Der neue Sonnenwinkel Staffel 2 – Familienroman. Michaela Dornberg
Gospelchöre stattfinden. Und es bleibt auch Gelegenheit, sich so ein wenig umzusehen, Dublin hat ja viel zu bieten, wie das berühmte Trinity College, die St. Patricks Cathedral, um nur zwei Beispiele zu nennen, spannend ist es gewiss auch, das Guiness Storehouse zu besichtigen, und ein Pint Guiness sollte man unbedingt in der Gravity Bar trinken, wo man einen 360 Grad Blick über die Stadt hat.«
Alma hatte sich richtig in Begeisterung geredet.
»Ja, das ist großartig. Herzlichen Glückwunsch, von Dublin aus kann man viele schöne Ausflüge machen, und ich hoffe sehr, Ihr Chor ergreift die Gelegenheit, sich auch außerhalb Dublins ein wenig umzusehen. Ein Ausflug nach Wicklow lohnt sich auf jeden Fall. Das Powerscourth Hause mit seinen grandiosen Gärten ist sehenswert oder auch die Klosteranlage Glendalough. Wenn man Zeit hat, weiterzufahren, ist das mittelalterliche Städtchen Kilkenny sehenswert. Ach, Alma, ich beneide Sie. Ich finde Irland großartig, und ich würde am liebsten auch sofort meine Koffer packen.«
Alma sagte nichts.
»Aber sagen Sie mal, Alma, warum sprühen Sie nicht vor Begeisterung bei dieser Aussicht, hier mal rauszukommen?«
»Aber Frau Doktor, ich kann doch nicht mitfahren.«
Jetzt verstand Roberta überhaupt nichts mehr.
»Und warum nicht?« Eine bessere Frage fiel ihr dazu nicht ein.
Alma zögerte einen Moment mit ihrer Antwort.
»Weil ich Sie nicht eine Woche allein lassen kann.«
Roberta hätte mit allem gerechnet, mit so einer Antwort gewiss nicht. Am liebsten hätte sie vor Erleichterung angefangen zu lachen. Sie hatte sich bereits alles Mögliche zusammengereimt.
»Also, meine Liebe, in einer Woche werde ich weder verhungern, noch im Chaos versinken. Essen kann ich sehr gut im ›Seeblick‹, und das Haus wird während Ihrer Abwesenheit nicht zusammenbrechen, es sei denn die Termiten brechen in Scharen hier ein, und damit ist nicht zu rechnen. Und, was das Entscheidendste ist. Sie haben einen ordnungsgemäßen Arbeitsvertrag, und da steht Ihnen Urlaub zu, meine Liebe, und das nicht nur eine Woche. Ich hoffe, Sie haben die Reise noch nicht abgesagt, und wenn doch, dann machen Sie gefälligst alles rückgängig. Und bitte, Alma, Sie sind eine so gescheite Frau, kommen Sie niemals mehr auf derart spinnerte Ideen, versprechen Sie mir das?«
Alma nickte.
»Ich dachte ja nur, dass ich Sie gerade jetzt nicht allein lassen kann, weil Sie so viel Arbeit haben und Ihren Kopf dafür frei haben müssen.«
Roberta war gerührt.
»Wenn Sie so wollen, dann habe ich immer viel Arbeit, dann dürften Sie niemals Urlaub machen und ich im Übrigen ebenfalls nicht. Fahren Sie nach Irland, ich freue mich für Sie, und das tue ich wirklich.«
»Danke, Frau Doktor«, sagte Alma, dann begann sie zu strahlen. »Irland war schon immer mein Traum, doch als ich noch verheiratet war, interessierte sich mein Exmann nicht für das Land, und danach, als er mich mit all den Schulden allein gelassen hatte, besaß ich nicht einmal das Geld, um mir eine Fahrkarte bis in die nächste Stadt zu kaufen. Ach, Frau Doktor, wie sehr mein Leben sich wieder zum Guten verändert hat. Und das verdanke ich Ihnen allein. Wäre ich nicht hier im Sonnenwinkel, hätte ich nicht Mitglied des Gospelchores werden können, dann hätte ich nicht dieses komfortable Leben. Ich kann frei schalten und walten, und ich habe sogar eine eigene, ganz entzückende Wohnung hier im Seitentrakt des Hauses.«
»Und ich kann in Ruhe meiner Arbeit nachgehen, bekomme ein so köstliches Essen wie in einem Sterne-Restaurant, ich muss meinen Garten nicht verwildern lassen, mein Bett ist immer frisch bezogen, meine Handtücher sind gewaschen, meine Kleidung hängt ordentlich im Schrank. Muss ich noch mehr sagen?«
Alma blickte ihre Chefin an.
»Liebe Frau Doktor, ich tue alles von Herzen gern, alles, was Sie mögen.«
Ihre Alma, die würde mit ihrer Dankbarkeit wohl niemals aufhören, dabei war es für sie beide eine absolute Win-Win-Situation.
