Die falsch gestellten Weichen. Von Kuehnelt-Leddihn Erik
Leben die verwandtschaftlichen Beziehungen eine große Rolle. Von ihm besonders verehrt wurde ein Onkel durch Heirat, der Niederländer Philips in Zaltbommel. Es ist dies der Großvater des hochkapitalistischen Gründers des weltweiten Philips-Konzerns.11)
Es ist wahr, daß Marx seine Frau und Töchter liebte und dies, obwohl er ein fürchterliches Familienleben führte; es war aber nicht die Liebe, die sein Leben formte, sondern über alles bloße Kritisieren und Verhöhnen hinaus echter, glühender Haß. Arnold Ruge, mit dem er anfänglich in Paris zusammengearbeitet hatte, schrieb an Fröbel über Marx: „Der heuchlerische Egoismus und die geheime Genießsucht, das Christusspielen, das Rabbinertum, der Priester und die Menschenopfer (Guillotine) kommen sogleich wieder zum Vorschein… Zähne fletschend und grinsend würde Marx alle schlachten, die ihm, dem neuen Babeuf, den Weg vertreten. Er denkt sich dieses Fest, das er nicht feiern kann.“12)
Die beste Beschreibung von Marx kam jedoch von Carl Schurz, dem deutschen Achtundvierziger und späteren amerikanischen Senator, der Marx bei einem Kongreß des Demokratischen Vereins in Köln begegnete. Über Marx schrieb er in seinen Lebenserinnerungen:
„Er war damals dreißig Jahre alt und bereits das anerkannte Haupt einer sozialistischen Schule. Der untersetzte, kräftig gebaute Mann mit breiter Stirne, dem pechschwarzen Haar und Vollbart und den dunkeln, blitzenden Augen zog sofort die allgemeine Aufmerksamkeit an sich. Er besaß den Ruf eines in seinem Fache sehr bedeutenden Gelehrten, und da ich von seinen sozialökonomischen Entdeckungen und Theorien sonst wenig wußte, so war ich umso begieriger des berühmten Mannes Worte der Weisheit zu sammeln. Diese Erwartung wurde in einer eigentümlichen Weise enttäuscht. Was Marx sagte, war in der Tat gehaltsreich, logisch und klar. Aber niemals habe ich einen Menschen gesehen von so verletzender Arroganz des Auftretens. Keiner Meinung, die von ihm wesentlich abwich, gewährte er die Ehre einer einigermaßen respektvollen Erwägung. Jeden, der ihm widersprach, behandelte er mit kaum verhüllter Verachtung. Jedes ihm mißliebige Argument beantwortete er entweder mit beißendem Spott über die bemitleidenswerte Unwissenheit oder mit ehrenrührigen Verdächtigungen der Motive dessen, der es vorgebracht. Ich erinnere mich wohl des schneidend-höhnischen, ich möchte sagen des ausspukkenden Tones, mit welchem er das Wort ‚Bourgeois’ aussprach, und als ‚Bourgeois’, das heißt als ein unverkennbares Beispiel einer tiefen geistigen und sittlichen Versumpfung denunzierte er jeden, der seinen Meinungen zu widersprechen wagte. Es war nicht zu verwundern, daß die von Marx befürworteten Anträge in der Versammlung nicht durchdrangen.“13)
Marx war schon einmal, im Jahre 1843, nach Paris übersiedelt, wo er unter dem Régime Louis-Philippes größere Freiheit erwartete als im Rheinland, das 1814 von Preußen annektiert worden war. Mit Arnold Ruge veröffentlichte er damals die Deutsch-Französischen Jahrbücher, doch nach dem Erscheinen der ersten Nummer zerstritten sich die Herausgeber, und damit war das Ende dieser Zeitschrift gekommen. In Frankreich geschah es auch, daß Marx mit Hegel brach und lediglich die Hegelsche Dialektik der Geschichte weiter anerkannte. In Paris traf er auch mit Proudhon zusammen, erhielt er die ersten Briefe von Friedrich Engels und schrieb den ersten haßerfüllten Essay gegen die Juden, in denen er die Verkörperung dès bourgeoisen Kapitalismus sah.14) Doch hatte, wie wir sehen werden, der ‚Antisemitismus’15) bei Marx nicht nur einen soziologisch-ökonomischen, sondern auch einen echt ‚rassistischen’ Charakter. Zudem war er in dieser Beziehung auch von Bruno Bauer beeinflußt worden, einem evangelischen Theologen und Freund aus jungen Jahren, der bezeichnenderweise einer der Begründer der neueren Bibelkritik gewesen ist. Bauers Ansichten aufgrund seines Studiums waren ausgesprochen judenfeindlich.16 Philosophisch ein Hegelianer, erntete er Marxens Haß nach dessen Bruch mit Hegel, und so schrieb Marx zusammen mit Engels eines seiner giftigsten Pamphlete: Die heilige Familie gegen Bruno Bauer und Compagnie.
