Ein Laib Brot, ein Krug Milch. Josef F Perkonig

Ein Laib Brot, ein Krug Milch - Josef F Perkonig


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als er die Orgelpfeifen putzte, an einem Finger und starb qualvoll an der winzigen Wunde.

      Der Cüraß sah sich zuletzt rundum mit der Bäuerin allein. An einem trüben Oktobernachmittag, als der griesgrämige Wind den gelben Nußbaum vor dem Fenster zauste, schrieb der hergebetene Lehrer für ihn das Testament; zwei Nachbarn kamen als Zeugen, aber erst, als dem Bettlägerigen halb und halb einleuchtete, daß die Schrift ohne derartige Zeugenschaft ungültig sei.

      Wenn der Name Cüraß schließlich mit Mann und Weib ausgelöscht sein würde, sollte der Hof der Gemeinde gehören, Äcker, Wiesen und Wald sollten zur Nutznießung aufgeteilt werden.

      Seitdem die Nachbarn solchen Zuwachs erwarten durften, schlich manchmal am Abend ein scheuer Schatten am Fenster vorüber. Die Bauern erkundeten heimlich, wie ihre Aussichten standen, das reife Holz gedachte der eine bald zu schlagen, das Kleefeld paßte dem anderen, und ein dritter brauchte gerade noch eine Wiese; der Cüraß hatte einen gut gedüngten Boden, und in seinem Stall war noch nie die Klauenseuche gewesen.

      Aber die scheltende und rufende Stimme war an jedem Abend gleich stark. Die Lungensucht, die das Leben ausbläst, wie der Wind das Licht, nagte nicht an ihr. Und sonst? Das Bett zehrte und zehrte auch nicht. Den Kranewetter hatte mit sechzig Jahren der Schlag hingeworfen, er lag bis an die neunzig Jahre. Der Cüraß konnte vielleicht auch von solcher zähen Zucht sein. Und die lauernden Bauern gingen mürrisch vom Fenster oder vom Stall, in dem sie die Bäuerin laut zu den Tieren reden hörten.

      Nicht so aber gingen die Vagabunden vom Hofe, die Zigeuner, die Fechtbrüder, die Wandermusikanten; sie molken die Kühe, nahmen ein Huhn mit oder stahlen Honig; die verwegensten von ihnen brachen wohl auch in das hilflose Haus ein.

      Nicht so mied auch das Bauernunglück den Hof: Schweine gingen am Rotlauf ein; eine geblähte Kuh, die sich an Rüben überfressen hatte, mußte gestochen werden, die Wunde verschmutzte, und das Rind kam um; das Pferd verhungerte elend an der Maulsperre.

      Der geschlagene Bauer jammerte und fluchte auf seinen Zustand, auf die Nachbarn, die ihm nicht halfen, und auf Gott, der ihm alles geschickt hatte. Das Weib hörte kaum auf ihn, es grübelte nur stumpfsinnig in sich hinein.

      In der Dämmerung des Heiligen Abends schob die Bäuerin Glut aus dem Kachelofen auf eine alte blecherne Kehrichtschaufel und legte Weihrauch, Speik und ein Föhrenzweiglein dazu. Dicker grauer Rauch stieg auf und umqualmte ihren Kopf. In dem Flur mengte sich der wohlduftende Rauch mit der kalten Luft, in der auch der Hauch des Atems sichtbar wurde. Das wachsende Eis des Teiches tönte dumpf und melancholisch in das Haus herein.

      Die Bäuerin schritt langsam; von ihren Lippen tröpfelten die Gebete. Es fröstelte sie, als sie, das Gesicht rot von dem Widerschein der Holzglut, aus dem Stalle zurück zum Hause ging. Den Türriegel schob sie vor und stieg die Treppe hinauf. Oben in den kalten Stuben, wo es nach Äpfeln und gewaschener Leinwand roch und wo in dem steinalten Gebälk vornehmlich der Holzwurm bohrte, schlug der räuchernden Frau die Schwermut unbewohnter Zimmer entgegen.

      Der Mann, der unten im Dunkel lag, hörte die Frau mit vorsichtigen Schritten droben über den schadhaften Fußboden gehen, und er wußte wohl zu deuten, warum sie so achtsam ging; kein Bröcklein Glut durfte ihr entfallen, denn sonst kam Hungersnot ins Haus; fiel die Glut im Stalle auf den Boden, kam die Viehseuche, auf dem Dachboden bedeutete es Feuer, in der Stube gar den Tod.

      Und der Cüraß wünschte inbrünstig, daß die Bäuerin jetzt auf dem Räuchergang klaren Kopfes bleiben möge.

      Die kleinen Fenster in den dicken Mauern waren graue viereckige Augen, die den liegenden Mann anstarrten. Bald hörte er das Geräusch der Tritte über sich nicht mehr; das Weib war wohl auf den Dachboden gestiegen. Die hölzerne Decke krachte einige Male, die Luft war heiß wie in einer Backstube, wahrscheinlich hatte die Bäuerin wieder zuviel Holz in den Kachelofen gelegt. Der Cüraß zerrte die Tuchent mühsam von seinem Leibe fort, die Füße lagen wie zwei Bleiklumpen weitab von ihm, der Hals war ihm auf einmal ganz dünn geworden, er bekam zu wenig Luft.

