine Versuchung. Sie hätte sich viel lieber die Geräte angesehen – und in manchen Fällen auch die Männer darauf –, als nach Ava zu suchen.

      Wie sich herausstellte, ließ sich beides miteinander verbinden. Der Aerobicraum lag in der Mitte des Studios und hatte eine gläserne Hülle, er sah aus wie ein überlebensgroßer Ameisenhaufen. Und da, ganz vorne in der Mitte einer Gruppe, die Stepp tanzte, arbeitete sich Ava mit solcher Energie durch ihre Pflichtübungen, als wäre sie in einem Wettkampf. Während sie in Straßenkleidung zerbrechlich und sexy wirkte, sah sie hier nicht ganz so hilflos aus, in ihren Fahrradhosen aus weißer Spitze und einem dazu passenden Sportbüstenhalter. Ihre Beinmuskeln waren lang und wohlgeformt wie die einer Tänzerin; der Bizeps und die Bauchmuskeln gut ausgeprägt, wie es zurzeit für Frauen Mode war. Was ihre Brüste betraf – unmöglich groß für eine so kleine Frau und über jegliche Schwerkraft erhaben –, so schienen sie irgendwo außerhalb dieses Studios geformt worden zu sein.

      Als die Gruppe zur Entspannungsphase überging, eilte Ava hinaus, während sie sich das Gesicht mit einem der weißen Handtücher des Clubs abtupfte. Nur wenige Minuten später schoss sie aus dem Umkleideraum wieder heraus und sah dabei auf ihre Uhr. Sie hatte bestimmt nicht geduscht, obwohl das Make-up auf ihrem Gesicht aufgefrischt und ihre Haare ordentlich gekämmt waren. Noch immer trug sie das winzige Höschen und den BH, mit einem hauchdünnen Leinenhemd darüber. Das durchsichtige Hemd betonte nur die ganze nackte Haut darunter.

      Jetzt schien Ava plötzlich keine Eile mehr zu haben, sondern schlenderte auf den Eingangsbereich zu und blieb am Trinkwasserspender stehen. Obwohl sie den Mund an den Wasserstrahl hielt, schien sie, wie Tess bemerkte, nicht zu schlucken, und ihre Augen schossen unablässig hin und her. Als nun ein weißhaariger Mann, der eindeutig nach Oberschicht aussah, mit einem Squashschläger in der Hand an ihr vorbeiging, richtete sie sich auf wie ein Schachtelteufelchen und begrüßte ihn mit süßer, klarer Stimme.

      »So eine Überraschung! Ich hätte nie gedacht, dass ich Sie hier treffen würde.«

      Auf der anderen Seite der Eingangshalle heuchelte Tess plötzliches Interesse für ein Poster, das den Blutkreislauf zeigte, von der Unterhaltung der beiden konnte sie aber nur Bruchstücke aufschnappen. Sie schienen sich zu kennen, allerdings nicht besonders gut. Ava war ungewöhnlich ehrerbietig, vielleicht, weil der Mann schon alt war, und hing mit den Blicken an seinem Gesicht, als wäre alles, was er sagte, ungeheuer faszinierend.

      »… komme genauso gern wegen der Massagen her«, sagte soeben dieser Mann, der wie ein Patrizier aussah. Tess bemühte sich, Avas Antwort zu hören, doch da bekam sie von einer riesigen Hand einen solchen Schlag zwischen die Schulterblätter gedroschen, dass ihr der Atem stockte.

      »Wollen Sie jetzt diese Dets zur Mitgliedschaft?« Dale, der Fitnessbotschafter, hatte sich hinter sie geschlichen, mit einem beunruhigend dicken Ringbuch in Händen.

      »Dets?«

      »Details.«

      »Oh, natürlich. Ich geh nur schnell raus zu meinem Beamer und bring mein Scheckbuch mit rein.«

      Scheckbuch, das Zauberwort. Beamer tat auch nicht weh.

      Dale strahlte und drosch noch einmal auf Tess ein. Als sie zu ihrem Auto rannte, überlegte sie, ob er wohl alle weiblichen Kunden so behandelte oder nur die, die mindestens dreißig Zentimeter größer waren als er.

      Sie wartete im Auto, bis Ava herauskam, und beobachtete sie währenddessen durch die Glasfront des Clubs. Jetzt hatte sie es offensichtlich nicht mehr eilig, so wie sie sich da mit dem Mann mit dem Squashschläger unterhielt. Lebhaft, fast flirtend, beugte sie sich ihm entgegen und berührte ihn häufig in aller Unschuld. Federleichte Berührungen an seiner Schulter, seinem Handgelenk, seiner Hand. Das alles erinnerte Tess sehr an ihre Technik beim Klauen.