Friedrich Engels war übrigens einer der ganz wenigen Leute, vielleicht sogar der einzige Mann, dessen Freundschaft Marx zu erhalten verstand. Dieser reiche Fabrikant aus dem Wuppertal hatte ein Vermögen, mit dem er den Gründer des internationalen Sozialismus und Kommunismus sein Leben lang unterstützen konnte. Also nur einer von Lenins „nützlichen Idioten“? Vielleicht doch nicht, denn Engels glaubte nicht nur ehrlich an die Theorien des „Mohren“ (wie Marx von seinen Freunden genannt wurde), sondern war auch imstande, sie redaktionell zu verwerten und „praktisch“ weiterzuentwickeln, sodaß einige Autoren meinen, man sollte in Wirklichkeit nicht vom Marxismus, sondern vom „Engelsismus“ reden.
Briefe, in denen Marx Engels kritisierte, wurden jedoch von den Töchtern nach dem Tod des „Mohren“ vernichtet.
Wie schwierig aber Marx in allen seinen menschlichen Beziehungen war, ersieht man auch aus den Aufzeichnungen eines preußischen Offiziers, Gustav Adolf Techow, der nach seiner Bekehrung zum Sozialismus Marx in London aufsuchte und von ihm schrieb: „Hätte er ebensoviel Herz wie Verstand, ebensoviel Liebe wie Haß, würde ich für ihn durchs Feuer gehen.“17) Dieser Techow erzählt uns auch, wie er einen feuchtfröhlichen Abend mit Marx verbrachte, bei dem sein Gastgeber frisch von der Leber her redete. Dem erschütterten Exoffizier gestand der „Mohr“, daß er über die Narren lache, die seinen Proletarierkatechismus ernst nähmen, und daß er in Wirklichkeit nur für die Aristokraten Achtung aufbrächte. „Ich habe den Eindruck mitgenommen, „schrieb Techow einem Freund, „daß seine persönliche Herrschaft der Zweck all seines Treibens ist, und alle seine Socien sind weiter unter und hinter ihm, und wagen sie das einmal zu vergessen, so stuckst er sie in ihr Verhältnis zurück mit einer Unverschämtheit, die eines Napoleon würdig.“18)
Nicht nur auf Marx, sondern auch auf Engels machte der Materialismus von Ludwig Feuerbach einen tiefen und bleibenden Eindruck, und dies beschleunigte auch ihren Bruch mit dem deutschen Idealismus. Feuerbachs Kritik der Religion im allgemeinen und des Christentums im besonderen wurde von den beiden mit einem radikalen Materialismus kombiniert. „Der Mensch ist, was er ißt!“19 Hier wurde die Grundlage für den unstillbaren Haß von Karl Marx für alle Formen des Glaubens gelegt. Feuerbachs Überzeugung, daß Kultur und Erziehung die Religion ersetzen sollten, hat einen romantischen und spezifisch deutschen Charakter, doch seine Forderung, daß die Bereitschaft zu glauben dem Entschluß zu wollen weichen muß, zeigte an, in welcher Richtung das Denken von Marx und Engels sich bewegen sollte. Feuerbachs Überzeugung, daß die Moral nicht durch die Religion, sondern lediglich durch bessere Lebensbedingungen gefördert wird, gehört allerdings primär zur Säkularreligion der amerikanischen Linken; wenn nicht zur amerikanischen Folklore. Schließlich ist es für naiv Ungläubige in diesem Tal der Tränen ein großer Trost, daß es einen (automatischen) Fortschritt gibt, daß die Kinder oder Kindeskinder es einst „durch den Fortschritt besser haben werden“. Hier sehen wir die Erfüllung von Dostojewskijs Prophezeiung durch den Mund des Großinquisitors in seinen Brüdern Karamazow20) daß die Zeit kommen werde, in der die Wissenschaft die Existenz von Verbrechern in Abrede stellen wird, daß es keine Sünder mehr geben werde, sondern höchstens Hungernde (und die kann man bei gesteigerter Produktion füttern). Also erzeugt „sehr logisch“ die Armut den Schrei nach dem Sozialismus oder den communism of the stomach. Aber so einfach ist das natürlich nicht. In Italien nistet der Kommunismus auch in Schlössern und Luxuswohnungen, in den Vereinigten Staaten in Hollywood und Park Avenue! Doch während Marx Feuerbach nur aus Büchern und Essays kannte, befreundete er sich in Paris mit Schülern von Saint-Simon und so auch mit dem früheren Sekretär des Roten Grafen, mit Auguste Comte, dem Schöpfer des Positivismus.21) Comtes Versuch, die gesellschaftlichen Gesetze durch Naturgesetze zu erhellen, beeindruckte auch Marx.
Im Jahre 1845 verlangte die preußische Regierung von den französischen Behörden, Marx als gefährlichen Agitator auszuweisen, und die Franzosen gaben diesem Ersuchen statt. Marx ging dann nach Brüssel,22) wo er 1847 sein Pamphlet gegen Proudhon herausgab. Im Jahre darauf veröffentlichte er in Zusammenarbeit mit Engels das Kommunistische Manifest. Einen Monat später befahl ihm die belgische Regierung, das Land zu verlassen, worauf er mit Engels nach Paris zurückfuhr, wo gerade nach dem Fall Louis-Philippes die Revolution ihren Höhepunkt erreicht hatte. Von Paris reiste er dann wieder nach Köln, wo Marx erneut ein Tagblatt, die Neue Rheinische Zeitung mit dem Untertitel „Demokratisches Organ“, publizierte. Im November desselben Jahres forderte die Zeitung ihre