Wir sind die Flut. Annette Mierswa

Wir sind die Flut - Annette Mierswa


Скачать книгу
es für mich.

      »Könnte Rusowski den kaputten Boden nicht wieder anreichern?«

      »Wäre wahrscheinlich möglich. Vielleicht könnte man mit speziellen Programmen ausrechnen lassen, was gemacht werden muss, und Drohnen fliegen lassen, die Schlupfwespenlarven verteilen. Die futtern die Schädlinge nämlich auf, wenn ich mich nicht irre.«

      »Könntet ihr den Rusowskis die Drohnen nicht leihen, damit sie das selbst machen können?«

      Leon stutzte. »Hm. Wahrscheinlich schon. Keine Ahnung.« Er schwieg eine Weile, bis wir den Waldrand erreichten und abstiegen, damit die Pferde an einem Bach trinken konnten.

      Poppy drückte sich an meine Beine und wollte gestreichelt werden. Sie leckte sich wie irre über ihre Pfoten und sah mich immer wieder aus merkwürdig aufgerissenen Augen an. Irgendetwas stimmte nicht. In der Ferne fuhr ein Lkw vorbei, der riesige Traktor der Klamms tuckerte und im Wald krächzte ein Vogel. Leon blickte finster zum Laster hinüber.

      »Dad wird wieder fluchen. Da kommt eine neue Ladung Holland-Gülle.«

      »Wie?« Ich hatte mich zu Poppy gebückt, die nun über meine Hand leckte.

      »Rusowski bekommt Gülle aus Holland, die dort nicht ausgebracht werden darf, weil sie das Grundwasser belastet. Die haben strengere Gesetze als wir. Deshalb zahlen sie Rusowski noch dafür, dass er die Gülle abnimmt. Und da er kaum Viehwirtschaft hat und nebenbei bemerkt auch kein Geld, bringt er den Mist auf seinen beschissenen Feldern aus, anstatt zum Beispiel Gülle von uns zu nehmen. Wir haben viel mehr, als wir brauchen. Aber die Holländer zahlen dafür.«

      »Die Felder stinken also nach holländischer Gülle?«

      »Ja, genau.«

      Langsam begann mich das Thema zu interessieren. Ich wusste schon, dass weltweit knapp ein Drittel der Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft kam, vor allem aufgrund des Fleischkonsums und der dafür nötigen Futtermittel. Jetzt verstand ich aber auch: Wenn viele Bauern ihre Felder so behandelten, wie die Rusowskis es taten, dann gingen die Böden kaputt, die Schädlinge nahmen zu und der ganze Dreck, der gespritzt wurde, gelangte massenhaft ins Grundwasser.

      »Warum baut ihr eigentlich nicht bio an? Ist doch viel besser.«

      »Ich glaube, Dads Großabnehmer will das nicht. Und er kann eben nur produzieren, was gefragt ist.«

      »Kann er nicht einen anderen Abnehmer suchen?«

      »So leicht ist das nicht. Die Nachfrage regelt den Anbau.«

      »Wirklich?«

      »Ich glaub schon. Und bei Bio hat man dann auch viel weniger Erträge pro Hektar.« Leon stieg in Nonnos Steigbügel und zog sich am Sattel hoch. »Du bist ja wie eine Journalistin auf der Suche nach einer Story.« Er grinste. »Vielleicht solltest du mal Dad interviewen. Der muss häufiger Fragen beantworten. Vor allem, weil er hier einer der Vorreiter im Smart Farming ist.«

      »Gute Idee.« Ich sah zu Poppy, die merkwürdig unruhig um meine Beine herumschlich und mich immer wieder aus ihren großen Augen ansah. »Komm schon, meine Süße, gleich gibt es was zu trinken.« Ich gab ihr einen zärtlichen Klaps und schwang mich auf Ulysses.

      Wir ritten um die Anhöhe herum, auf der Rusowskis Hof lag. Poppy lief zwar nebenher, aber sie wirkte schlapper als sonst und hechelte wie eine alte Hündin, deren Kräfte schwanden. Was war nur mit ihr los? Als wir die Straße kreuzten, ließ der holländische Laster gerade die dampfende braune Brühe ab. Einige Krähen flatterten aufgeregt darum herum. Ich sprang vom Pferd, zückte mein Handy und machte schnell ein Foto.

      Da sah ich Kruso. Er stand abseits, hatte eine Forke in der Hand und blickte mich direkt an. Sofort war mir das Foto unangenehm und ich nickte entschuldigend in seine Richtung. Er nickte zurück.

