Ein Laib Brot, ein Krug Milch. Josef F Perkonig

Ein Laib Brot, ein Krug Milch - Josef F Perkonig


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Stube; nicht auf den Schultern, denn die Türe war zu niedrig.

      Über die Stiege hinauf mußten sie langsam und vorsichtig gehen. Es war auch nicht leicht, mit dem langen Sarg um die Ecken zu biegen, sie mußten ihn mehrmals halb aufstellen und so weitertragen. Auf dem Dachboden legten sie ihn behutsam auf den Estrich hin.

      Hier unter den Schindeln, zwiefach erstarrt in Tod und Kälte, sollte der Tote warten, bis der Weg in den Friedhof hinab gangbar geworden war.

      So blieb der Ahn auch nach seinem Tode noch unter einem Dache mit den Hausleuten; zum Abschied auf immer war ihm noch eine Gnadenfrist gegeben.

      Zehn Tage später war Weihnachten. Am Heiligen Abend hielten sich die Leute vom frühen Nachmittag an in der Stube auf.

      Es hatte zu schneien aufgehört, und eine kalte Sonne lag auf dem Schnee; die Stube war übermäßig hell davon.

      Nur langsam kam die Dämmerung; des Feierns ungewohnt, schien es den Menschen am Hofe, die Zeit wäre stehengeblieben.

      Die Bäuerin hatte alle Dinge für die Räucherung bereitgestellt. Als es dunkel wurde, legte sie Herdglut auf die zwei Kehrichtschaufeln und warf ein paar Harzbrocken hinein.

      Einer der Hausleute räucherte in die Räume, der andere hinter ihm sprengte das Weihwasser mit einer dünnen kornlosen Ähre aus der Kaffeeschale. Die Tochter und der Knecht sollten es im Stall und auf der Tenne tun. Der Sohn und die Magd im Hause, also immer einer der Familie mit einem der Dienstboten.

      Als sie aus dem dämmrigen Zimmer, in dem der leuchtende Schnee auch noch am Abend einen sanften Schimmer zurückließ, in den Flur traten und sich hier trennten, setzten sich der Bauer und die Bäuerin zum Tisch und beteten.

      Die jungen Leute aber stießen die Türen auf; sie räucherten und sprengten den Segen für das künftige Jahr überallhin.

      Der Sohn und die Magd stiegen auch auf den Dachboden hinauf, wo der tote Großvater lag. Im trüben Schein der Glut sahen sie die unheimlich große Truhe, und da fuhr ein Gedanke wie ein Pfeil durch sie beide. An diesem Orte würde sie niemand stören, denn solange der Ahn auf dem Dachboden ruhte, führte hierher kein Weg zu irgendeiner Arbeit.

      Schon am nächsten Tag schlichen sie nacheinander die Stiege empor, zuerst der Sohn, dann die Magd. Das Dach war dort, wo der Sarg hingestellt worden war, ganz nahe, und der Mann stieß mit dem Kopf an die Schindeln. Die zwei jungen Menschen sahen sich in dem Halbdämmern zunächst ratlos an, dann zog der Sohn die Magd neben sich nieder auf die Totentruhe.

      So saßen sie über dem toten Großvater und redeten vom Leben. Sie glaubten sich rein von Schuld, denn der Alte hatte ihnen ja freundlich zugenickt, ehe er starb.

      Eines Tages erschraken sie wohl sehr, doch das seltsame Geräusch dort in der tiefdunkeln Ecke war entstanden, weil der Nußhaufen plötzlich auseinanderrieselte.

      Mitten im Jänner fiel ein ungewöhnliches Tauwetter ein, der Jauk, der warme Wind, fraß den Schnee.

      Eines Tages war es dann soweit, daß die Bauern von den einschichtigen Höfen einen schmalen Steig in das Tal hinab auspflügen konnten. Sie vollbrachten es gemeinsam, und unten bei dem Wegkreuz, wo ein anderer, schon betretener Weg vorüberführte, atmeten sie erleichtert auf; jetzt hatten sie wieder ihren Auslauf in die Welt hinaus. In der Sternennacht stiegen sie wie erlöst wieder zu ihren Huben hinauf.

      Nun war auch der Tag gekommen, an dem sie den toten Großvater in die Erde legen konnten. Sohn und Knecht holten den Sarg vom Dachboden und hoben ihn auf den Schlitten in das Stroh. Dann banden sie ihn mit Stricken fest, damit er auf dem abschüssigen Wege nicht nach vorwärts ins Gleiten käme, und so brachten sie ihn zum Wegkreuz, wo der bestellte Pfarrer wartete und den Toten einsegnete. Sie hatten dann immer noch einige Stunden zu gehen, bis sie zum Friedhof hinab kamen.

      Als die Hausleute am Abend dieses Tages um den Tisch beisammensaßen, war es ihnen, als seien sie nicht mehr vollzählig, als habe sie jemand verlassen.

      Am Tage nach dem Begräbnis erwartete der Sohn die Magd wieder auf dem Dachboden, aber er war ihnen auf einmal fremd und unheimlich geworden. Plötzlich hörten sie Schritte auf der Stiege. Sie drängten sich dicht in den finstersten Winkel zwischen Hausmauer und Dach.