      Der feierliche Rauch, der aus dem Flure durch die Türritzen drang, brachte einen lauen, süßlichen Duft bis zum Bett. Es war dem Bauer plötzlich unheimlich zumut, er wollte nach der Bäuerin rufen, unterließ es aber doch, denn er besann sich, daß sie auf ihrem Gange betete und er sie nicht mit seiner Stimme erschrecken dürfe. Da zog er die schwere Tuchent wieder an sich.

      Die Frau vertrat sich an den schadhaften Stufen, sie taumelte ein paar Augenblicke lang, und dabei fiel Glut über die Stiege in den Flur hinab. Die Bäuerin zuckte zusammen; wie betäubt von dem dicken Rauche war sie gegangen, nun, da sie unachtsam gewesen war, wachte sie erschreckt auf. Schmerzhaft wurde es ihr plötzlich bewußt: die verstreute Glut in dem Flur bedeutete Wandern.

      Mit den bloßen Fingern, so leise, daß es der Cüraß nicht hören konnte, hob die Bäuerin die glimmenden Stückchen wieder auf die Schaufel. Von dem großen Tische in der Vorhausecke, wo in der warmen Zeit der früheren glücklichen Jahre Bauer, Bäuerin, Sohn und Magd um die Schüssel gesessen waren, vor jedem Mahle Gott anmurmelnd, nahm sie aus einem zusammengedrehten Papier einige Körner Weihrauch; mit leisem Knistern antwortete die beschenkte Glut, dichter wurde der aufwallende Rauch.

      Das Weib drückte mit dem einen Ellenbogen die Klinke nieder und stieß mit dem Fuß die Türe der Stube auf, wo der Mann sein qualvolles Lager hatte, wo sie in den wenigen Viertelstunden, die wie schmale Späne von den vielen Stunden der Arbeit fielen, gewohnt hatten, als ihrer noch mehr beim Hause gewesen waren.

      Mit dem Rauche war Weihnachten in der Stube.

      Der Bauer bekreuzte sich und begann ein dumpfes Vaterunser zu beten. Aber bevor er noch um das tägliche Brot bat, stockte er; Zorn würgte ihn, denn die Bäuerin war in der Türe stehengeblieben und blickte starren Auges zum Tische hin. Wie sehr der Mann auch schrie, kein Laut schien ihr Ohr zu erreichen. Denn durch den weißen Rauch, der von ihrem Gesichte aufstieg, sah sie die vier unvermuteten Gäste um den Tisch sitzen. Sie bewegten sich nicht und schauten ihr stumm entgegen.

      „Von wo kommt das Gesindel am Heiligen Abend?“ verwunderte sie sich laut und rührte mit einem dünnen Ast in der Glut auf der Schaufel, daß der Qualm wieder hochdampfte.

      „Wer?“ fragte der Bauer.

      „Die beim Tisch sitzen“, erwiderte sie und reckte die Schaufel wie zur Abwehr tiefer in die Stube.

      „Rauch in die Winkel, Rauch übers Bett!“ forderte er.

      Das Weib aber ging hinaus und prüfte neugierig den Riegel am Haustor; er war noch immer vorgeschoben, wie sie ihn gelassen hatte.

      „Durch die Haustür sind sie nicht gekommen“, sagte die Bäuerin.

      „Wer?“

      „Die beim Tisch sitzen“, wiederholte sie.

      „Beim Tisch sitzt niemand“, zürnte er.

      Ein lautloses Lachen verzog ihr Gesicht, das der weiße Dampf gespenstisch beschien. Sie hörte nicht auf den Mann, sie sah nicht zu dem Bette hin. Mit langsamen Schritten, die Kehrichtschaufel, die jetzt eine Räucherpfanne war, wie zum Schutze vor sich hinhaltend, ging sie auf den Tisch zu und fragte die stummen Vier:

      „Hat euch der Bauer aufgemacht?“

      Keine von den Gestalten, die das Weib durch die Dämmerung des Rauches nicht erkannte, gab eine Antwort.

      Der Bauer schalt und drohte, doch seine laute Stimme verrieselte allmählich in ein Gemurmel. Er saß aufrecht und zog die Tuchent fröstelnd bis an den Hals. Wie war es auf einmal in der heißen Stube kalt geworden; von dem Tisch ging ein Wehen aus wie von Eis. Hatte nicht die Bäuerin den Frost in den Kleidern vom Dachboden und aus dem Freien mitgebracht? Angst schüttelte ihn, denn das Weib redete mit jemandem, und es war außer ihnen doch niemand im Hause.

      Wieder wurde ihm der Hals eng, und die trockene Zunge schwoll im Munde an.

      Die Glut zerfiel, und die Gestalten wurden Schatten. Da holte die Frau den gerippten Wachsstock, der auf einem Brett vor der Türe stand, gerade über dem B des Dreikönigszeichens C + M + B, zündete ihn an, hielt die hohle Hand um die Flamme, daß


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