Der neue Sonnenwinkel Staffel 2 – Familienroman. Michaela Dornberg
dort und hatten unglaublich viel Spaß, und wir waren flexibel. Und so kann es durchaus noch zwei, drei Jahre sein. Dann sind die Kinder größer, und die wollen ganz gewiss ein wenig mehr von der Welt sehen als nur die Bretagne. Und wir haben wieder einen Klotz am Bein. Der Sonnenwinkel ist gerade mal um die Ecke, und wir haben uns nicht gekümmert. Ehrlich, ich finde, das ist keine gute Idee.«
Ricky seufzte.
Natürlich hatte Fabian recht, aber die Bretagne war halt so schön, so ursprünglich, und wenn sie an die Côte Sauvage dachte, wurde ihr Herz weit.
»Nein, es ist keine gute Idee. Aber man muss ja das Geld, das man bekommt, nicht sofort wieder ausgeben.«
»Kluge Frau«, sagte er, »doch einen Teil können wir beispielsweise dafür verwenden, die Hypothek dieses Hauses hier abzulösen, und euch wenn es kaum Zinsen gibt, kann es nicht schaden, etwas Geld auf der hohen Kante zu haben. Ich verdiene zwar nicht schlecht, aber die Kinder werden größer und damit auch die Ansprüche. Schon jetzt geben wir eine Menge für sie aus. Bei Sandra für Klavier- und Reitunterricht, Henrik lernt Klarinette und geht zum Judo, die Kleinen werden nachziehen. Irgendwann wollen sie alle den Führerschein machen. Kinder sind eine Herausforderung, und sie kosten viel Geld. Aber dennoch, ich möchte keines von ihnen missen.«
»Denkst du, vielleicht ich?«, rief sie. »Unsere Kinder sind unser schönstes Geschenk, und wir wollten jedes von ihnen, und das ganz bewusst. Ach weißt du, Fabian, wenn ich mal wieder ein wenig herumspinne, dann muss ich mir keine Sorgen machen, weil du mich immer wieder auf die Erde zurückholst.«
Er lachte.
»Nun ja, ich bin schließlich Lehrer, und manchmal bist du wie ein großes Kind, aber dafür liebe ich dich. Du hast so viel Sonne in mein Leben gebracht, und du gibst so viel Liebe. Ich mag überhaupt nicht daran denken, was ich ohne dich geworden wäre. Deine Liebe, deine Leichtigkeit sind so wunderbar.«
Ricky setzte sich neben ihn, lehnte sich vertrauensvoll an seine Schulter.
»Wir sind wirklich wie Pott und Deckel, und dafür müssen wir dankbar sein.«
Sie küssten sich, und das war nicht weniger leidenschaftlich als zu Anfang ihrer Liebe.
*
Ihr letzter Patient für diesen Vormittag war Carlo Heimberg. Roberta kannte den Architekten vor allem von den legendären Festen, die es immer oben auf dem Erlenhof gegeben hatte.
Das war anders geworden, als die Münster-Werke in eine finanzielle Schieflage geraten waren. Da hatte es aufgehört. Auch nachdem wieder alles in Ordnung war. Die Feste waren es nicht so sehr gewesen, die Roberta begeistert hatten, sondern mehr die Menschen. Und einer von ihnen war ohne Zweifel Carlo Heimberg.
Hier und da traf man sich auch noch, und wenn ihre Alma sie nicht so gut bekochen würde, wäre sie auch öfter im ›Seeblick‹, wo man sich jetzt traf.
»Herr Heimberg, hier bei mir in der Praxis habe ich Sie noch nie gesehen«, sagte Roberta, nachdem sie den Architekten begrüßt hatte.
Carlo lachte.
»Frau Doktor, ich schätze Sie sehr, vor allem die geistreichen Gespräche mit Ihnen. Und glauben Sie mir, ich würde Sie lieber anderswo treffen als hier. Meine Frau hat darauf bestanden.«
»Das war klug«, erwiderte Roberta. »Auch wenn einem nichts fehlt, sollte man wenigstens einmal im Jahr zum Arzt gehen, um seinen Gesundheitszustand kontrollieren zu lassen.«
»Mir fehlt nichts«, sagte er.
Roberta blickte ihn an. Er sah müde und blass aus.
»Das werden wir sehen.«
Mit dem Geplänkel war es vorbei. Roberta begann ihn zu untersuchen, zuerst das Übliche, den Blutdruck messen, dann hörte sie ihn ab.
Als das vorbei war, blickte sie ihn ernst an.
»Herr Heimberg, Ihr Blutdruck ist viel zu hoch, und es sind sowohl der systolische als auch der diastolische Wert, beide gehen weit über das Normmaß hinaus. Und Ihr Herz … Ich möchte gern ein Langzeit-EKG mit Ihnen machen, und das am liebsten sofort. Und morgen kommen Sie bitte nüchtern in die Praxis, damit wir ein großes Blutbild machen können.« Roberta war sehr ernst, und das beunruhigte ihn.
