Ein Laib Brot, ein Krug Milch. Josef F Perkonig

Ein Laib Brot, ein Krug Milch - Josef F Perkonig


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      „Wer bist denn du?“ fragte die Bäuerin das Wesen zu ihrer rechten Hand, das schön und freundlich aussah.

      „Ich bin das Salkweib und wohne in eurem Wald. Heuer lagen viele Ähren auf eurem Feld, ich werde nicht hungern.“

      „Und wer bist dann du?“ fragte die Bäuerin das ungefüge Weib in zerrissenen Kleidern mit zerzaustem Haar.

      „Kennst du die Pechtra nicht?“ grollte es.

      Jetzt hörte die Cüraßin die Kuhglocke auf dem Rücken des Weibes und sah die Ofengabel an der Wand lehnen.

      „Ich fürchte mich nicht vor dem Herrgottswinkel“, kicherte unter dem Kruzifix ein dicker pustender Mann mit nassen Haaren, „Christus ist über das Meer gegangen, und Petrus hat darin gefischt.“

      Da wußte die Bäuerin, daß es der Wassermann war.

      „Bist du aus dem Teich gekommen?“ fragte sie ihn.

      Da er nickte, staunte sie, denn der Teich war ganz zugefroren. Sie nahm sich vor, am frühesten Morgen, wenn noch niemand sie überraschen konnte, nachzusehen, wo sich der Wassermann das Loch im Eise aufgebrochen hatte.

      „Ich bin die Trud“, sagte zur linken Hand die Frau mit den grauenhaft langen Fingern; ihre tiefe Stimme war ernst wie die Nacht. Die Cüraßin drehte sich erschreckt zu ihr hin. Zwei große, dunkle Augen brannten ihr aus einem gelben, faltigen Gesicht entgegen.

      „Warum räucherst du im Haus?“ fragte traurig das Salkweib.

      Schon wollte die Bäuerin antworten: „Damit die bösen Geister draußen bleiben“, aber sie besann sich, daß sie ja trotzdem eben solchen Besuch empfangen hatte. So half also der Rauch nicht gegen die Geister, und auch nicht das uralte Zeichen von Kaspar, Melchior, Balthasar an der Türe. Und sie lachte darüber vor sich hin.

      „Wir sind müde“, sagte die Pechtra.

      „Die Menschen hetzen uns“, klagte leise das Salkweib.

      „Ich bin noch immer stärker als sie“, höhnte die Trud.

      „Du drückst sie im Schlaf“, spottete der Wassermann; die Trud sah ihn böse an, aber die Cüraßin mahnte:

      „Streitet nicht, es ist Heiliger Abend.“

      Da lachten alle vier durcheinander, weil die Bäuerin nicht bedachte, daß sie ja Geister waren, schon tausende Jahre vor dem auf der Welt, der sie verbannt hatte. Und der Heilige Abend war für sie ein Abend wie jeder andere.

      „Lachet nicht“, sagte die Bäuerin mild, wie man Verirrte bekehrt, „in dieser Nacht leuchtete der Stern den Hirten und den Königen, und sie beteten ein Kind an.“

      Da schwiegen die vier fremden Gäste und wurden sehr traurig.

      Aber auf einmal kicherte der Wassermann wieder. Er zeigte drohend zu dem Gelähmten hin, der mit weit aufgerissenen Augen die Bäuerin anstarrte.

      „Das ist dein Mann“, sagte der mit den nassen Haaren.

      „Das ist mein Mann“, wiederholte die Bäuerin und nickte.

      Der Wassermann bekam plötzlich böse Augen; er erhob sich hinter dem Tische und schimpfte:

      „Er hat einen toten, stinkenden Hund in meinen Teich geworfen.“

      Die Trud reckte sich und sagte:

      „Er hat jedes Jahr das Trudenkreuz auf die Tür gezeichnet.“

      Die Pechtra erinnerte sich:

      „Er war geizig und hat mir in meiner Nacht auf Dreikönig nie eine Milch hingestellt.“

      Die Kuhglocke auf ihrem Rücken läutete leise.

