Ein Laib Brot, ein Krug Milch. Josef F Perkonig
die Luft ein, gegen Mittag nimmt das Asthma zu, wie alles mit dem Tage aufsteigt, das Wasser im Leib, der Brand in der Wunde; er ist blau im Gesicht und netzt die Lippen mit der Zunge. Die Ainetterin weiß, er möchte einen Schluck Milch.
Zwei Buben hat sie schnell herinnen. Stephan, der Älteste, tritt hin zum Tisch und verlangt von dem seltenen Brot, gerade die vergangene Woche haben sie es alle wieder nicht gehabt. Da besinnt er sich, für wen der Brotlaib gerichtet ist, erschrickt ein wenig und berührt ihn nur mit dem Zeigefinger behutsam; den Finger aber leckt er ab.
„Die verdammte Sonne“, neidet er; für einen vierzehnjährigen Knaben ist es schon ein furchtbarer Fluch.
Der Ainetterin stockt der zornige Verweis im Munde, denn der Mann ist eingetreten, und sie möchte ihn nicht zum Helfer für Stephan machen. Er hat kein Sonntagsgewand an, das Holzbein ist hoch hinauf schmutzig vom Stallmist, als hätte er mit ihm absichtlich darin herumgerührt, aber er ist noch zur rechten Zeit gekommen. Wohl tut er, als suche er etwas in der Stube, aber sie weiß, daß er nichts finden will.
Gleich hinter ihm schreitet Franz, der Mittlere, durch den Hausflur herein. Was für eine Trompete so eine fünfjährige Stimme schon sein kann! Er stößt die Tür mit dem Fuß auf und reckt eine blutige Hand vor sich her. Rührt das von einem Messer, einer Glasscherbe, einem Draht, die Mutter kann es jetzt nicht erfragen, sie kann auch nicht die Leinwand aus der Truhe droben holen und einen Fleck davon abschneiden, die Hand soll bluten, die Hand muß bluten, jetzt, da die Sonne in jedem Augenblick aus dem Berge springen kann.
Florian, der Jüngste, mag schon mit drei Jahren kein Blut sehen; es würgt ihn zuerst ein paarmal, dann tritt er von einem Fuß auf den anderen und fängt an zu weinen. Die Ainetterin weiß, was es zu bedeuten hat, aber sie kann den zappelnden Florian jetzt nicht zum hohen Schierling hinausführen, wo er eigensinnig immer zu hocken wünscht, und sie läßt das kleine große Unglück geschehen.
Haben sich vier Mannsleute, zwei laute und zwei stille, gegen sie verschworen, die von dem Hausgeist in ihrer Treue bestärkt worden ist, warum sollte es nicht auch das fünfte Mannsbild tun? Sie wirft einen Blick auf den Großvater, er ist violett im Gesicht, zwischen den Lippen stehen ein paar kleine Blasen, er reckt den Kopf hoch aus dem Hals; und wenn er jetzt in den letzten Zügen läge, sie könnte nichts anderes tun, als ihm zu heißen, mit dem Sterben zu warten.
Zuerst muß die Sonne zu Besuch gewesen sein … jetzt … jetzt blitzt ein Strahl über den Tisch … und noch einer … noch einer … wie drei lange, leuchtende Messerklingen, sie schneiden den Brotlaib an, sie tauchen in die Milch. Und dann fällt die ganze Sonne über die Gaben her; oh, hat die hungrige Sonne eine Gier, sie hat nur ein paar Augenblicke Zeit, sich zu sättigen, es ist ein wildes Gerausch von dem Licht in der Stube, sie hören es alle, bis zu dem Büblein mit der Rotzglocke unter der Nase hinab, und einen Sonnensprung lang setzt ihr Leben aus.
Auf einmal ist es kirchenstill in der Stube, ein dünner Strahl greift noch an den Tischrand, es ist ein blinder Strahl, er findet nicht mehr zu Brotlaib und Milchkrug hin. Der andere Bergrand oben ist noch Kupfer, bald wird er Silber sein und zuletzt nur noch ein eisgrauer Fels.
Und nun wird Blut wieder Blut und Ungemach wieder Ungemach, ein finsterer Mann geht aus der Stube, als müßte er anderswo im Haus suchen, was ihm hier nicht unter die Augen gekommen ist. Der Großvater sinkt in sich zusammen, die Brust hat wieder Luft, und Stephan möchte von dem Brotlaib mit den Fingern ein Stück schwarzbraune Rinde abbrechen.
„Es ist steinhart“, sagt die Ainetterin ruhig, als höre sie das Zetern und Winseln der jüngeren Knaben nicht, „seit Heiligen-dreikönig aufgespart.“
Sie trägt den Brotlaib wie eine riesige dunkle Hostie vor sich zum Herd und legt ihn in das Feuer; er beginnt bläulich zu brennen und bald schlagen an manchen Stellen winzige gelbe Flämmchen aus ihm.
