Ein Laib Brot, ein Krug Milch. Josef F Perkonig
Stube, in der die abgestandene Luft einen sonderbar bedrückenden Geruch hatte und wo er sich wie in einem Käfig wähnte, weil die Fenster geschlossen waren. Und alles Verwundern über diese merkwürdige Umgebung, über die ungewöhnliche Heimkehr, Zweifel und Freude, sie wurden zu einer ungewohnten Rührung, und diese Rührung ließ plötzlich einen sonderbaren Wunsch entstehen.
Man hatte diesen alten Webstuhl ja von Bildern her gekannt, man hatte ihn als junger Mensch in der Fachschule sogar gezeichnet. Und auch dieses besondere Stück, das hier in der Ecke stand, vom Boden bis zur niederen Decke hinaufreichte und ein Greis war – ein Menschengreis war ein Jüngling dagegen –, kannte man von Erzählungen her. Aber es war doch etwas anderes, davon zu hören oder es mit eigenen Augen zu sehen. Hier hatte die Familiengeschichte greifbare Gestalt angenommen, ihm also war es vergönnt, an dem leibhaftigen Werkzeug zu stehen, an dem so viele Erinnerungen und – wie er mit Bestimmtheit wußte – manches Heimweh haftete. Nicht sein Heimweh, nein, der letzte John Leeds, der er war, dachte nur an Leinen, Tuch und Seide, doch aus irgendeinem Tropfen Blut kam die Sehnsucht der Vorfahren, die in ihm freilich nur mehr zu einem plötzlich erwachenden, ihn selbst verwundernden Wunsche reichte.
Die jetzigen Besitzer des Bauernhauses mochten jedenfalls arme Leute sein, man merkte es schon im Flure, man las es von dem Gesichte des Mädchens, das den Fremden in die Stube geleitet hatte. Seit Menschenaltern hatte niemand mehr den Webstuhl benützt. Er war ein überflüssiges Stück, das wahrscheinlich nur der Trägheit des Herzens diesen Platz im Winkel verdankte; die Leute wollten vermutlich das Gesicht des Hauses, in das sie hineingeboren waren, nicht gewaltsam verändern. Vielleicht waren sie dankbar, wenn man sie davon befreite, wenn man ihnen half, einem heimlichen Gedanken wirkliches Leben zu geben. Und mit seinem englisch gefärbten Deutsch, in dem nichts mehr von dem Winde war, der draußen die Halme des Kornes bewegte, nichts mehr von dem behutsamen Gesange des Laubes in der Linde, deren Duft schon der erste des Geschlechtes gerochen hatte, sagte er:
„Ich möchte kaufen den Webstuhl.“
„Wir verkaufen ihn nicht“, sagte die Frau einfach; das Feuer beleuchtete ihr Gesicht, es schien in heiliger Wildheit zu glühen.
„Weiber“, dachte sich John Leeds, „überall gleich, ob Amerika, ob Europa.“
Und er ging vor das Haus, legte den Schatten der Hand über die Augen und schaute durch den Wind auf die Felder. Der Bauer stand draußen im Maisacker und häufelte die Erde.
„Ich werde kaufen den Webstuhl“, sagte er ihm über die Entfernung von einigen Schritten hin. Nicht mehr „Ich möchte!“ oder „Ich will!“, jetzt schon „Ich werde!“
Der Bauer, später Urenkel auch so alter Familie, wischte mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirne und Schläfen und sagte:
„Er ist nicht zu haben, Herr.“
Seine Stimme war grau und fest wie die Erde, in der er mit bloßen Füßen stand.
„Ich will ihn nicht haben umsonst, ich will ihn bezahlen.“
„Ich brauche kein Geld.“
John Leeds sah sich hochmütig um, mit einem einzigen Blick umfaßte er den spärlichen Besitz des Mannes, Hof und Boden und die paar Kühe auf einer ausgedörrten Weide. Der Bauer bückte sich schweigend wieder zu seiner Arbeit hinab; er wollte die lässige Bewegung der fremden Hand nicht bis zu Ende sehen.
„Sie weben nicht auf dem Stuhl?“ fragte der Amerikaner.
„Ich bin ein Bauer. Kein Weber.“
„Was wollen Sie mit dem alten Stuhl?“
„Er soll stehen, wo er steht.“
„Er nimmt nur Platz. Sie können dorthin stellen einen großen Tisch.“
„Meine Familie ist klein, ich brauche keinen großen Tisch.“
John Leeds spürte deutlich, wie der Mut des Mannes müde geworden war, auf die Dauer konnte er den altväterischen Webstuhl nicht verteidigen. Weil dieser John Leeds, der sich auf Menschen zu verstehen glaubte, einem stummen Papier, war es nur richtig bedruckt, mehr Macht zutraute als einem lauten Handel, hielt er dem Bauer eine Banknote dicht vor die Augen. Als wäre sie aber durchsichtig und behindere nicht den Blick auf das Werkzeug, hieb der Bauer weiter in die Erde. So etwas war John Leeds noch nicht widerfahren; gut, auch andere Leute hatten Geld verachtet, doch sie sahen es wenigstens an. Du willst also einen Wettlauf, Bauer? Gut, laufen wir!