»Frau Doktor, mit mir ist doch ansonsten alles in Ordnung, oder?«, wollte er wissen.
Das konnte Roberta leider nicht bestätigen.
»Herr Heimberg, lassen Sie uns alle Ergebnisse abwarten. Aber Ihr Herz, das müssen Sie doch manchmal gespürt haben. Erhöhte Blutdruckwerte spürt man leider zunächst überhaupt nicht, leider sind das heimliche Killer. Aber das ist etwas, was man in den Griff bekommt.«
Carlo antwortete ihr lieber nicht. Das mit dem Herzen, das stimmte. Er hatte es gespürt, aber als Arbeitsüberlastung abgetan, und immer ging es ihm ja auch nicht schlecht. Und Blutdruck …, das konnte nicht sein. Er war schlank, bewegte sich viel, und Marianne und er aßen gesund, was nicht ausschloss, daß sie mal eine Pizza aßen oder Pommes. Aber das nicht oft.
»Ich will nicht anfangen, Tabletten zu essen«, sagte er sofort. »Diese Pillen sollen doch erhebliche Nebenwirkungen haben.«
Beinahe hätte Roberta angefangen zu lachen. Solche Worte hörte sie mehr als nur einmal, und das dann auch meistens von Männern.
»Lieber Herr Heimberg, jetzt regen Sie sich bitte nicht auf. Das erhöht nämlich auch den Blutdruck, und wenn es Sie beruhigt, zum Rezeptblock greife ich nicht so schnell. Gerade beim Blutdruck hat man die Möglichkeit, ihn auf andere Weise zu regulieren. Erst wenn das nicht funktioniert, verschreibt man Tabletten.«
Ihre Worte beruhigten ihn ein wenig, er sah sie gespannt an, und Roberta erzählte ihm, dass man einiges vermeiden musste und was schadete, und das war zu viel Fleisch, zu viel Gewicht, zu wenig Bewegung und negativer Stress.
»Und auch wenn scheinbar davon kaum etwas auf Sie zutrifft, Stress haben Sie auf jeden Fall, und wenn Sie unterwegs sind, wissen Sie nicht, wie viel Salz in dem Essen ist, und gerade in Ihrer Branche wird viel Alkohol getrunken. Und wenn man nur den Stress und den Alkohol und das Salz im Essen nimmt, kommt einiges zusammen. Sie glauben nicht, was ein bewusster Umgang mit Essen, Trinken und der richtigen Bewegung ausmacht.«
Sie blickte ihn an.
»Darüber unterhalten wir uns, wenn alles gründlich untersucht ist. Und ich schlage auch eine Langzeitblutdruckmessung vor, und wenn nötig, auch ein Langzeit-EKG, das habe ich Ihnen ja eingangs schon gesagt. Und wenn Sie damit einverstanden sind, dann machen wir gleich ein Belastungs-EKG.«
Viel Lust hatte er nicht, aber da er nun schon mal hier war.
»Meinetwegen«, sagte er. »Aber, Frau Doktor, was immer auch bei allem herauskommt. Bitte sagen Sie nichts meiner Frau. Ich möchte nicht, dass Marianne sich beunruhigt.«
»Herr Heimberg. Ich unterliege der äzrtlichen Schweigepflicht. Ich darf Ihrer Frau überhaupt nichts sagen. Aber Sie sollten offen und ehrlich mit ihr sein. Wenn sie nicht schon besorgt wäre, hätte sie nicht den Termin für Sie gemacht. Es ist also auf jeden Fall besser, ihr die Wahrheit zu erzählen, als sie im Ungewissen zu lassen. Sie haben eine so großartige Frau, die wird Sie in jeder Hinsicht unterstützen.«
Er nickte.
»Ja, sie ist wirklich etwas Besonderes, meine Marianne, und ich danke dem lieben Gott jeden Tag, dass ich sie habe. Und das soll noch lange so sein. Also, was soll ich jetzt tun? Wo ist das Fahrrad, auf das ich mich jetzt setzen soll, und mit wem mache ich den Termin für morgen, und dann das mit diesen Langzeit-Dingen für Herz und Blutdruck.«
Roberta klopfte ihm auf die Schulter.
»Gemach, gemach. Ich entlasse Sie jetzt in die Hände von Frau Hellenbrink. Die weiß, was zu tun ist. Wir sehen uns gleich noch mal kurz, um das Ergebnis des Belastungs-EKG’s zu besprechen, die weiteren Termine bekommen Sie von Frau Hellenbrink.«
Carlo Heimberg ging, der nächste Patient kam herein. Die Praxis lief immer besser, Roberta musste darüber nachdenken,