„Wir müssen es der Sonne nachschicken“, sagt sie geheimnisvoll, und alle drei Knaben schweigen plötzlich am Herde, bis der Brotlaib dunkelrot glüht wie ein Holzscheit.
Aber sie fangen wieder an zu jammern, zu schreien, zu winseln, als die Ainetterin den Krug holt. Sie sieht wohl, wie sich der alte Ainetter die blauen Lippen leckt und der Milch nachstarrt.
„Die Sonne ist durstig“, sagt sie draußen im Flur zu den drei wieder verstummenden Knaben, die sie begleiten, „wir dürfen sie nicht verkürzen.“
Und sie vergessen Hunger, Schmerz und Unbehagen, während die Mutter die Milch dahin gießt, wo sie am Zaun in sieben Wochen die Sonnenblumen pflanzen wird. Der Ainetter schaut ihr vom Stall aus zu und wendet sich finster ab.
Die Ainetterin lächelt ein wenig, soweit ihr ernstes Gesicht überhaupt lächeln kann. Fünf merkwürdige Mächte haben ihr in diesem Jahr etwas verwehren wollen, was nicht aufhören darf. Und die Sonne hat doch ihren Laib Brot, hat doch ihren Krug Milch!
Der Heilige Abend
Der Bauer Cüraß lag gelähmt im hochgetürmten Bette; der bunte Kattun blähte sich über seinem ohnmächtigen Leibe. Die Krankheit hatte vor fünf Jahren begonnen, als er in einem Frühherbst, getrieben von der Sorge des Bauers, der viel Vieh besitzt, auch das sauere Gras mähte und dabei nach einem Regen, der durch fünf Tage die Gewässer auskühlte und im Gebirge schon zu Schnee wurde, einige Stunden lang bis hoch über die Knöchel im kalten Wiesensumpf stand. Zuerst rieselte es ameisenhaft in den Zehen, dann entschwand ihnen das Gefühl, später stieg die Lähmung in den Beinen immer höher und höher; der Gang wurde unsicher und tölpisch, und eines Tages konnte der Bauer Cüraß überhaupt nicht mehr gehen.
Er wollte es zunächst, auf den Tod erschreckt, selbst nicht glauben, aber jeder Versuch, der sich gegen die furchtbare Erkenntnis aufbäumte, endete damit, daß der unbeholfene Leib hinfiel wie ein Stück lebloses Holz. Als es dann so weit war, daß der Cüraß sein grausames Unglück vor sich selber nicht mehr verleugnen konnte, weigerte er sich, das Bett zu verlassen. Bei dem regungslosen Liegen oder Hocken blieb ihm stets noch die Hoffnung, er sei in den vielen Wochen, die er so verbrachte, allmählich gesünder geworden, ihm selber unbewußt, und er könne nun gehen, wenn er nur wieder wolle.
Der einzige Sohn war an der Auszehrung* gestorben; wenn die Kuckucke schreien und der Jauk** aus dem Süden daherweht, endet oft diese Krankheit der dumpfen Stuben und der müden Geschlechter. Die einzige Magd wanderte zu Michaeli fort, sie wollte nicht bei einer unheimlichen Bäuerin bleiben, die irr sprach und irr tat.
Die Nachbarn, denen die eigenen Sorgen genug Mühe machten, merkten zwar nichts von der hintersinnigen Art der Frau, doch die Magd hatte oft beteuert, die Bäuerin rede manchmal zu sich selber, gehe wie verloren herum und habe ihr einmal unter greulichem Lachen befohlen, die Hacke in den Holzblock zu schlagen und den Stiel zu melken.
Das Korn war schon überreif und halb ausgefallen, als es spät von der Magd mühsam mit der Sichel geschnitten wurde; der Buchweizen wurde auf dem Acker des Cüraß in diesem Jahr nicht gesät, die Kürbisse faulten draußen im Türkenstroh*, soweit man sie nicht gestohlen hatte, die Rüben holte überhaupt niemand, sie froren unter dem Schnee ein.
Beinahe an jedem Abend schrie der Bauer im Bett mit heiserem Zorn nach der Bäuerin, wenn das hungrige Vieh plärrte, dem sie wieder das Futter zu geben vergessen hatte. Denn mit der Dämmerung bekam etwas Seltsames Gewalt über sie; am Morgen und zu Mittag erhielten die Tiere, was ihnen gebührte, da blieben sie auch ruhig.
Mit den beiden Leuten sollte die Sippe der Cüraß aussterben. Er lag mit seinen wenigen Verwandten in trotzigem Zerwürfnis; über der Familie des Weibes aber hing unseliges Geschick. An Menschen verkam alles auf unnatürliche Weise: ein Bruder war bei einer grausigen Wirtshausrauferei, von der noch jahrelang später die weite Gegend redete, erstochen worden; der zweite ertrank im Rausch in einem ganz seichten Bache; die Schwester geriet in der Stadt auf Abwege, begann als Dienstmädchen, wurde verdorben und verscholl;