Der Malteser Falke. Dashiell Hammett

Der Malteser Falke - Dashiell  Hammett


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ich nicht so. Ich vertraue Ihnen, aber … ich habe auch Floyd vertraut und … ich habe niemanden sonst, niemanden, Mr. Spade. Aber Sie können mir helfen. Sie haben gesagt, dass Sie mir helfen können. Wenn ich nicht geglaubt hätte, dass Sie mich retten können, wäre ich heute weggelaufen, statt Sie hierher zu bitten. Wenn ich gedacht hätte, dass irgendwer anders mich retten könnte, würde ich jetzt nicht vor Ihnen knien. Ich weiß, es verstößt gegen jeden Anstand. Aber seien Sie nachsichtig, Mr. Spade, verlangen Sie keinen Anstand von mir. Sie sind stark, Sie sind erfinderisch, Sie sind mutig. Sie können mir bestimmt etwas von Ihrer Stärke, Ihrer Findigkeit, Ihrem Mut abgeben. Helfen Sie mir, Mr. Spade. Helfen Sie mir, denn ich brauche dringend Hilfe, und wer, wenn nicht Sie, wäre in der Lage und willens dazu? Helfen Sie mir! Ich habe nicht das Recht, Sie darum zu bitten, aber ich tue es trotzdem. Seien Sie nachsichtig, Mr. Spade. Sie können mir helfen. Tun Sie es.«

      Spade, der während eines Großteils ihrer Rede die Luft angehalten hatte, stieß sie jetzt mit einem langen Atemzug durch die gespitzten Lippen aus und sagte: »Sie brauchen keine fremde Hilfe. Sie sind gut. Sehr gut sogar. Es sind hauptsächlich Ihre Augen, glaube ich, und dieses Tremolo, das Sie in Ihre Stimme legen, wenn Sie Dinge sagen wie: ›Seien Sie nachsichtig, Mr. Spade.‹«

      Sie sprang auf. Ihr Gesicht war vor Verlegenheit errötet, trotzdem hielt sie den Kopf aufrecht und sah Spade geradewegs in die Augen.

      »Ich habe es verdient«, antwortete sie. »Ich habe es verdient, aber – ach! – ich habe mir Ihre Hilfe so gewünscht. Ich wünsche sie mir immer noch und brauche sie sehr. Ich bin eine schlechte Lügnerin, aber es war nicht alles gelogen, was ich gesagt habe.« Sie wandte sich ab, nicht mehr ganz so aufrecht wie eben. »Ich bin selbst schuld, dass Sie mir jetzt nicht mehr glauben können.«

      Spades Gesicht färbte sich rot. Er blickte zu Boden und murmelte: »Sie sind verdammt raffiniert.«

      Brigid O’Shaughnessy ging zum Tisch und griff nach seinem Hut. Sie kam zurück und stellte sich vor ihn. Sie überreichte ihm den Hut nicht, sondern hielt ihn fest, sodass Spade ihn jederzeit nehmen konnte, wenn er wollte. Ihr Gesicht war weiß und schmal.

      Spade sah seinen Hut an und fragte: »Was ist gestern Nacht passiert?«

      »Floyd ist um neun ins Hotel gekommen. Dann haben wir einen Spaziergang gemacht. Es war mein Vorschlag, damit Mr. Archer ihn sehen konnte. In einem Restaurant, ich glaube in der Geary Street, haben wir eine Kleinigkeit gegessen und getanzt und sind dann gegen halb eins ins Hotel zurückgekehrt. Floyd brachte mich bis zum Eingang, und ich stand in der Lobby und habe beobachtet, wie Mr. Archer ihm die Straße runter folgte.«

      »Runter? Sie meinen in Richtung Market Street?«

      »Ja.«

      »Wissen Sie, was sie in der Bush Street, Ecke Stockton, gemacht haben, wo Archer erschossen wurde?«

      »Ist das nicht in der Nähe von Floyds Hotel?«

      »Nein, auf dem Weg von Ihrem Hotel zu seinem wäre es ein Umweg von gut zehn Blocks gewesen. Und was haben Sie gemacht, nachdem die beiden verschwunden waren?«

      »Ich bin ins Bett gegangen. Und als ich heute Morgen zum Frühstück ausgehen wollte, habe ich die Schlagzeilen gesehen und gelesen, dass … Sie wissen schon. Dann bin ich zum Union Square gegangen, denn ich hatte gesehen, dass man dort Automobile mieten kann. Ich nahm eins und fuhr zum Hotel, um mein Gepäck zu holen. Nachdem ich gestern herausgefunden hatte, dass mein Hotelzimmer durchsucht worden war, wusste ich, dass ich von dort verschwinden musste. Ich fand am selben Nachmittag dieses Apartment. So bin ich hier gelandet. Dann habe ich in Ihrem Büro angerufen.«

      »Ihr Zimmer im St. Mark ist durchsucht worden?«, fragte Spade.