      Das Salkweib aber sagte vor sich hin:

      „Er hat mir auf seinen Feldern immer Korn zurückgelassen.“

      „Weil er keine Leute zum Ährenklauben hatte“, mißgönnte ihr der Wassermann die Güte.

      Die Cüraßin aber ging eilig zum Bette hin, drehte dem Manne den Rücken zu und breitete ihre Arme aus, als müßte sie es den dreien, die ihn eines Frevels geziehen hatten, verwehren, daß sie näher zum Lager traten.

      „Laßt ihn, er ist geschlagen genug, er liegt drei Jahre lahm“, sagte sie mitleidig, fast weinerlich.

      Und da der Wassermann wieder boshaft meckerte, schalt ihn die Bäuerin:

      „Schäm dich, dein verfluchtes Wasser ist schuld daran.“

      „So, ist es schuld?“ freute er sich.

      Der Bauer, jetzt knapp hinter dem Weibe, wollte in seinem Entsetzen reden, doch es kam nur ein heiseres Lallen aus seiner engen Kehle; er vermochte auch nicht die Hand zu rühren, um die Frau anzufassen.

      Die Cüraßin ging wieder zum Tisch zurück. Die Schaufel, von der immer noch ein dünner Schleier aufstieg, stellte sie auf ein Fensterbrett; auch streifte sie vom Wachsstock eine neue Windung ab, bog sie gerade und richtete sie steil auf.

      Dann gedachte sie plötzlich des Gastrechtes und verließ eilig die Stube; hinter ihr blieb das Grauen des Mannes zurück. Sie hörte nicht seine Rufe, die bald ein Winseln wurden und zuletzt erstarben. Sie holte aus der Speisekammer eine Schüssel voll Milch und einen Laib Brot; ihr Fuß stieß im Dunkeln an eine klirrende Mausfalle.

      Als aber die Bäuerin Milch und Brot auf den Tisch stellte, sagte die Trud:

      „Wir essen nicht.“

      Die Pechtra warf einen gierigen Blick auf die Milch, das Salkweib einen traurigen auf das Brot, aber sie standen alle auf; die Pechtra nahm die Ofengabel, ihre Glocke schepperte bei jeder Bewegung. Der Wassermann nickte vertraulich zum Christus am Kreuz hinauf.

      Jetzt erst sah die Bäuerin, wie riesig die Pechtra und wie klein die Trud war.

      Die Cüraßin nahm von einem Fensterbrett die Laterne, die rostigen Angeln des kleinen Türleins knarrten, der Kerzendocht empfing die Flamme nur widerwillig. Die Cüraßin schob den Riegel am Haustor zurück und leuchtete in die kalte Nacht hinaus, gleich kam der Frost in den Flur herein.

      Die vier Schatten sprachen nun nichts mehr, stumm gingen sie an der Bäuerin vorüber, und ihr wurde deshalb das Herz seltsam schwer.

      Auf einmal war nur die Nacht und der viereckige Laternenschein vor der Tür; die Kuhglocke klang noch von ferne, und der Teich, auf dem das Eis wuchs, heulte leise.

      Das Weib vergaß, die Türe zu schließen.

      Am Christmorgen plärrte das Vieh des Cüraß erbärmlich. Die Nachbarn, deren frühwache Ohren es bald vernahmen, gingen verwundert durch die offene Haustür. Sie fanden den Cüraß tot, mit weit aufgerissenen, gebrochenen Augen, aufrecht im Bett sitzend, gegen die Cüraßin gewendet, die am Tische saß, den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt, als sei sie nur ein wenig eingenickt.

      Als ein Nachbar sie durch eine Berührung aufscheuchte, klagte sie:

      „Hab ich sie verjagt? Warum haben sie nicht mehr geredet?“

      „Wer?“ fragten die Nachbarn, Männer und Weiber, durcheinander.

      „Das Salkweib, die Pechtra, der Wassermann, die Trud.“

      Diese Antwort vertrieb sie vom Hofe, man brachte sie in ein Irrenhaus. Der Cüraß wurde verscharrt; Haus, Stall, Scheuer, Äcker, Wiesen, Wälder zerfielen an die lauernde Gemeinde.

       Das Liebespaar


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