Der neue Sonnenwinkel Staffel 2 – Familienroman. Michaela Dornberg
um die Auszubildende, die sie jetzt hatten. Leni Schrader machte sich recht gut, aber sie war erst am Anfang.
Der Patient, der jetzt vor ihr saß, wurde seinen Husten nicht los. Roberta hatte ihn gründlich untersucht, und zum Glück konnte sie eine Lungenkrankheit ausschließen.
»Herr Müller, Sie dürfen bei einem solchen Wetter nicht so leicht bekleidet herumlaufen, und wie wäre es damit, mit dem Rauchen aufzuhören?«
»Das kann ich nicht«, sagte er sofort, »ich habe es bestimmt schon tausendmal versucht.«
Roberta nahm kein Blatt vor den Mund.
»Herr Müller, das sind faule Ausreden. Es ist nicht so, dass Sie es nicht können, Sie wollen es nicht. Sie haben aus dem Nichts eine große Schreinerwerkstatt aufgebaut. Sie machen wunderschöne Möbel. Das haben Sie geschafft, mit sehr wenig Geld, aber mit viel Energie und dem Willen, es schaffen zu wollen. Das war eine großartige Aufgabe, und nun wollen Sie mir einreden, dass Sie nicht gegen diese Glimmstängel ankämpfen können?«
Er grinste.
»Frau Doktor, Sie können einem ganz schön einheizen. Also gut, ich kann es noch mal versuchen.«
Roberta winkte ab.
»Wenn Sie so anfangen, dann haben Sie gleich schon verloren. Sie sollen nichts versuchen, Sie müssen es wollen, genauso, wie Sie diesen Betrieb wollten. Das ging auch nicht ohne einen starken Willen.«
Er zögerte mit der Antwort.
Roberta war niemand, der anderen Leuten gern Angst machte, aber manchmal musste man die Keule nehmen. Und das war hier der Fall. Dieser Herr Müller war ein ausgesprochen netter Mann, und es war wirklich beachtenswert, was er in seinem Leben erreicht hatte.
Als sie ihn zum ersten Mal gesehen und sein Husten gehört hatte, hatte sie die schlimmsten Befürchtungen gehabt und sogar an ein Lungenkarzinom gedacht. Das hatte sich zum Glück nicht bewahrheitet. Aber wenn er so weiterqualmte, könnte es dazu kommen. Er rauchte viel, da konnte er beteuern, was er wollte. Man musste sich nur seine braungefärbten Finger ansehen, seine Haut, und seine Sachen rochen alle nach Rauch.
»Herr Müller, wenn Sie es allein nicht schaffen, dann kann ich Ihnen auch die Adresse eines Kollegen aufschreiben, der ein Anti-Rauch-Programm anbietet.«
Das wollte er nicht.
»Herr Müller, Sie haben eine Frau und seit zwei Monaten einen kleinen Sohn. Unabhängig davon, dass es für ein Kind besser ist, in einer rauchfreien Zone aufzuwachsen«, sie blickte ihn ernst an, »möchten Sie nicht ein schönes Leben mit Ihrer Frau führen, und möchten Sie nicht Ihren Sohn aufwachsen sehen? Fragen Sie sich bitte mal, ob diese Zigaretten es wert sind, auf all dieses Glück zu verzichten. Und reden Sie sich jetzt bitte nicht ein, dass man von Zigaretten Krebs bekommen kann, dass es Sie aber nicht treffen muss. Sie sind schon geschädigt, werden den Husten nicht los. Und so zu denken ist wie Roulette, ich an Ihrer Stelle würde an mich, meine Frau, meinen Betrieb und auch an meine Angestellten denke, für die ich ja ebenfalls eine Verantwortung trage.«
Er sagte nichts.
Hatte sie sich zu weit vorgewagt? Er war immerhin ein erwachsener Mann, der sich von einer Ärztin, die nicht älter war als er selbst, nicht belehren lassen wollte.
Er griff in seine Jackentasche, holte eine Zigarettenschachtel daraus hervor, knallte sie ihr auf den Tisch.
Irritiert blickte Roberta von der Zigarettenschachtel zu ihm.
»Herr Müller, was soll das?«, wollte sie wissen. »Was soll ich damit?«
Er grinste.
»In den Papierkorb werfen. Sie haben gewonnen, und Sie haben ja auch recht. Und wenn ich jetzt nicht anfange, wann dann? Die Schachtel noch zu Ende rauchen zu wollen, das wäre der reinste Selbstbetrug.«
»Herr Müller, das finde ich toll«, sagte sie, griff nach der Schachtel und warf sie in ihren Papierkorb. »Ich unterstütze Sie, wo ich kann, aber gegen Ihre Halsbeschwerden und Ihren Husten gebe ich Ihnen jetzt die Probe eines neuen Präparats, das ein Pharmavertreter mir gestern dagelassen hat. Probieren Sie es aus, es soll Wunder wirken. Die darin enthaltenen Substanzen können auf jeden Fall nicht schaden.«
Roberta stand auf, holte aus ihrem Arzneischrank das neue Wundermittel, gab es ihm.