      »Ja, während ich bei Ihnen war.« Sie biss sich auf die Lippe. »Eigentlich wollte ich Ihnen das gar nicht erzählen.«

      »Heißt das, ich soll keine weiteren Fragen dazu stellen?«

      Sie nickte schüchtern.

      Er runzelte die Stirn.

      Sie schwenkte seinen Hut ein wenig hin und her.

      Er lachte ungeduldig und sagte: »Hören Sie auf, mir damit vor der Nase rumzufuchteln. Habe ich nicht gesagt, dass ich tun werde, was ich kann?«

      Sie lächelte zerknirscht, brachte den Hut zurück auf den Tisch und setzte sich wieder neben ihn aufs Sofa.

      Er sagte: »Ich habe nichts dagegen, Ihnen blind zu vertrauen. Allerdings kann ich nichts für Sie tun, wenn ich nicht ansatzweise weiß, worum es geht. Beispielsweise würde mich brennend interessieren, wer dieser Floyd Thursby war.«

      »Ich habe ihn in Asien kennengelernt.« Sie sprach bedächtig und betrachtete dabei ihren ausgestreckten Zeigefinger, der Achten auf das freie Stück Sofa zwischen ihnen zeichnete. »Letzte Woche sind wir aus Hongkong hier angekommen. Er war … er hatte versprochen, mir zu helfen. Doch er hat meine Hilflosigkeit und Abhängigkeit ausgenutzt, um mich zu hintergehen.«

      »Inwiefern?«

      Sie schüttelte den Kopf und sagte nichts.

      Spade runzelte ungeduldig die Stirn und fragte: »Warum wollten Sie ihn beschatten lassen?«

      »Ich wollte herausfinden, wie weit er gegangen ist. Er hatte mir nicht einmal gesagt, wo er wohnt. Ich wollte wissen, was er machte, mit wem er sich traf. Solche Dinge.«

      »Hat er Archer umgelegt?«

      Sie sah überrascht zu ihm auf. »Ja, ganz bestimmt«, sagte sie.

      »Er hatte eine Luger in seinem Schulterholster. Archer wurde nicht mit einer Luger erschossen.«

      »Er hatte noch einen Revolver in der Manteltasche«, sagte sie.

      »Haben Sie ihn gesehen?«

      »O ja, oft. Ich weiß, dass er ihn immer bei sich hatte. Gestern Abend habe ich ihn nicht gesehen, aber ohne den Revolver in der Manteltasche geht er nicht aus dem Haus.«

      »Wozu so viele Waffen?«

      »Er hat davon gelebt. In Hongkong hieß es, er wäre als Leibwächter für einen Glücksspieler nach Asien gekommen. Der Mann hätte die Staaten verlassen müssen und wäre seitdem wie vom Erdboden verschluckt. Gerüchten zufolge wusste Floyd darüber Bescheid. Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur, dass er immer schwer bewaffnet war und nicht zu Bett ging, ohne den Boden rings um sein Bett mit zerknülltem Zeitungspapier zu präparieren, damit niemand heimlich sein Zimmer betreten konnte.«

      »Da haben Sie sich aber einen feinen Kumpel ausgesucht, Kompliment.«

      »Weil nur so einer mir hätte helfen können«, antwortete sie schlicht, »wenn er loyal gewesen wäre.«

      »Ja, wenn.« Spade kniff mit Daumen und Zeigefinger seine Unterlippe zusammen und warf ihr einen finsteren Blick zu. Die senkrechten Furchen über seiner Nase verstärkten sich, sodass die Brauen eine fast durchgehende Linie bildeten. »Wie tief sitzen Sie tatsächlich in der Tinte?«

      »Bis zum Hals«, sagte sie.

      »Ist Gewalt im Spiel?«

      »Ich bin keine Heldin. Ich glaube, was Schlimmeres als den Tod gibt es nicht.«

      »Es geht also um Leben und Tod?«

      »So gewiss, wie wir beide hier sitzen« – sie schauderte – »es sei denn, Sie helfen mir.«

      Er nahm die Hand vom Mund und strich sich durchs Haar. »Ich bin nicht der liebe Gott«, sagte er gereizt. »Ich kann Ihnen keine Wunder versprechen.« Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Die Zeit vergeht, und Sie geben mir nichts, womit ich arbeiten könnte. Wer hat Thursby umgelegt?«

      Sie hielt sich ein zerknülltes Taschentuch an den Mund und sagte: »Das weiß ich nicht.«

      »Ihre Feinde oder seine?«

      »Keine Ahnung. Seine, hoffe ich. Ich weiß es nicht.«

      »Auf welche Weise sollte er Ihnen helfen? Warum haben Sie ihn aus Hongkong mit hierher genommen?«


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