»Okay, Alma, Sie können etwas für mich tun. Haben Sie für mich vielleicht noch eine zweite Portion von dieser himmlischen Crème brûlée?«
Alma sprang auf.
»Habe ich Frau Doktor, ich weiß doch, wie gern Sie diese Creme essen.«
*
Marianne von Rieding saß mit ihrem zweiten Ehemann Carlo Heimberg in dem stilvollen Frühstückszimmer im Herrenhaus des Erlenhofs. Als Marianne und ihre Tochter das stattliche Anwesen von ihrem verstorbenen Schwiegervater geerbt hatte, hatte sie versucht, die Räume weitgehend zu ›entstauben‹, hatte sich von vielem getrennt und vor allem versucht, Licht in alles zu bringen.
Dieses Frühstückszimmer hatte sie beinahe unverändert gelassen, nur ein paar Bilder und Möbelstücke entfernt, die alles ein wenig erdrückten.
In dem Zimmer standen wunderschöne alte Kirschholzmöbel, deren warmer Holzton etwas Anheimelndes hatte. Solche Möbel gab es kaum mehr, weil es heutzutage viel zu kostspielig war, sie in dieser hohen Handwerksqualität herzustellen. Außerdem hatten viele Menschen, ganz besonders die jungen Leute, ihr Interesse für diese Schätze aus der Vergangenheit verloren. Sie kauften sich lieber zweckmäßige, moderne Möbel, die sie kurz und schmerzlos entsorgten, wenn sie keinen Spaß mehr daran hatten. Wir waren eine Wegwerfgesellschaft geworden, und diese Tendenz nahm immer mehr zu.
Es war nicht die Einrichtung allein, die diesen Raum zu etwas Besonderem machte. Da gab es im Haus noch viel wertvollere Möbel. Nein, es war der unbezahlbare Blick, den man hatte. Durch die Fenster der Terrassentür hatte man einen unvergleichlichen Blick auf die Felsenburg, die das Herzstück des Anwesens war, jene prächtige, geschichtsträchtige Ruine, die auch halb verfallen imposant wirkte. Imposant und beeindruckend. Eine Ruine, die berührte, weil an dieser Felsenburg so deutlich demonstriert wurde, wie vergänglich alles doch war. Nichts war für die Ewigkeit bestimmt, und davon waren in früher Zeit die damaligen Erbauer wohl ausgegangen. Davon zeugten die dicken Mauern, die Schießlöcher, durch die man sich vor Eindringlingen schützen wollte.
Das war längst vorbei. Schon vor langer Zeit hatte man die Felsenburg dem Verfall preisgegeben. Selbst wenn man wollte, wenn man bereit war, ein Vermögen dafür hinzulegen, wäre es ein aussichtsloses Beginnen.
Carlo war von der Ruine fasziniert, und natürlich hatte er sich überlegt, ob man aus dieser alten Dame noch etwas machen konnte. Er hatte es resigniert aufgegeben, es hatte keinen Sinn. Also konnte man dem unaufhaltsamen Verfall nur zusehen und sich an den vielen Geschichten, die um die Felsenburg rankten, erfreuen, oder man konnte erschauern, denn wenn so manches wahr war, was man überliefert hatte, dann waren die früheren Burgherren nicht zimperlich gewesen.
Wer der Erbauer war, das konnte man nicht mehr feststellen, aber über viele Generationen hinweg waren es die von Riedings gewesen, die man als Besitzer der Felsenburg nachweisen konnte.
Eigentlich müsste das Marianne stolz machen, doch das war nicht so. Sie war angeheiratet, und ihr verstorbener Schwiegervater hatte weder von ihr noch von seinem einzigen Enkelkind Alexandra, ihrer Sandra, nichts wissen wollen. Er war auch nach dem Tod seines einzigen Sohnes unversöhnlich geblieben. Und sie waren mehr als erstaunt gewesen, plötzlich bei einem Notar zu erfahren, dass dieser unversöhnliche Mann sie als seine Erben eingesetzt hatte.
Doch das lag nun schon so lange zurück. Und im Grunde genommen mussten sie und Sandra dankbar für die Erbschaft sein, denn Mutter und Tochter hatten hier ihr Glück gefunden. Marianne hätte niemals für möglich gehalten, noch einmal in ihrem Leben einem Mann zu begegnen, der ihr Herz höherschlagen lassen konnte. Und doch war es geschehen. Sie hatte diesen Menschen in Carlo Heimberg, dem Erbauer der Siedlung im Sonnenwinkel, gefunden. Sie und Carlo waren sehr glücklich miteinander und dankbar für das, was sie miteinander verband.
Und Sandra?
In dem Fabrikanten Felix Münster hatte sie den Richtigen gefunden. Doch ehe Felix und Sandra sich nähergekommen waren, hatte Sandra sich in Manuel verliebt, seinen Sohn. Und dann war sie für Manuel eine ganz wundervolle