      Der Bauer kam, um nach dem Nußhaufen zu sehen; die zwei Versteckten vernahmen, wie er die Nüsse aus dem kleinen Hügel schöpfte und sie dann wieder niederfallen ließ. Zwei Tage später zur nämlichen Stunde kam die Bäuerin und spannte einige Stricke im Dachgestühl, um die Wäsche aufzuhängen. Sohn und Magd mußten in ihrem engen Versteck lange lautlos verharren.

      Es war den beiden plötzlich gewiß, daß nun einmal der Knecht kommen würde, um irgend etwas zu tun, und ein anderes Mal die Tochter, um nach der Wäsche zu sehen. Sohn und Magd wagten es nicht mehr, sich auch von diesen stören zu lassen; sie verrichteten schweigend nebeneinander die Arbeit. Nur einmal am Brunnen, als sie die Wäsche auswand und er das Pferd tränkte, sagte die Magd:

      „Es ist nur schad, daß der Vater der Bäuerin schon im vorigen Jahr gestorben ist. Es wird wieder schneien.“

       Webstuhl der Väter

      John Leeds kam eines Tages aus Amerika in das Dorf tief in den Bergen, von wo sein Urgroßvater ausgewandert war, ein Weber, der in seinem Hause einen Webstuhl stehen hatte und ihn schweren Herzens verlassen hatte. Ein riesiges, seltsames Möbel, das jetzt in seinen ungeölten Scharnieren knarrte und knackte, denn hundert Jahre lang oder vielleicht noch länger war kein Mensch auf der Bank davor gesessen. John Leeds hob den Rahmen mit einem beiläufigen Handgriff, er vollbrachte es so, als geschähe es in tiefen Gedanken, nicht anders als die Berührung des grünen Kachelofens, der sich kühl und fremd anfühlte. Aber man mußte sich mit den Gegenständen vertraut machen, wenn man als Urenkel, Enkel und Sohn heimkehrte zu dem Webstuhl, an dem der uralte John Leeds gesessen war und den Loden gewebt hatte, wie seine Urahnen schon, wenn sie nicht gerade den Pflug geführt, das Heu gewendet oder den Roggen geschnitten hatten. Von diesem Webstuhl also und von diesem Kachelofen war der Urgroßvater ausgewandert, aber er hatte davon immer seinem Sohne erzählt, und dieser wieder seinem Sohn, bis es auf ihn kam, den letzten John Leeds, der seinem Blute nach eigentlich Johann Loder hieß, so war es wenigstens in dem Taufbuch von dem ersten Weber verzeichnet, und vielleicht waren die großen grünen Augen des Kachelofens nur deshalb so feindlich auf ihn gerichtet, weil er sich selber so fremd gemacht hatte.

      Aber John Leeds sah die grünen Halbkugeln des Kachelofens, die ihn wie Basiliskenaugen anstarrten, nicht, nur einen einzigen flüchtigen Blick hatte er zu dem seltsamen Ofen hingeworfen, in Amerika gab es bessere und praktischere Öfen, nicht so unförmige, fast unheimliche Hügel, und wenn er auch gespürt hätte, daß dieser Steinhaufen dort in der Ecke nicht nur ein Ofen sei, den Blick der runden grünen Augen hätte er, ein so sehr verspäteter Enkel der alten Weberfamilie Loder, der sich jetzt obendrein Leeds nannte, doch nicht mehr verstanden. Aber er schaute nicht hin, er sah nur den alten merkwürdigen Webstuhl, das graue, von zwei Jahrhunderten gebleichte Holz, es hatte winzige, kreisrunde Löcher. John Leeds wußte nicht, daß sie von den Holzwürmern herrührten, wie sollte es ein Amerikaner wissen, der wohl Beton, Stahl und Glas kannte, das Holz aber gewöhnlich nur als gemasertes, gebeiztes, poliertes Furnier. Die großen Weberschiffchen lagen noch links und rechts in den Rinnen, schlafend wie unbekleidete Puppen. Das ganze Gestell zitterte, wenn man nur fest auf den Boden trat.

      War es denn möglich, daß auf diesem Webstuhl jemals ein Mensch gewebt haben sollte, jenes unzerreißbare Zeug, das man hier auch heute noch Loden nannte, genauso wie zu Großvaters Zeiten? Man bewahrte daheim mit einigen anderen Dingen auch so einen Fetzen Loden auf. An diesem Webstuhl sollte er gewebt worden sein? Es war so unwahrscheinlich wie die ganze Geschichte der Herkunft der Familie.

      Aus diesem niedrigen Hause, das noch immer mit Holz gedeckt war, mit schmalen, dünnen Brettchen, sollten die Leeds gekommen sein? Auf diesen kleinen Feldern, die man mit einigen hundert Schritten umwandern konnte, sollten sie ihr Getreide geernten haben? War es denn möglich, daß so ein elendes Bauernhaus die Wiege eines großen amerikanischen Hauses: John Leeds und Söhne, Leinen, Tuch und Seide, war?


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