„Wissen Sie, wieviel wert ist der Webstuhl?“
„Ich weiß nichts.“
„Was wollen Sie dann?“
„Meine Wiege ist neben dem Webstuhl gestanden, Herr … und auch die Wiege meines Vaters … und …“
Das ist eine hohe Hürde, John Leeds, die mußt du mit einem gewaltigen Sprung nehmen. Er gab noch zwei Banknoten zu der einen. Der Bauer streckte den Rücken und rückte die Faust in das Kreuz, als könnte er sich dadurch rascher und leichter aufrichten. Er hatte die Augen abgewendet und schaute noch immer nicht auf das Geld.
„Er gehört zum Haus, Herr … Es ist hier so Brauch … wenn ein Knecht oder eine Magd alt wird … sie bleiben beim Haus…“
Du redest zuviel, Bauer, dir wird bei dem Wettlauf der Atem ausgehen. Und John Leeds legte noch ein Blättchen des verfluchten bräunlichen Papiers zu den übrigen; es sind jetzt ihrer vier, und er hält sie gefächert wie ein Spiel Karten. Alles kommt vom Teufel, was wie ein Fächer in der Hand ausgebreitet ist. Wie soll so ein hagerer, barhäuptiger Mensch, der mit nackten Füßen in der Furche steht, der seine paar armseligen Groschen am hellichten Tage mit der Laterne suchen muß, einmal bei einigen Kannen Milch, ein anderes Mal bei einem Korb voll Obst, einigen Brotlaiben, ein drittes Mal bei Hühnern, Honig oder einem Kalb, wie soll so ein Kleinhäusler den gleisnerischen Schein, der von einem Häuflein Reichtum ausgeht, von den Augen abwehren? Man könnte mit dem Geld neue Schindeln auf Haus und Scheune legen, man könnte die Bienenhütte bauen. Der Himmel wird es schließlich verzeihen, daß er mit der einen Hand nach dem Gelde greift, weil er doch mit der andern eine Träne von der Wimper wischt.
So kam John Leeds mit sanfter Gewalt in den Besitz des Webstuhls der Väter. Ja, Bauer, du warst zu langsam in diesem Wettlauf, das Geld war schneller. Jetzt führe den neuen Herrn in die Stube, er will sich seines Sieges über die drei Hausleute freuen.
Was zuerst nur Laune war, wurde nun beflissener Ernst; John Leeds betrachtete jetzt mit anderen Augen das graue Ungetüm, das die Decke berührte, das die dämmernde Ecke ausfüllte.
Von hier mußt du fortwandern, dachte sich der Urenkel jenes Webers, der zuerst auf der schmalen Bank gesessen war. Er wollte den Webstuhl im Triumph heimbringen, niemand drüben über dem Wasser konnte sich solcher merkwürdigen, kostbaren Beute rühmen. Gab es nicht Anlaß zu einem Fest mit großer Anrede, die nachher alle Zeitungen abdruckten: Sehet, vor diesem Möbel haben die John Leeds, Leinen Tuch und Seide, angefangen! Er sah nicht, daß der Webstuhl ihn mit verborgenen Augen hochmütig maß. Niemals würde ein Mensch von der Sorte dieses John Leeds die heimlichen Augen finden, ja, er würde wahrscheinlich gar nicht glauben, daß es solche Augen gibt. Er hatte andere Dinge im Kopf, sie waren ihm heftig aufgefallen, denn so ist es wieder Gewohnheit dieser Leute: sie machen nichts halb.
Da stehen Bäuerin und Tochter stumm hinter ihm, aber sie haben einen sonderbaren Blick. Man wird auch seiner Herr werden, wie man den widerspenstigen Bauer zu Boden gebracht hat. Wartet ihr vielleicht schadenfroh darauf, daß jemand den Webstuhl zerlegt, und niemand kann dann seine Teile wieder zusammensetzen? Oder meint ihr, die paar Schrauben und Nieten machen es nicht, und es lebt niemand mehr, der so einem uralten Webstuhl gewachsen ist? Kunstvolle Maschinen, ja, die wissen die Mechaniker zu behandeln, aber so ein ureinfacher Webstuhl, der geht über ihren Verstand. Meint ihr das? Schon möglich, daß es so ist, aber glaubt ihr denn, John Leeds wüßte nicht, wie er den Webstuhl heil und unversehrt nach Amerika liefern kann? Niemand ahnt, wessen John Leeds fähig ist. Sein Geld gibt den Wettlauf nicht so bald auf.
Das Unglaubliche geschah, noch Jahre später sollte der Mund der Gegend voll davon sein,