»Wenn es wirkt, werde ich es Ihnen gern verschreiben.«
Sie wechselte noch ein paar Worte mit ihrem Patienten, dann verabschiedete sie ihn und bedankte sich noch einmal für seine Einsicht.
Er lachte erneut.
»Sie können jemanden ganz schön überzeugen, Frau Doktor«, sagte er, »und das mit netten Worten. Meine Christie versucht es seit Jahren ohne Erfolg. Aber es stimmt ja, wenn man abwägt, dann kann es nur zu Gunsten meiner Frau und meine Sohnes ausgehen. Die meisten Zigaretten raucht man eh aus lauter Gewohnheit. Und Sie haben mich überzeugt, es ist eine Willenssache. Und einen starken Willen, den habe ich.«
Sie wechselten noch ein paar Worte miteinander, dann ging der Patient. Sich noch lange freuen, das konnte Roberta jetzt nicht, denn schon der nächste Patient stand im Raum, diesmal war es eine Frau …
Alma war mit ihrem Gospelchor nach Irland gefahren, und Roberta hatte sie davon abhalten können, für sie während dieser Zeit vorzukochen. Roberta freute sich darauf, zur Abwechslung mal in den ›Seeblick‹ zu gehen. Roberto Andoni, der neue Wirt, war mittlerweile voll etabliert, und sein Restaurant war immer gut besucht. Aber Roberta wusste, dass er immer ein Plätzchen für sie hatte, und das war gut zu wissen.
Roberta mochte Roberto sehr gern und auch seine junge blonde Frau Susanne. Ja, sie mochte sie wirklich, obwohl Susanne den Platz eingenommen hatte, an dem Roberta gern ihre Freundin Nicki gesehen hätte. Roberta und Nicki waren ein so schönes Paar gewesen, und sie liebten sich. Alles wäre gut gegangen, hätte Nicki sich nicht in den Kopf gesetzt, im Sonnenwinkel nicht leben zu können und an der Seite eines Gastwirts schon überhaupt nicht, der mitten in der Nacht aufstehen musste, um zum Großmarkt zu fahren.
Obwohl sie ihn liebte, hatte Nicki sich von ihm getrennt, und nun war sie mit einem Malcolm Hendersen zusammen, von dem Roberta, obwohl sie ihn nicht kannte, ein ungutes Gefühl hatte. Dabei sollte sie sich doch freuen, endlich war da ein Mann an Nickis Seite, der offensichtlich viel Geld hatte, der sie verwöhnte, beschenkte, im Privatflugzeug einfliegen ließ.
Nicki war davon überzeugt, dass Malcolm sie heiraten würde, den dicken Brillantring hatte sie ja schon mal. Doch Roberta fragte sich, warum während der Gelegenheit er ihr nicht, wie es in England und Amerika so üblich war, einen Heiratsantrag gemacht hatte.
Nicki hatte unwirsch darauf reagiert, und Roberta hatte seither nichts mehr dazu gesagt. Nicki war erwachsen, sie musste wissen, was sie tat. Roberta hatte sich ja auch daran gehalten, ihr nichts über das Leben von Roberto zu erzählen. Sie hatte es einmal versucht, und da hatte Nicki so heftig darauf reagiert, dass Roberta, was Roberto anbelange, ebenfalls den Mund hielt, und so wusste Nicki auch nicht, dass er mittlerweile verheiratet war. Aber das würde Nicki vielleicht nicht interessieren, dieser Malcolm war derzeit der Mittelpunkt ihres Lebens. Roberta wünschte es ihr, aber sie war auch ein wenig traurig, dass Nicki sich kaum noch meldete, und wenn Roberta sie manchmal erreichte, wirkte sie gehetzt und abgelenkt, weil es halt nicht so einfach war, sein Leben in Deutschland mit den Besuchen ihres Freundes in England unter einen Hut zu bringen.
Komisch war ja schon, dass sie sich immer in Hotels trafen und nicht in seinem Haus, das bestimmt ganz prachtvoll sein musste, denn wer ein Privatflugzeug besaß, die teuersten Autos, der sparte bestimmt nicht an seinem Haus. Und nach Deutschland war Malcolm auch noch nicht gekommen. Interessierte es ihn so gar nicht, wie seine Freundin lebte?
Roberta hatte den ›Seeblick‹ erreicht, trat ein. Auch heute war wieder beinahe jeder Tisch besetzt. Aber Roberto hatte aus dem ›Seeblick‹ auch wirklich etwas gemacht. Und das genossen die Gäste. Hinzu kam, dass das Essen, das er servierte, sterneverdächtig war.
Roberta hatte kaum einen Schritt in den Gastraum getan, als auch schon Susanne auf sie zugeschossen