      Als der Mann dann endlich ging, schien Ava ihr Gesicht abzuschalten. Sie würde keine so finstere Miene machen, dachte Tess, wenn sie wüsste, dass sich dadurch tiefe Falten um den Mund und auf der Stirn bilden. Ava rannte zu ihrem Auto und schoss so schnell aus ihrem Parkplatz heraus, dass Tess sie in den engen Straßen von Federal Hill fast verloren hätte. In der Light Street holte sie sie wieder ein und folgte ihr zurück zum Eden’s Landing. Der Toyota, der sich normalerweise so anständig benahm, spuckte und gab Fehlzündungen von sich, als bettele er um Rücksicht. Tess fuhr ihn im zweiten Gang und konnte nur hoffen, dass Ava nichts mitbekam.

      Sobald sie in ihrem Apartment war, ging Ava nicht mehr ans Telefon. Tess bemerkte das deshalb, weil sie sie in regelmäßigen Abständen anrief, von dem Münztelefon bei Vaccaro aus, einer Eisdiele in Little Italy, die nur einen Block entfernt lag. Nicht einmal der Anrufbeantworter schaltete sich ein. Wie konnte man es nur ignorieren, wenn das Telefon zehn-, fünfzehnmal klingelte? Ava kam Tess nicht gerade vor wie jemand, der das aushält und ein läutendes Telefon einfach ignoriert. Vielleicht sprach sie auf der anderen Leitung und war so in ihr Gespräch vertieft, dass sie nicht auf das Klicken achten mochte, das anzeigte, dass ein anderes Gespräch hereinkam. Oder sie hatte den Stecker rausgezogen, damit niemand sie erreichen konnte. Damit Rock sie nicht erreichen konnte.

      Tess aß ein Pistazieneis und überlegte, was sie bisher alles herausgefunden hatte. Ava klaute in Läden. Ava trainierte. Ava hatte höchstwahrscheinlich einen Silikonbusen. Und mehr Muskeln, als man denken sollte. Das sah nicht nach sehr viel aus. Es sah auch verdammt langweilig aus. Sie rechnete im Kopf zusammen, wie viele Stunden sie dazu bisher verwendet hatte – von 7:30 bis 12:30 Uhr, dann abends noch einmal zwei Stunden. Machte zusammen 210 Dollar. Langweilig, aber einträglich. Tatsächlich hätte sie gegen ein paar solche langweilige Tage nichts einzuwenden gehabt, obwohl ihr klar war, dass sie damit aufhören sollte, bevor sich ihre Stundenrechnung auf tausend Dollar belief. Sie wollte ja Rock nicht um seine Ersparnisse bringen.

      5

      Ihre ersten Erfolge hatte sie leicht einfahren können, und so erkannte Tess, dass sich Beschattungsarbeit finanziell lohnte. Am zweiten Tag, dem Freitag vor dem Labor-Day-Wochenende, wartete Tess vor dem Lambrecht Building bis vierzehn Uhr, doch Ava kam erst heraus, als Rock sie zu einem Wochenende an der Ostküste abholen wollte. Tess beobachtete, wie Rock Avas Taschen in sein Auto lud – zwei Taschen, stellte sie fest, für ein Wochenende von drei Tagen. Unvermittelt streckte er die Hand aus und packte Ava am Handgelenk, als hätte er Angst, dass sie davonlaufen könnte. Er zog sie an sich und umarmte sie heftig. Schon vom bloßen Hinsehen taten Tess die Rippen weh. Doch Ava krümmte nur den Rücken und überließ ihren Körper der Umarmung, während sie das Gesicht von Rock abwandte und über seinen Kopf hinweg auf etwas starrte, was Tess nicht sah. Sie fuhren los in Richtung Autobahn, in Rocks selten benutztem Honda mit dem Boot auf dem Dach.

      Warum seid ihr beiden bloß miteinander verlobt?, fragte sich Tess, als das Auto verschwand. Sie hatte Rock schon manchmal beim Einkaufen beobachtet, wo er völlig geistesabwesend dastand und für nichts außer seine Kaffeebohnen Interesse aufbringen konnte. »Das Größte ist immer das Beste, stimmt’s? Wenn dieser Reis hier mehr kostet, muss er auch besser sein, stimmt’s?« Er war ein paar Jahre älter als sie, und was er da an Leben durch sein Mikroskop beobachtete, das musste, so viel begriff Tess, wohl auch den Betrachter dazu anregen, sich zu vermehren und weiterzuwerkeln.

      Und dann war da Ava, schön, tüchtig


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