Ein Laib Brot, ein Krug Milch. Josef F Perkonig
1937:
Zur Auswahl des vorliegenden Bandes
In der Titelnovelle „Ein Laib Brot, ein Krug Milch“ leben uralter Sonnenkult und heilige Verbundenheit von Mensch und Natur. Im ersten Abschnitt der „Ländlichen Novellen“ wird das Dorf zum Spiegel der Welt: Der Autor zeichnet in realistischer Darstellung das Bauernleben in unverfälschter Echtheit: Tod, Geburt und Hochzeit sind wichtige Metaphern, ebenso Arbeit und Feste. Betrachtungen über den Glauben und Aberglauben, das Mythisch-Bäuerliche, Christlich Heidnische spielen eine wichtige Rolle: ein geschlossenes Bild des bäuerlichen Lebens, das zum größten Teil der Vergangenheit angehört.
Im zweiten Abschnitt „Rosental – Ferlach – Südkärntner Leben“ ist die nationale Zweiheit, der deutsch slawische Dualismus wichtig. Der Autor stellt sich und sein Werk in den Abhandlungen „Mich selbst im Spiegel gesehen“ und „Heimat und Heimatkunst“ vor. Das ehemalige Leben der Klein- und Industriestadt Ferlach im Rosental wird lebendig. Gekürzt wiedergegeben sind die Essays „Der Kärntner Slowene“ und „Mit zwei Zungen“. Josef Friedrich Perkonig als Lyriker wird abschließend in drei Gedichten vorgestellt.
Dr. Helgard Kraigher
Vorsitzende der Josef Friedrich
Perkonig-Gesellschaft
Ein Laib Brot, ein Krug Milch
Am zwölften März um die Mittagszeit springt die Sonne aus dem Berg, gerade nur für ein paar Augenblicke, daß man sie wieder sehen kann; ausgelöscht ist sie also in vier Monaten hinter dem Gebirge nicht, sie macht ein paar winzige Schritte in den freien Himmel hinein, daß man sie leuchten und glänzen sieht und daß die steinalte Sonnenuhr auf der Hauswand in der Rauth schnell die Mittagstunde schlagen kann, dann ist sie auch schon wieder dahin, in den anderen grauen Kalkberg hinein. Der Stundenschlag der Sonnenuhr geht über steiniges Feld und dürre Wiese hin, bis hinauf in den steilen Wald des Ainetter, aber auch nicht ein Haar über seine Marchen hinaus, und genau so weit hören sie auch, wie das goldene Sonnenlicht rauscht, da es zwischen zwei Felszinken für ein paar Augenblicke seine Macht wieder errungen hat.
An den ersten Sonnensprung am zwölften März denken die Ainetterischen seit anno Schnee einen Winter lang immer wieder; wird die Sonne ein roter Kürbis sein und ein gutes Jahr verheißen, oder ein blasser Eidotter und einen dürftigen Sommer anzeigen, oder wird sie sich gar hinter Gewölk verstecken und die Leute in der Rauth um ihre Feier bringen?
In der Rauchküche. Vater, Tochter und zwei Söhne saßen auf dem Herd, von der Flamme angeglüht, und die Bäurin kochte das Abendmahl. Die fünf müden Menschen schwiegen, aber es redete für sie alle der Herd; er war so alt wie das lärchene Haus, und um sein Feuer waren alle Geschlechter gesessen, die darin wohnten, und jedes hatte denselben ehrwürdigen Namen; der währte an diesem Herde nun schon beinahe vierhundert Jahre lang.
(Mein Herz ist im Hochland)
Alle Jahre am zwölften März geschieht das nämliche: die Ainetterleute stehen, angetan wie am Sonntag, um den Tisch herum und warten andächtig, bis die Sonne aus dem Berge kommt, dann wird sie dort durch das kleine tiefe Fenster scheinen, der Glanz wird sich auf die wurmstichige Tischplatte legen, gerade nur auf sie und sonst nirgendshin in der Stube, es ist ein dickes Sonnenlicht, so dick, daß es das Fenster genau ausfüllt. Es stürzt sich herrisch auf den Tisch, die Sonne ist hinter den Bergen hungrig geworden, kein Wunder, wenn sie beinahe vier Monate lang hat fasten müssen, aber der Tisch ist gedeckt, wie zu Zeiten des ersten Ainetter, der schon die Sonne gefüttert hat.
Ein Laib Brot, ein Krug Milch, es ist immer dieselbe Zehrung, die man ihr hinstellt auf den Tisch, davon sie essen und trinken wird bei ihrer kurzen Einkehr; es ist noch immer der grünliche, bauchige Tonkrug des ersten Ainetter, der die Sonnenuhr an die Hauswand sinniert hat, nicht einmal der Henkel ist abgebrochen.
Der jetzige Ainetter ist erst zu Lichtmeß aus dem Kriege heimgekehrt und hat ein hölzernes Bein und ein steinernes Herz mitgebracht.
„Wir haben in dem Jahr zu wenig Brot“, sagte er in den ersten Märztagen, „und es sind nicht die Zeiten für verschimmelte Bräuche.“
Die Ainetterin blickt ihn mit großen Augen stumm an, als so die kranke Welt aus ihm redet.
Es ist wahr, die letzte Gerste wird bald vermahlen sein, und sie essen wochenweise Erdäpfel statt Brot; die Sonne im vorigen Jahr war nicht umsonst wie eine weiße Topfenkugel. Am zwölften März aber bringt die Bäuerin den Brotlaib, sie drückt ihn an den Bauch und wischt mit der Blaudruckschürze die graue, schwarz durchsprengelte Asche von ihm ab; dann legt sie ihn auf den Tisch.
„Es ist an dem Brot genug“, meint der Ainetter finster, denn die eine Kuh ist im Herbst am Milchfieber eingegangen, er hat sie nicht mehr angetroffen; die andere hat sich an der früh aperen Wiese eine Kolik an den Leib gefressen, und er mußte sie selber schlagen; und die dritte hat noch das Kalb. Es ist also keine Milch beim Haus, und hie und da muß man sie vom Bödner in der Äußeren Rauth ausleihen. Wenn der Krug nur nicht so groß wäre!
Die Ainetterin geht aus der Stube und kommt mit dem vollen Krug, sie wischt mit der Schürze den Rand ab, daß jemand rein zu trinken hat, und stellt ihn neben den Brotlaib hin. Und jetzt kann die Sonne kommen, sie findet Speise und Trank vor.
Die Ainetterin schaut hinauf zu dem Berg, schon hat er auf der einen Seite, wo die Sonne aus ihm springen wird, einen silbernen Rand, sie weiß es von anderen Jahren her, daß es nun nicht mehr lange währen wird; gleich darauf ist der Rand dunkler und wird bald wie Kupfer sein.
Jetzt ist es nahe an dem heiligen Augenblick, und man darf die Sonne nicht versäumen, es wäre ein nie begangener Frevel, auf den göttlichen Gast nicht zu achten, der sich schon angekündigt hat und gleich durch das Fenster eintreten wird.
Und nun gilt es, die ganze Familie beisammen zu haben, sonntäglich gewandet sind die drei Knaben schon seit dem frühen Vormittag, aber noch schwärmen sie draußen herum.