      »Weißt du, was?«, flüsterte Leon. »Ich glaub, Krusos älterer Bruder hat sich gerade bei meinem Dad beworben. Dabei übernehmen die Ältesten üblicherweise den Hof. Der scheint keinen Bock auf das Erbe zu haben. Ich kann’s verstehen. Die halten nicht mehr lange durch. So viel ist sicher.«

      Ich schwieg. Musste Kruso jetzt den Hof und all die Probleme übernehmen? Mir war unwohl. Ich hatte das blöde Gefühl, nun etwas zu wissen, das ich gar nicht wissen sollte. Kruso kam mir noch verlorener vor als zuvor und ich hatte ein seltsames Mitleid, wie man es manchmal empfindet, wenn man Bilder von Kranken, Hungernden oder Verfolgten sieht und gleichzeitig froh ist, nicht selbst betroffen zu sein. Kruso war also nicht nur ein einsamer Träumer, er war auch noch ein richtiger Pechvogel, der wenig Chancen auf ein gutes Leben zu haben schien. Ein Leben, wie es mir vorschwebte, mit Studium und Doktortitel, Anerkennung und finanzieller Absicherung.

      9

      Poppy kotzte. Genau vor meine Füße. Dann legte sie sich auf den Boden und winselte.

      »Was hast du denn?« Ich streichelte ihr durchs Fell.

      »Vielleicht solltest du mit ihm zum Tierarzt gehen.«

      »Vielleicht hat sie etwas Verdorbenes gefressen.«

      Leons Handy brüllte wie ein Löwe. Sein Klingelton.

      »Dad? Sorry … Hi. Hm? … Neben mir … Ja …« Er blickte zu Poppy. »Ja …« Er wandte sich ab und sprach ein bisschen leiser. »Nein, konnte ich nicht. Ging zu schnell … O Mann.« Er sah mich entschuldigend an und lief ein paar Schritte den Feldweg entlang. »Und jetzt?«

      »Hallo.« Ich schreckte hoch. Kruso stand vor mir, die Forke auf den Boden gerammt wie eine Lanze. »Das Gift.« Er blickte zu Poppy.

      »Welches Gift?« Er zeigte zu Klamms Acker hinüber, auf dem schon wieder gesprüht wurde. Und da verstand ich. »Du meinst … Poppy?« Er nickte. »O mein Gott!« Poppy legte sich über meine Füße und winselte.

      »Komm. Meine Mutter kennt sich aus.« Er warf die Forke auf den Boden, hob Poppy vorsichtig hoch und ging voraus. Ich lief hinter ihm her wie hypnotisiert. Poppy, Poppy, Poppy, war alles, was ich denken konnte. Sie hatte plötzlich Schaum vor dem Mund und hing schlapp in Krusos Armen.

      Mit dem Stiefel stieß er eine schwere, mit Eisen beschlagene Tür auf. Ich folgte ihm und versuchte dabei, meine Panik im Zaum zu halten. Wir kamen in eine Küche, die aussah wie aus dem letzten Jahrhundert. Fast alles war aus rustikalem Eichenholz und um jeden Gegenstand waren Deckchen drapiert, bunt bestickt mit Bauernweisheiten. Eines hing über der Eckbank und fiel mir sofort ins Auge: Wenn du im Herzen Frieden hast, wird dir die Hütte zum Palast.

      Am Tisch saß eine schmale, hübsche Frau, die so gar nicht meinen Vorstellungen von einer armen Bauersfrau entsprach, vor einem Stapel Briefe. Sie war modischer angezogen als Kruso und hatte zu engen Jeans schmale Gummistiefel mit Blümchenmuster an. Dazu ein tailliertes Shirt, durch das sich der BH abzeichnete, und ein pinkes Tuch um den Kopf gewickelt, unter dem ein paar Löckchen herausguckten. Sie wirkte wie ein Fremdkörper in dieser urigen Küche.

      »Oh, Besuch«, sagte sie freudig und kam auf mich zu. Dann sah sie Poppy. »Und gleich zu zweit.« Sie blickte in Krusos ernstes Gesicht und begriff sofort. »Klamm?«

      »Ja. Der Hund hat …«

      »Ich hol die Kohletabletten … und Atropin.« Sie eilte aus dem Raum.

      »Woher weiß sie …?« Ich nahm Poppy aus Krusos Armen, setzte mich auf einen Stuhl und legte sie auf meinem Schoß ab. Dieses Fellknäuel war ein Teil von mir, gehörte zu meinem Leben wie Leon. Meine Hände zitterten.

      »Ist nicht das erste Mal«, sagte Kruso knapp. »Sie kennt sich damit inzwischen genauso gut aus wie eine Ärztin.«

      »So.« Frau Rusowski holte eine Blechdose aus einer Tasche, legte sie auf dem Tisch ab und wühlte darin herum. »Hier.« Sie drückte zwei Kohletabletten aus einer Packung, schmierte etwas Leberwurst auf einen Finger, klebte die Tabletten hinein und schob Poppy den Finger in den Mund. Die sah mich an, als wolle sie sich eine Erlaubnis holen, und leckte den Finger dann willig ab. »Bestens.« Frau Rusowski wühlte wieder in der Dose und


Скачать книгу